Vorschlag einer neuen EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie: Drohen Unternehmen noch schärfere Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette?

Die Europäische Kommission hat der Europäischen Union in Brüssel am 23. Februar 2022 einen Vorschlag für eine neue Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen unterbreitet (sog. „Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937”). Dieser zielt darauf ab, nachhaltiges Geschäftsverhalten in Bezug auf Lieferketten zu fördern, insbesondere bei Aktivitäten mit Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt. 

Nach dem Vorschlag müssen betroffene Unternehmen potenzielle und tatsächlich schädliche Auswirkungen ihrer Aktivitäten, der Aktivitäten ihrer Tochtergesellschaften und der Aktivitäten ihrer etablierten Handelspartner in der gesamten Wertschöpfungskette bewerten. Außerdem sieht der Richtlinienvorschlag eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen vor, wenn sie begründete Sorgfaltspflichten verletzen. Weiterhin werden Geschäftsleitungen besondere Implementierungs- und Überwachungspflichten der geforderten Nachhaltigkeitsbestrebungen auferlegt und verpflichten sie zur Errichtung von Beschwerdesystemen. 

Nachfolgend haben wir für Sie einen kurzen Überblick der möglichen Neuerungen zusammengestellt:

Adressatenkreis der Richtlinie
 

  • Gruppe 1: Die Sorgfaltspflichten des Richtlinienentwurfes sollen für alle EU-Kapitalgesellschaften gelten, die mehr als 500 Beschäftigte haben und einen weltweiten Nettojahresumsatz von mindestens 150 Millionen Euro erzielen. 

  • Gruppe 2: Ebenfalls sind solche Gesellschaften mit beschränkter Haftung erfasst, die mehr als 250 Beschäftigte haben, einen weltweiten Nettojahresumsatz von mindestens 40 Millionen Euro erzielen und mindestens 50 % des Umsatzes aus einer in der Richtlinie genannten ressourcenintensiven Branche, die als besonders riskant eingestuft werden, generiert wird. Dazu zählen z.B. Textil-oder Lederhersteller, landwirtschaftliche Erzeuger, Forstproduzenten. Nahrungsmittelgroßhändler und -hersteller sowie Rohstoffförderer, 

  • Gruppe 3: Schließlich sind auch in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten erfasst, soweit diese die Voraussetzungen der Gruppe 1 oder 2 erfüllen. 

Nach Angaben der Kommission betrifft dies aktuell ungefähr 12.800 Unternehmen in der EU und ca. 4.000 Unternehmen aus Drittstaaten. Demgegenüber ist das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz („LkSG“) umsatzunabhängig auf Unternehmen ungeachtet deren Rechtsform anzuwenden, wenn diese mindestens 3.000 Arbeitnehmer (ab 1. Januar 2023) bzw. 1.000 Arbeitnehmer (ab 1. Januar 2024) im Inland beschäftigen. Im Ergebnis werden daher durch die geplante EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie auch kleinere Unternehmen erfasst, so dass der davon betroffene Adressatenkreis den des LkSG noch übersteigen wird.

Wesentliche Inhalte des Richtlinienvorschlags
 

  • Nach der Richtlinie sollen Sorgfaltspflichten zum Bestandteil der Unternehmenspolitik gemacht werden, indem diese in die Unternehmensrichtlinien integriert werden. Die Unternehmensrichtlinien müssen jährlich aktualisiert werden und eine Beschreibung des langfristigen Vorgehens des Unternehmens enthalten. 

  • Zusätzlich müssen ein Verhaltenskodex und Maßnahmen zur Einhaltung des Kodexes aufgestellt werden.

  • Die Unternehmen werden dazu verpflichtet, tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu identifizieren. Durch geeignete Maßnahmen sollen potenziell negative Auswirkungen verhindert werden. Die tatsächlichen negativen Auswirkungen sollen beendet werden. Falls dies nicht möglich ist, müssen sie auf ein Minimum reduziert werden.

  • Außerdem fordert der Richtlinienvorschlag, dass in den erfassten Unternehmen ein die gesamte Wertschöpfungskette umfassendes Beschwerdesystem eingerichtet wird, um die Wirksamkeiten der unternehmensseitig ergriffenen Strategien und Maßnahmen zu überprüfen. Somit verlangt auch dieser Richtlinienvorschlag von den betroffenen Unternehmen – ähnlich wie das LkSG oder der Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG-E) – die Implementierung von Beschwerdemechanismen. 
    Beschwerdebefugt sind betroffene Personen oder Personen, die Grund zur Annahme haben, betroffen zu sein. Zusätzlich haben Gewerkschaften, Arbeitnehmervertretungen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die in den Bereichen der Wertschöpfungskette tätig sind, Zugang zur Beschwerde. Darin besteht eine Parallele zum LkSG, das ebenfalls „potenziell Betroffenen“ die Möglichkeit zu einer Meldung gibt. 

  • Unternehmen müssen die Wirksamkeit ihrer Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht kontrollieren und über die Angelegenheiten öffentlich auf der Webseite des Unternehmens Bericht erstatten. 

  • Daneben ist eine bevollmächtigte Person zu ernennen, die Mitteilungen der Aufsichtsbehörden entgegennimmt. Damit wird die hauptsächliche Aufgabe des Menschenrechtsbeauftragen nach dem LkSG weiter konkretisiert.

Die Sorgfaltspflichten im Richtlinienentwurf haben eine größere Reichweite als nach dem LkSG. Das LkSG erfasst grundsätzlich nur die unmittelbaren Zulieferer. Mittelbare Zulieferer sind lediglich im Ausnahmefall erfasst. Der Vorschlag einer neuen EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie hingegen sieht Sorgfaltspflichten für jegliche Zulieferer vor, soweit eine etablierte Geschäftsbeziehung besteht, d. h. sie zielt auf die vollständige Wertschöpfungskette ab.

Klimaschutz und Incentive-Ziel in variablen Vergütungssystemen
 

  • Anders als das LkSG verpflichtet der Richtlinienentwurf die betroffenen Unternehmen der Gruppe 1 und teilweise der Gruppe 3 dazu, das 1,5-Grad-Höchsterwärmungs-Ziel des Pariser Klimaabkommens in ihrer Unternehmensstrategie zu berücksichtigen. 

  • Und sie geht sogar noch einen Schritt weiter: Es wird verlangt, dass diese Ziele auch in den variablen Vergütungssystemen mit Mitgliedern der Unternehmensleitung gebührend berücksichtigt werden, wenn diese Systeme bzgl. der bonusrelevanten Faktoren an Beiträge der Unternehmensleitung zur Strategie und zu den langfristigen Interessen und zur Nachhaltigkeit des Unternehmens anknüpfen. 


Sanktionen
 

  • Der Entwurf ermöglicht, dass die zuständigen Stellen Verstöße gegen die dann national erlassenen Vorschriften sanktionieren können. Dies kann zum einen durch ein Bußgeld geschehen. 

  • Zum anderen ermöglicht dies eine zivilrechtliche Haftung der betroffenen Unternehmen, die Schadensersatzsprüchen von Klägern ausgesetzt sein können, die durch die Sorgfaltspflichtverletzungen geschädigt wurden. 


Ausblick

Dieser Richtlinienvorschlag der Kommission zu einer neuen EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie reiht sich ein in eine Menge anderer regulatorischer Vorhaben und Vorgaben auf EU-Ebene, um einen erfolgreichen Übergang der Union zu einer klimaneutralen und grünen Wirtschaft im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal zu gewährleisten. Damit sollen die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung, zu denen gerade auch ihre menschenrechts- und umweltbezogenen Ziele zählen, verwirklicht werden. 

Aus diesen ergeben sich für die betroffenen Unternehmen allerdings auch jede Menge neuer Unternehmens- und Sorgfaltspflichten, die teilweise zu Synergien führen, deren Reichweite aber teilweise auch unterschiedlich und damit schwer durchschaubar ist.

Unternehmen sollten daher schon frühzeitig bei der Ausrichtung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie sowie der Anpassung ihrer Compliance Management Systeme die weiteren (europäischen) Rechtsentwicklungen im Auge behalten. Beispielhaft zu nennen ist hier neben dem dargestellten Richtlinienvorschlag auch der Vorschlag der Europäischen Kommission für ein Europäisches Lieferkettengesetz (vgl. dazu unser Newsbeitrag vom 04.03.2022), der Vorschlag für eine Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (vgl. dazu unser Newsbeitrag vom 28.01.2022), die EU Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, die EU Taxonomie-Verordnung sowie die EU-Whistleblowing-Richtlinie (vgl. dazu unser Newsbeitrag vom 14.04.2022 sowie unser Newsbeitrag vom 09.06.2021)

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Isabel Hexel

Isabel Hexel

PartnerinRechtsanwältinFachanwältin für Arbeitsrecht

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