Handel und Konsumgüter03.11.2020 Newsletter

Widerrufsrecht und E-Food – passt das zusammen?

Der Online-Handel boomt schon seit Jahren und in Zeiten der „Corona-Krise“ mehr denn je. So drängt, gerade angesichts möglicher oder bereits real existierender Quarantäne-Szenarien, zunehmend auch der Lebensmittelhandel in den Online-Bereich. Einige große Namen der Branche sind mittlerweile im „E-Food“-Geschäft präsent.

Online-Handel verpflichtet, das auf EU-Recht basierende Verbraucherrecht im Fernabsatz zu berücksichtigen. Zwar könnte man bei Lebensmitteln intuitiv davon ausgehen, dass das Widerrufsrecht der Verbraucher bei E-Food-Käufen pauschal ausgeschlossen ist. Das anzunehmen wäre jedoch ein gefährlicher Trugschluss.

Das verbraucherfreundlich ausgestaltete Widerrufsrecht steht dem Kunden grundsätzlich auch bei Lebensmitteln zu, die er online oder per Telefon bestellt. Dasselbe gilt bei Käufen über einen fahrenden Händler an der Haustür. Bei Missachtung drohen Abmahnungen durch die Verbraucherzentralen und die Konkurrenz. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass der Kunde seine Bestellung als Verbraucher und nicht als Unternehmer aufgibt.

Es mag befremden, Lebensmittel zurückgeben zu dürfen, die einmal in der Sphäre eines anderen gewesen sind und dadurch kontaminiert worden sein könnten. Dies hat der Gesetzgeber erkannt und an einigen Stellen Ausnahmen vom generellen Widerrufsrecht vorgesehen, die auch für Lebensmittel relevant sind und nachfolgend zusammenfassend dargestellt werden:

„Pizza-Klausel“ greift nur bei Lieferung durch den LEH

Es existiert bereits eine generelle Bereichsausnahme vom Fernabsatzrecht für Verträge zur Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs, die am Wohnsitz, am Aufenthaltsort oder am Arbeitsplatz eines Verbrauchers von Unternehmern im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten geliefert werden (§ 312 Abs. 2 Nr. 8 BGB). Diese auch „Pizza-Klausel“ genannte Vorschrift schien früher selten einschlägig zu sein, weil nach überwiegender Auffassung die Lieferung durch den Unternehmer selbst vorgenommen oder zumindest von ihm organisiert worden sein muss. Die Auslieferung durch ein Logistikunternehmen, das Aufträge von jedermann entgegennimmt, soll dagegen nicht genügen. Auch muss das Geschäftsmodell – es kommt also nicht auf das Bestellverhalten des konkreten Verbrauchers an – in seiner objektiven Ausgestaltung eine regelmäßige und häufige Belieferung von Verbrauchern vorsehen (z. B. „Essen auf Rädern“), damit die Ausnahmeregelung einschlägig ist.

Mittlerweile nehmen einige Lebensmittel-Online Shops die Auslieferung selbst vor. Auch werden Stimmen laut, die sich gegen eine Differenzierung zwischen Auslieferungen durch beispielsweise ein Tochterunternehmen einer Supermarktkette und einem allgemeinen Logistikunternehmen aussprechen. Zumindest müsse, so die Vertreter dieser Ansicht, die Lieferung durch ein Transportunternehmen, das mit dem Unternehmer rahmenvertraglich verbunden ist und häufig und regelmäßig Lieferungen vornimmt, der Auslieferung durch den Unternehmer selbst gleichstehen. Rechtsprechung, die dieser Forderung nachkommt, existiert allerdings – soweit ersichtlich – bislang nicht. Auch wäre darüber hinaus nicht mit Sicherheit zu sagen, ob das Merkmal der „Häufigkeit und Regelmäßigkeit“ bejaht werden kann. Je üblicher es allerdings wird, dass Verbraucher online bestellen – und dieser Trend ist zu beobachten – umso weniger problematisch dürfte es zukünftig sein, dieses Merkmal der Bereichsausnahmeklausel zu bejahen. Nach derzeitiger Rechtslage wäre es allerdings mit nicht geringer Unsicherheit behaftet, sich als Lebensmittelhändler – insbesondere wenn ein allgemeines Logistikunternehmen eingeschaltet wird – unter Bezugnahme auf § 312 Abs. 2 Nr. 8 BGB auf einen vollständigen Ausschluss des Fernabsatzrechts zu berufen. Es scheint naheliegend, dass sich dies in Zukunft ändern kann

Ausnahme vom Widerrufsrecht

Auch, wenn das Fernabsatzrecht und damit das Widerrufsrecht grundsätzlich Anwendung findet, sieht das Gesetz Ausnahmen vom Widerrufsrecht vor. Die Fälle, in denen ein solcher Ausschluss greift, sind in § 312g Abs. 2 BGB aufgelistet.

Die für den Handel mit Lebensmittel relevanten Vorschriften werden im Folgenden kurz dargestellt:

Individuell zusammengestellte Lebensmittel (Customized Food, § 312g Abs. 2 Nr.  1 BGB)

Hierbei handelt es sich um Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. „Customized Food“ kommt immer mehr in Mode: So können sich Kunden z. B. Müslis, exklusive Kaffees, Tees oder Säfte mischen lassen oder auch individualisierte Süßigkeiten bestellen. Für derartige Produkte ist das Widerrufsrecht ausgeschlossen. Allerdings gilt dies nur, sofern der Verkäufer im Zeitpunkt des Zugangs des Widerrufs mit der Zusammenmischung bzw. Herstellung bereits begonnen hat und die Bestandteile nicht mit geringem Aufwand wieder trennen kann.

Verderbliche Lebensmittel (§ 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB)

Ausgeschlossen ist das Widerrufsrecht ferner für Verträge über die Lieferung von Waren, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde. Diese Regelung hat große Relevanz: Werden schnell verderbliche Lebensmittel verkauft oder Lebensmittel, deren Verfallsdatum überschritten wurde, wäre es eine unbillige Härte für den Verkäufer, wenn der Kunde diese zurückgeben dürfte. Schnell verderblich sind Waren, wenn nach ihrem Transport und ihrer voraussichtlichen „Verweildauer“ ein verhältnismäßig erheblicher Teil ihrer Gesamtlebensdauer abgelaufen wäre. Molkereiprodukte, frisches Obst und Gemüse fallen unproblematisch hierunter. Im Einzelfall kann die Abgrenzung jedoch schwierig werden.

Der Ausnahmetatbestand der Überschreitung des Verfallsdatums stellt lediglich einen Spezialfall des Verderbs dar. Zu beachten ist, dass das Verbrauchsdatum nach anerkannten technischen Normen festgesetzt worden sein muss. Anderenfalls könnte durch ein willkürlich kurz festgesetztes Verfallsdatum das Widerrufsrecht ausgehebelt werden.

Versiegelte Lebensmittel (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB)

Eine weitere Ausnahme vom Widerrufsrecht besteht bei der Belieferung mit versiegelten Lebensmitteln, wenn diese nach der Lieferung geöffnet wurden. Diese Regelung zielt besonders auf Fertiggerichte ab. Zwar steht dem Verbraucher grundsätzlich das Recht zur Prüfung der gekauften Ware zu; im Fall von versiegelten Lebensmitteln ist dies jedoch auf eine reine Sichtkontrolle beschränkt Anderenfalls wäre die Ware für den Händler nicht mehr weiterverkäuflich.

Bestimmte alkoholische Getränke (§ 312g Abs. 2 Nr. 5 BGB)

Das Widerrufsrecht ist zudem bei Verträgen zur Lieferung bestimmter alkoholischer Getränke ausgeschlossen. Dies gilt für Spirituosen, deren Preis bei Vertragsschluss vereinbart wurde, die aber frühestens 30 Tage nach Vertragsschluss geliefert werden können und deren aktueller Wert von Schwankungen auf dem Markt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat. Dies ist beispielsweise häufiger bei Wein oder hochprozentigen Alkoholika wie Whiskey der Fall.

Lieferdienstleistungen (§ 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB)

Wenngleich weniger für den Online-Handel mit Lebensmitteln relevant, ist zudem das Widerrufsrecht bei Verträgen zur Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen „Lieferung von Speisen und Getränken“ ausgeschlossen. Diese Regelung zielt vor allem auf Catering-Services ab.

Wertersatzpauschale bei angebrochenen Lebensmitteln und Belehrungspflicht zu nicht bestehendem Widerrufsrecht

Äußerst vorsichtig sollten Lebensmittelhändler mit der Verwendung von Wertersatzpauschalen bei angebrochenen, jedoch nicht leicht verderblichen Lebensmitteln (wie beispielsweise Nahrungsergänzungsmitteln) in ihren AGB sein. So hat das Landgericht Dortmund entschieden, dass es unzulässig ist, Verbrauchern eine vollständige Ersatzpflicht für angebrochene Lebensmittel aufzubürden und ihnen dabei nur zuzugestehen, gegenüber dem Verkäufer nachzuweisen, dass im konkreten Fall kein oder nur ein geringerer Schaden eingetreten ist. Dies würde zu einer faktischen Entwertung des Widerrufsrechts führen (LG Dortmund, Urteil vom 14.03.2007 – 10 O 14/07).

Bei der Gestaltung der AGB bzw. des Online Shops ist darüber hinaus zu beachten, dass der Verbraucher darüber aufzuklären ist, wenn ein Widerrufsrecht nicht besteht (Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB). Ein Verstoß hiergegen kann ebenfalls als unlauter abgemahnt werden (BGH, Urt. v. 09.06.2011 – I ZR 17/10).

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Dr. Hanna Schmidt

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