Arbeitsrecht22.09.2022 Newsletter
Verjährung von Urlaubsansprüchen – Die nächste Überraschung für Arbeitgeber?
Nicht lange ist es her, dass die Schlussanträge des Generalanwalts aus März und Mai 2022 zum Verfall nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs für Furore sorgten (Schlussanträge vom 17.3.2022 – C-518/20; C-727/20 bzw. vom 5.5.2022 – C-120/21). Mit den heutigen Urteilen stärkt der EuGH nun ganz im Sinne des Generalanwalts weiter die Arbeitnehmerrechte und schränkt gleichzeitig die Arbeitgeberrechte erheblich ein (EuGH, Urteile vom 22.09.2022 – C-120/21, C-518/20, C-727/20).
Knapp zwei Jahre nach den Vorlagefragen des BAG zum Verfall von Urlaubs(-abgeltungs-)ansprüchen steht eines fest: Der Urlaubs(-abgeltungs-)anspruch verjährt nur dann, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweisobliegenheiten zur Inanspruchnahme des Urlaubsanspruchs nachgekommen ist. Anderenfalls kann sich der Arbeitgeber auf die dreijährige Verjährungsfrist nicht berufen.
Geklagt hatte eine Steuerfachangestellte, die nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses die Abgeltung nicht genommenen Jahresurlaubs von insgesamt 101 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2017 verlangte.
EuGH schließt sich der Auffassung des Generalanwalts an: Verfall nur bei positiver Kenntnis
Den Schlussanträgen des Generalanwalts folgend bestätigte der EuGH die erwartete Befürchtung, dass eine positive Kenntnis des Arbeitnehmers von den seinen Urlaubsanspruch begründenden Umständen notwendig ist, damit die dreijährige Verjährungsfrist beginnt. Daher stehe das nationale Verjährungsrecht Deutschlands den Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie entgegen, wenn dies zum Urlaubsverfall beim nicht aufgeklärten Arbeitnehmer führen. Es obliegt daher den Arbeitgebern ihre Arbeitnehmer über einen drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen zu informieren. Erst dann darf die regelmäßige Verjährungsfrist zu laufen beginnen.
Was gilt nun für langzeiterkrankte Arbeitnehmer?
In zwei weiteren Parallelverfahren entschied der EuGH auf Vorlage des BAG auch, dass für langzeiterkrankte Arbeitnehmer die folgende Unterscheidung gilt: Ist ein Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig, bleibt es bei der 15monatigen Verfallfrist. Ist der Arbeitnehmer hingegen im laufenden Kalenderjahr arbeitsfähig gewesen, muss der Arbeitgeber auch langzeiterkrankten Arbeitnehmern gegenüber seine Hinweisobliegenheiten erfüllen. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, verfällt der Resturlaub dieses Urlaubsjahres bei Krankheit oder Erwerbsminderung des Arbeitnehmers nicht nach Ablauf der 15monatigen Verfallfrist.
Auswirkungen für Arbeitgeber in der Praxis
Die heutigen Urteile aus Luxemburg wurden in Deutschland seit Jahren mit Spannung erwartet. Die bisherige Judikatur des EuGH zu den Hinweisobliegenheiten der Arbeitgeber im Zusammenhang mit Resturlaubsansprüchen hat in den vergangenen Jahren die Arbeitgeber vor Herausforderungen gestellt und unmittelbar die Frage nach der Verjährung der Ansprüche aufgeworfen Aufgrund der Urteile des EuGH werden sich die Arbeitgeber wohl nun auf eine Flut von Klagen auf Urlaubs(-abgeltungs-)ansprüche aus der Vergangenheit einstellen müssen. Umso wichtiger wird es nun für die Zukunft sein, die Hinweise auf die bestehenden Resturlaubsansprüche aus Beweisgründen spätestens ab jetzt entsprechend zu dokumentieren und aufzubewahren.