Vertragsgestaltung: Beschaffungsrisiko in Krisenzeiten

Pandemie, Kriege und Klimawandel führen zu Lieferengpässe und Rohstoffmangel. Das wirft auch in der Vertragsgestaltung viele rechtliche Fragen auf: Wer trägt das Risiko für bereits verkaufte Waren, wenn ein Vorlieferant nicht liefern kann oder will? Kann der Verkäufer seine Lieferpflicht oder die Haftung auf Schadensersatz gegenüber dem Käufer vertraglich anpassen? Wie sollte er den Vertrag mit seinem Zulieferer überhaupt gestalten?

Wer trägt das Beschaffungsrisiko?

Besteht ein Kaufvertrag, ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die verkaufte Ware zu übergeben und das Eigentum daran zu verschaffen. Schwierig kann es werden, wenn der Verkäufer nur Zwischenhändler ist und die Sache noch nicht in seinem Besitz hat. Gerade wenn er sie selbst erst noch ankaufen muss, stellt sich häufig die Frage, wer das Risiko für die Beschaffung der Ware trägt.

Üblicherweise handelt es sich bei verkauften Waren um eine sogenannte „Gattungsschuld“. Danach schuldet der Verkäufer kein konkretes Einzelstück (Beispiele hierfür wären der Verkauf einer bestimmten gebrauchten Sache oder von Einzelanfertigungen), sondern lediglich eine Sache aus einer (gesamten) Gattung. Die Gattung wird gebildet aus Gegenständen mit gleichen Merkmalen. Das Beschaffungsrisiko bei einer Gattungsschuld liegt in der Regel beim Verkäufer. Er erklärt durch den Vertragsschluss, dass er in der Lage ist, die entsprechende Ware aus der vereinbarten Gattung zu beschaffen.

Die Verteilung des Beschaffungsrisikos ist jedoch vor allem in Krisenzeiten ein kritischer Punkt und hat für beide Vertragspartner einen massiven Einfluss auf ihr Geschäft. Es ist aus Perspektive des Verkäufers sowohl individualvertraglich als auch begrenzt in AGB möglich, dieses zunächst ihm zugewiesene Risiko auszuschließen oder zumindest zu reduzieren. Das kann einerseits über die Bestimmung bzw. Verlängerung der Frist zur Erbringung der Leistung erfolgen, andererseits über vertraglich vereinbarte Rücktrittsrechte in Form sogenannter Selbstbelieferungsklauseln.

Unverbindliche Leistungsfristen in den Vertrag aufnehmen

Der Verkäufer kann sein Beschaffungsrisiko reduzieren, indem er den Leistungszeitpunkt offenhält. Dazu kann er beispielsweise eine unverbindliche Leistungsfrist setzen, die bei Lieferschwierigkeiten verlängert wird.

Die Bestimmung oder Verlängerung von Leistungsfristen ist zumindest in AGB einigen Voraussetzungen unterworfen. Eine Klausel, wenn diese als Allgemeine Geschäftsbedingung gilt, ist dann unzulässig, wenn durch sie unangemessen lange oder zu ungenaue Fristen festgelegt werden. Das gilt erst recht im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern, im Kern aber auch im rein unternehmerischen Geschäftsverkehr.

Es haben sich in der Rechtsprechung verschiedene Varianten von zulässigen Leistungszeitklauseln herausgebildet. Kern dieser Klauseln ist ein, ggf. unverbindlich, festgesetzter Leistungszeitraum, der sich bei nicht rechtzeitiger Leistungserbringung unter bestimmten Umständen verlängern kann.

„Unechte“ Nachfristen

Lieferzeiten dürfen zur besseren Praktikabilität im Rechtsverkehr als „ca.-Fristen“ angegeben werden. Zwar ist die Bestimmung von Lieferterminen grundsätzlich verbindlich. Zulässig ist jedoch eine Klausel, die dem Verwender nach Verstreichen einer zunächst „unverbindlichen“ Frist um einen festgelegten Zeitraum eine weitere Frist zur Leistung einräumt. Diese zweite Frist muss verbindlich sein. Dadurch verschiebt sich der Fälligkeitszeitpunkt der Leistung nach hinten.

Die zulässige Länge einer solchen „Nachfrist“ ist abhängig von der ursprünglichen Frist und muss insgesamt angemessen sein. Ein Beispiel: Zulässig ist es, bei einer individuell zusammengestellten Einbauküche einen Liefertermin zunächst als unverbindlich zu bezeichnen. Vorausgesetzt, dass nach einer Fristüberschreitung von vier Wochen vom Kunden eine weitere „angemessene“ Lieferfrist gesetzt werden darf. Diese muss für den Verkäufer verbindlich sein. Sie ist in der Klausel aber nicht zwingend näher zu spezifizieren. Als unwirksam galten dagegen die AGB eines Möbelhändlers, nach denen er einen unverbindlichen Liefertermin um drei Monate überschreiten durfte.

Verlängerungsklauseln

Statt „unechter“ Nachfristen können auch Verlängerungsklauseln in den Vertrag zwischen Käufer und Verkäufer aufgenommen werden. Verlängerungsklauseln haben zur Voraussetzung, dass ein vorab definierter Zustand oder ein bestimmtes Ereignis eintreten muss, um die Fristverlängerung auszulösen, beispielsweise vom Verkäufer nicht zu vertretende Störungen in seinem Geschäftsbetrieb oder dem des Vorlieferanten oder Bauzeitverlängerungen.

Ausgeschlossen ist eine Fristverlängerung, wenn der Verkäufer selbst für den Eintritt des Ereignisses bzw. des Zustandes verantwortlich ist. Allerdings ist nicht jede Fristverlängerung aufgrund eines nicht vom Verkäufer zu vertretenden Ereignisses automatisch zulässig. Denn auch die Interessen des Käufers sind angemessen zu berücksichtigen. Schließlich schneidet ihm jede zulässige Fristverlängerung für diesen Zeitraum sein Recht auf Rücktritt vom Vertrag ab.

Dabei ist die genaue Formulierung entscheidend: Zum einen darf der Verkäufer nicht für den Eintritt des vorab definierten Ereignisses bzw. Zustands verantwortlich sein. Zum anderen darf der Käufer nur für einen nach Vertragsgegenstand, -zeitraum und Leistungszeit angemessen langen Zeitraum gebunden werden.

Die Vereinbarung einer Lieferung wie „sobald die Ware wieder lieferbar ist“, ist somit in AGB nicht zulässig. Vielmehr muss die Frist durch den Vertragspartner bestimmbar und angemessen lange sein. Unter Umständen kann es im unternehmerischen Verkehr jedoch zulässig sein, eine angemessene Frist erst dann zu bestimmen, wenn der Verkäufer die Leistung nicht erbringen kann.

Schutz des Verkäufers durch Selbstbelieferungsklauseln

Im Unterschied zu den Leistungszeitklauseln betreffen sogenannte Selbstbelieferungsklauseln nicht nur die Fälligkeit der Leistung und damit den Leistungszeitpunkt. Vielmehr geht es hier um die Leistungspflicht an sich, d. h. als Verkäufer überhaupt den Vertrag erfüllen zu müssen.

Eine solche Klausel räumt dem Verkäufer ein vertragliches Rücktrittsrecht ein, wenn dessen Lieferant selbst nicht liefern kann oder will und der Verkäufer seinen Vertrag mit dem Käufer deswegen nicht erfüllen kann. Allerdings unterliegen solche Klauseln, wenn sie wirksam sein sollen, strengen Voraussetzungen.

Wirksamkeit einer Selbstbelieferungsklausel nur bei „kongruentem“ Deckungsgeschäft

Die wichtigste Voraussetzung zur Wirksamkeit einer Selbstbelieferungsklausel ist der Abschluss eines „kongruenten“ Deckungsgeschäfts. Das bedeutet:  Am Tag des Vertragsschlusses muss der Verkäufer selbst eine Liefervereinbarung mit seinem Lieferanten haben, nach der er seinen Kunden bei reibungslosem Ablauf mit gleicher Sicherheit beliefern kann, wie er es dem Kunden versprochen hat.

Entscheidend ist, dass der Vertrag mit dem Lieferanten so abgeschlossen wurde, dass er sich mit den Vertragsmodalitäten des Kaufvertrags mit dem eigenen Kunden in Art der Ware, deren Menge, Qualität und Liefertermin deckt. Wenn beispielsweise mit dem Käufer eine Lieferfrist von sechs Monaten vereinbart wurde, wäre ein Deckungsgeschäft mit einem Lieferanten, der – mit Verweis auf Lieferengpässe – spätestens innerhalb von einem Jahr liefern will, kein kongruentes Deckungsgeschäft.

Bei der Kongruenz des Deckungsgeschäfts kommt es allein auf die vertragliche Bindung des Lieferanten an. Es ist somit empfehlenswert, die Vertragsmodalitäten mit dem Lieferanten auf den Vertrag mit dem Käufer zu spiegeln und damit auch Lieferfristen deckungsgleich weiterzugeben.

Schließt der Verkäufer kein kongruentes Deckungsgeschäft ab, übernimmt er das Beschaffungsrisiko und trägt die Schuld bei ausbleibender Lieferung. In der Folge kann ihn der Käufer, ggf. durch eine zuvor erforderliche Mahnung, in Verzug setzen und hat möglicherweise Anspruch auf Schadensersatz.

Weitere Voraussetzungen des Selbstbelieferungsvorbehalts

Ein Selbstbelieferungsvorbehalt kann nur dann wirksam vereinbart werden, wenn die ausbleibende Lieferung auf einer zukünftigen und ungewissen Gefahr beruht und nicht auf einem vorhersehbaren Ereignis.

Entscheidend ist, dass der Verkäufer von seinem Lieferanten sprichwörtlich im Stich gelassen wurde und die Nichtlieferung deshalb nicht zu verantworten hat. Insbesondere kann sich der Verkäufer nicht auf den Selbstbelieferungsvorbehalt berufen, wenn er den Lieferanten nicht sorgfältig ausgewählt hat. Für das Verschulden des Lieferanten muss der Verkäufer dagegen nicht einstehen, da dieser kein Erfüllungsgehilfe des Verkäufers ist.

Tritt der Leistungsverzug ein, ist der Verkäufer bei vereinbarten Selbstbelieferungsklauseln nicht automatisch von seiner Leistungspflicht befreit. Er muss aktiv den Rücktritt vom Vertrag erklären.

Fazit

Grundsätzlich ist der Verkäufer dafür verantwortlich, dass die von ihm verkaufte Ware rechtzeitig geliefert werden kann. Es gibt aber einige vertragliche Möglichkeiten, dieses Risiko zu reduzieren.

Bei Leistungsfristen ist insbesondere in AGB darauf zu achten, dass diese nicht übermäßig lang und zudem klar bestimmbar sind. Eine Verlängerung der Lieferfrist ist in Grenzen möglich, sofern den Verkäufer keine Schuld trifft, nicht pünktlich zu liefern. Auch sind zunächst unverbindliche Leistungsfristen zulässig, die durch angemessene Nachfristsetzung verbindlich werden.

Bei leistungsbefreiendenSelbstbelieferungsklauseln, die bei einem Leistungsausfall durch den Zulieferer schützen können, ist insbesondere auf den Abschluss eines kongruenten Deckungsgeschäfts zu achten. Vertragsmodalitäten und Lieferfristen des Lieferanten sollten entsprechend an den Kunden weitergegeben werden. Dadurch vermeidet der Unternehmer, wenn er selbst nur Bindeglied in einer Lieferkette ist, dass an dieser Stelle eine für ihn nachteilige Diskrepanz entsteht. Sollten die weitergegebenen Konditionen allerdings rechtsunwirksam sein, muss im Zweifel beim Lieferanten Regress genommen werden. In dieser Situation gilt es, rechtzeitig die eigenen Rechtsansprüche zu sichern.

 

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Dr. Hanna Schmidt

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