Prozessführung und Schiedsgerichtsverfahren04.11.2024 Newsletter
Zur Reform des KapMuG: Phönix aus der Asche?
Am 20. Juli 2024 ist das Zweite Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) in Kraft getreten. Ziel der Reform war eine Verschlankung und Modernisierung dieser besonderen Form des Musterverfahrens, die es geschädigten Anlegern erleichtern soll, ihre Ansprüche gegen vermeintlich übermächtige Gegner auf Augenhöhe durchzusetzen.
Funktionsweisen des KapMuG
Mit der Einführung des KapMuG 2005 schuf der Gesetzgeber ein Instrument, das bis heute Musterverfahren wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen, etwa in Jahresabschlüssen oder Börsenprospekten, ermöglicht. Sobald sich in mindestens zehn individuellen, erstinstanzlichen Schadensersatzprozessen gleichlautende Tatsachen- oder Rechtsfragen stellen und die Kläger in diesen Prozessen einen Musterverfahrensantrag stellen, können die Fragen dem Oberlandesgericht vorgelegt werden, das hierüber einheitlich für alle Kläger entscheidet. Dieser sogenannte Musterentscheid bindet im Anschluss die Gerichte in den Ausgangsverfahren bei ihrer Entscheidung über die individuellen Klagen.
Vorteile des Musterverfahrens
Grundsätzlich stellt das Musterverfahren für private Investoren und Anleger ein schlagkräftiges Instrument des kollektiven Rechtsschutzes dar und bietet große Vorteile. So besteht ein deutlich geringeres Prozesskostenrisiko gegenüber einer Einzelklage, weil in der Regel nur rund 25 Prozent des Kostenrisikos im Vergleich zu einer üblichen Klage mit einem Zug durch drei Instanzen besteht. Daneben war mit dem Erlass des Gesetzes beabsichtigt, erstinstanzliche Gerichte durch das Musterverfahren und die Klärung von zentralen Verfahren zu entlasten und widerstreitende Entscheidungen zu verhindern.
Kritik am KapMuG
Dennoch stellen sich KapMuG-Verfahren in der Praxis oft als langwierige und komplizierte Prozesse dar. Das erste und wohl bekannteste Verfahren gegen die Telekom AG konnte erst 2021 durch einen Vergleich beendet werden – rund 20 Jahre nach Klageerhebung. Als besonders negativ wurde dabei bemängelt, dass sämtliche anhängige Einzelverfahren vor den Landgerichten von Amts wegen auszusetzen sind.
Die originäre Vorstellung von einer Entlastung der erstinstanzlichen Gerichte fand zwar statt, führte gleichzeitig aber zu einer enormen Verzögerung des Verfahrens für die einzelnen Anleger. Denn: Solange das OLG über die relevanten Fragen in seinem KapMuG-Verfahren nicht entschieden hat, bleiben die Ausgangsverfahren ausgesetzt, und der einzelne Anleger hat keine Möglichkeit, seinen eigenen Prozess voranzubringen.
Außerdem hat das KapMuG-Verfahren, wie sein Name schon sagt, lediglich Musterwirkung, d. h. die endgültige Entscheidung über den einzelnen Anspruch obliegt weiterhin dem Ausgangsgericht. Auf diese Weise müssen die Gerichte die einzelne Akte in jedem Fall „zweimal in die Hand nehmen“ – worin Kritiker eine der wesentlichen Schwachstellen des Gesetzes sehen.
Reformbedingte Änderungen mit einem Fokus auf Verfahrensbeschleunigung
Daher entschied sich der Gesetzgeber, das KapMuG zu reformieren und legte dabei ein besonderes Augenmerk auf die Beschleunigung des Verfahrens. Hierzu wurden verschiedene Stellschrauben genutzt und u. a. die nachfolgenden Änderungen beschlossen:
1. Verkürzung von gesetzlich festgelegten Zeiträumen
Die erste Beschleunigung findet durch die Verkürzung von gesetzlich geregelten Zeiträumen statt. So ist beispielsweise der Zeitraum von der Einzelklage bis zum Musterverfahren verkürzt worden, indem der Zeitraum bis zum Beginn des Musterverfahrens vor dem OLG verkürzt worden ist. Das OLG ist verpflichtet, die Musterverfahrensanträge im Musterverfahrensregister innerhalb von drei anstatt vorher sechs Monaten ab Eingang des Antrags bekannt zu machen (§ 4 Abs. 1 S. 2 KapMuG).
2. Stärkung der Position des OLG
Bisher war das OLG an den Vorlagebeschluss und die darin formulierten Feststellungsziele gebunden und es musste auf Grundlage des Vorlagebeschlusses lediglich einen Musterkläger auswählen, um das KapMuG-Verfahren in Gang zu setzen. Eine Abänderung oder Erweiterung der Vorlagefragen war bislang lediglich durch einen Erweiterungsantrag durch die Beteiligten möglich. Mit der Reform des Gesetzes bedarf es nun eines Eröffnungsbeschlusses, durch den das OLG „den Streitstoff abschichten und Feststellungsziele neu fassen kann“ (§ 9 Abs. 1 KapMuG). Dem OLG wird dadurch Flexibilität bei der Gestaltung des Verfahrens eingeräumt und es darf die Sachdienlichkeit einzelner Feststellungsziele eigenständig bewerten.
3. Reduzierung der Verfahrensbeteiligten
Durch die Reform des KapMuG wird die enge Verzahnung von den Ausgangsverfahren und dem Musterverfahren aufgeweicht. Die Landgerichte sind nicht mehr länger verpflichtet, alle anhängigen Verfahren, die von der Entscheidung der Feststellungsziele betroffen sind, von Amts wegen auszusetzen. Stattdessen sollen nur diejenigen Verfahren ausgesetzt werden, für die ein Musterverfahrensantrag gestellt worden war (§ 10 Abs. 1 i. V. m. § 6 KapMuG). Die übrigen Ausgangsverfahren werden, anders als früher, nur noch auf Antrag ausgesetzt. Hierbei genügt es nun, dass das Verfahren „voraussichtlich“ von den Feststellungzielen des KapMuG-Verfahrens abhängt. Das Verfahren wird hierdurch zwar flexibler, die ursprünglich angestrebte Vermeidung von Parallelprozessen und widerstreitenden Entscheidungen wird damit allerdings deutlich aufgeweicht.
Kritik an der Reform: amerikanische Verhältnisse im deutschen Zivilprozess?
Neben diesen Anpassungen, die auf eine Beschleunigung des Verfahrens abzielten, hatte der Gesetzgeber auch den Ausgleich des Informationsgefälles zwischen Kläger und Emittenten im Blick. Die geschädigten Anleger sind für praktisch alle Anspruchsvoraussetzungen beweisbelastet, was sie vor Schwierigkeiten stellt, wenn es um den Wissensstand einzelner Vertretungsberechtigter des Emittenten geht. Für diesen Nachweis dürfte in der Praxis häufig der Einblick in interne Unterlagen wie etwa Besprechungsnotizen, Tagesordnungen oder Sitzungsprotokolle erforderlich sein. Nach den allgemeinen Regeln des deutschen Zivilprozesses besteht allerdings kein Anspruch des Geschädigten, derartige Interna vom Schädiger herauszuverlangen.
Der Reformgesetzgeber wirkt diesem Problem mit der Einführung des neuen § 17 KapMuG entgegen, wonach das OLG dem Musterbeklagten aufgeben darf, bestimmte Dokumente vorzulegen, auch wenn diese nicht öffentlich zugänglich oder bereits im Besitz der Klägerseite ist. Kritiker erblicken darin einen Bruch mit den Prinzipen des deutschen Zivilprozesses und befürchten den Einzug „amerikanischer Verhältnisse“ durch die Einführung eines Discovery-Verfahrens.
Tatsächlich ist die Korrektur des Informationsgefälles in besonderen Verfahrensarten nicht neu. Schon 2017 hatte der Gesetzgeber ein ähnliches Verfahren zur Anordnung von Dokumentenvorlagen für Kartellschadensersatzverfahren eingeführt (vgl. § 33g GWB). Wie praxistauglich die neue Regelung im KapMuG ist, wird sich zeigen müssen – wegen der erhöhten Anforderungen an die genaue Bezeichnung der vorzulegenden Dokumente kommt § 33g GWB jedenfalls selten zur Anwendung.
Ähnliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung stehen auch bei der neuen Regelung im KapMuG zu befürchten.
Ausblick
Durch die Reform wurden wichtige Änderungen und Verbesserungen am Gesetz vorgenommen und der Grundstein für ein beschleunigtes Verfahren gelegt. Ob die Pläne des Gesetzgebers aufgehen und das neue KapMuG praxistauglich ist, bleibt abzuwarten.
Ein relevanter Faktor für ein beschleunigtes Verfahren bleibt die Umsetzung durch die Gerichte. Hierbei dürfte insbesondere der Umgang der Gerichte mit möglichen Parallelprozessen und mit dem neuen prozessualen Instrument der Dokumentenvorlage-Anordnung eine besondere Rolle für den Erfolg der Reform spielen.
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