Handel und Konsumgüter09.10.2020 Newsletter
„Vegane“ und „vegetarische“ Lebensmittel: Haftungsrisiken für Hersteller
Was für Verbraucher eine sichere Orientierungshilfe bei der Kaufentscheidung ist, ist für Unternehmen ein Zeichen von Transparenz und Produktinnovation. Doch Vorsicht ist geboten: Welche rechtlichen Rahmenbedingungen zur Kennzeichnung von Veggie- und Vegan-Produkten gibt es? Was müssen Unternehmen bei der Produktbezeichnung beachten und inwieweit dürfen sich die Namen sog. Fleischersatzprodukte an ihr jeweiliges Vorbild anlehnen?
Laut Schätzungen und Umfragen ernähren sich rund 5% der deutschen Bevölkerung vegetarisch, 1% vegan. Weltweit wird die Anzahl der vegan/vegetarisch lebenden Menschen auf eine Milliarde geschätzt, Tendenz steigend. Daher überrascht es nicht, dass der Umsatz mit Veggie- und Vegan-Produkten im Lebensmitteleinzelhandel und in Drogeriemärkten Rekordzahlen erreicht. Der wachsende Markt bietet zukunftsorientierten Unternehmen die Chance, sich als Hersteller dieser Produkte zu etablieren. Dass dies gelingen kann, zeigt der Lebensmittelhersteller „Rügenwalder Mühle“: Traditionell bekannt für Fleisch- und Wurstwaren, hat das Unternehmen inzwischen über 30 vegetarische und vegane Alternativen im Sortiment. Was als Wagnis begann, ist mittlerweile eine Erfolgsgeschichte. Im Geschäftsjahr 2019 konnte das Unternehmen einen Umsatz von 242 Millionen Euro erwirtschaften, eine Steigerung von 14,7 % zum Vorjahr. Im Juli 2020 wurde sogar erstmals mehr Umsatz mit vegetarischen und veganen Fleischalternativen als mit klassischen Fleischprodukten erzielt.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Die Motive einer veganen/vegetarischen Lebensweise sind zahlreich, das wirtschaftliche Potenzial dieser „neuen Kundengruppe“ enorm. Die meisten Verbraucher, die die Veggie- und Vegan-Lebensweise für sich entdeckt haben (oder ihren Fleischkonsum reduzieren), möchten sich jedoch nicht mit der für Laien meist kryptischen Zutatenliste auseinandersetzen, geschweige denn beim Hersteller nachfragen, ob bestimmte Zusatzstoffe und Aromen vom Tier stammen. Aus diesem Grund orientieren sie sich an Kennzeichnungen, die das Produkt eindeutig als vegan/vegetarisch ausloben – durch sog. Veggie-Labels oder Angaben wie „rein pflanzlich“, „vegetarisch“ oder „vegan“.
Keine rechtsverbindliche Definition
Auch vegane und vegetarische Lebensmittel unterliegen den allgemeinen lebensmittelrechtlichen Kennzeichnungsvorschriften. Sie sind so zu bezeichnen, dass Verbraucher bei ihrem Einkauf eine qualifizierte Wahl treffen können und insbesondere nicht über die Eigenschaften veganer/vegetarischer Lebensmittel getäuscht werden.
Eine besondere gesetzliche Kennzeichnungspflicht für vegane/vegetarische Lebensmittel gibt es nicht. Auch sind die Begriffe „vegetarisch“ und „vegan“ lebensmittelrechtlich nicht definiert. Zwar hat das Deutsche Lebensmittelbuchkomitee (DLMBK) 2018 neue Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel mit Ähnlichkeit zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs beschlossen, in denen die Begriffe „vegan“ und „vegetarisch“ in Bezug auf Lebensmittel definiert werden. Diese Leitsätze sind für Lebensmittelunternehmer jedoch weder rechtlich verbindlich noch als fester Kriterienkatalog anzusehen.
Die Kennzeichnung von Veggie- und Vegan-Lebensmitteln ist ein komplexes Feld, das aus rechtlicher Sicht nicht zu unterschätzende Risiken birgt: Darf ein Produkt beispielsweise mit „rein pflanzlich“ oder einem „Vegan-Label“ gekennzeichnet und beworben werden, wenn es Vitamin D enthält, das aus Wollfett, also dem Sekret aus den Talgdrüsen von Schafen, hergestellt wurde? Streng genommen nicht. Das Produkt wäre jedenfalls für konsequente Veganer nicht geeignet. Da die Bewerbung mit „vegan“ einen Wettbewerbsvorteil darstellt, kann eine solch falsche Kennzeichnung neben der Verbraucherzentrale auch Wettbewerber auf den Plan rufen.
Einen Lösungsansatz könnten anerkannte Gütesiegel bieten, wie das V-Label (stilisiertes, grünes V, aus dem ein Blatt wächst, auf gelbem Grund) der European Vegetarian Union e.V. (EVU), das vegetarische und vegane Produkte klar kennzeichnet. Für das Führen des V-Labels werden erhöhte Anforderungen gestellt, um Klarheit für Verbraucher und Sicherheit für die Unternehmen zu gewährleisten. Hierzu zählt eine Qualitätssicherungsprüfung der Hersteller, jährliche Kontrolle von Produkten am Produktionsort und Überprüfung der verwendeten Inhalts- & Hilfsstoffe. Neben dem V-Label gibt es weitere Gütesiegel, mit denen vegane Produkte gekennzeichnet werden können und die Schutz sowohl für Verbraucher, als auch für Unternehmen bieten. Hierzu gehört z. B. die „Veganblume“ der Vegan Society oder das Vegan-Label der veganen Gesellschaft Deutschland e.V.
Produktbezeichnungen
Bei der Frage der Kennzeichnung von veganen/vegetarischen Lebensmittelns stellt sich auch die Frage nach der (rechtlich) richtigen Bezeichnung des Lebensmittels.
Weil neue Lebenskonzepte zu neuen Verbraucherbedürfnissen führen, hat die Produktion sog. „Ersatzprodukte“ in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Vermarktung dieser Produkte setzt darauf, vor allem sprachliche Assoziationen zu typischen Fleisch- und Milcherzeugnissen herzustellen. Unter rechtlichen Gesichtspunkten stellt dies jedoch ein Problem dar.
Milchprodukte
Nach europäischem Recht ist die Bezeichnung Milch „ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug, vorbehalten“. Daneben darf ein Produkt auch dann mit „Milch“ beworben werden, wenn dem Erzeugnis nachträglich natürliche Milchbestandteile entzogen oder zugesetzt werden, ohne dass sich dadurch die Zusammensetzung ändert. Der Begriff Milch darf nach europäischem Recht auch zusammen mit einem oder mehreren Worten, welche die Veränderungen selbst beschreiben, verwendet werden.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte die Frage zu beantworten, ob die Bezeichnung Milch darüber hinaus auch für die Vermarktung von veganen Produkten verwendet werden darf. Dies negierte der EuGH. Bei beschreibenden Worten wie Soja oder Tofu würde es sich gerade nicht um klarstellende Begriffe im Sinne der europäischen Verordnung handeln, da diese keine Veränderung der Milch beschreiben. Die Verwendung von Begriffen wie Sojamilch oder Hafermilch ist somit unzulässig. Zudem führte der EuGH aus, dass Bezeichnungen wie Molke, Rahm, Butter, Buttermilch, Käse, Joghurt oder Sahne ausschließlich der Vermarktung von Milcherzeugnissen vorbehalten seien und dementsprechend nicht für rein pflanzliche Produkte – wie etwa Tofu oder Soja – verwendet werden dürfen. Die Bezeichnung „Tofukäse“ ist demnach ebenfalls unzulässig. Eine Ausnahme hiervon gilt nach europäischem Recht jedoch für Produkte, bei denen die Art des Erzeugnisses aufgrund ihrer traditionellen Verwendung genau bekannt ist, so etwa bei geläufigen Produktbezeichnungen wie Kokosmilch, Erdnussbutter oder Leberkäse.
Fleischprodukte
Auf europäischer Ebene existieren keine Entscheidungen oder Vorschriften für Fleisch, die den Beschränkungen für Milchprodukte entsprechen. Hier ist auf nationales Recht zurückzugreifen.
Gemäß Art. 7 Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) bzw. § 11 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) dürfen Informationen über Lebensmittel nicht generell irreführend sein. Dies gilt nach Art. 7 Abs. 1 lit. a LMIV insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels. Das VG Gelsenkirchen führt hierzu in einer Entscheidung vom 19.3.2012 (Aktenzeichen: 19 L 145/12) aus, dass es mittlerweile als üblich anzusehen sei und der Verkehrsauffassung entspräche, dass vegetarische Fleischersatzprodukte unter der Verwendung von Bezeichnungen typischer Fleischprodukte auf den Markt gelangen. Soweit solche Produkte durch Hinweise wie „fleischfrei“ oder „fleischlos“ gekennzeichnet seien, liege kein Verstoß gegen das Irreführungsverbot aus Art. 7 LMIV bzw. § 11 LFGB vor.
Nach Art. 17 Abs. 5 LMIV i.V.m. Anhang VI Teil A Nr. 4 LMIV ist jedoch bei Lebensmitteln, bei denen ein üblicher Bestandteil oder eine vom Verkehr erwartete Zutat durch einen anderen Stoff ersetzt wurde, auf den Ersatzstoff zusätzlich zum Zutatenverzeichnis in der Kennzeichnung in unmittelbarer Nähe zum Produktnamen deutlich hinzuweisen. Hierzu ist ein zusätzlicher Hinweis zum Produktnamen erforderlich. Ein auf den Ersatzstoff hindeutender Bestandteil des Produktnamens reicht nicht aus. Danach genügt die bloße Bezeichnung als „vegan“ oder „vegetarisch“ im Produktnamen ohne zusätzliche Erläuterung nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil insoweit offenbleibt, welcher natürliche bzw. übliche Bestandteil wodurch ersetzt wurde. Aus diesem Grund ist die Bezeichnung als „vegane Salami“ unzulässig, wohingegen das Produkt als „vegane Tofu-Wurst nach Salami-Art“ beworben werden darf.
Das bestätigen auch die Leitsätze des DLMBK, die neben Definitionen für „vegan“ und „vegetarisch“ auch eine Orientierung für die Bezeichnung veganer und vegetarischer Lebensmittel geben. Danach muss auf der Vorderseite der Produktverpackung deutlich sichtbar und gut lesbar das Wort „Vegan“ oder „vegetarisch“ und das genutzte Ersatzprodukt wie „Tofu“, „Soja“ oder „Seitan“ angebracht sein. Zwar sollten spezifische Wurst- oder Fleischbezeichnungen vermieden werden, Ähnlichkeiten zu Wurst oder Fleischprodukten können aber durch ergänzende Angaben wie „…nach Bierschinken-Art“ bei hinreichender sensorischer Übereinstimmung mit dem imitierten Produkt angedeutet werden.
Fazit
Die bisherige Rechtslage für Hersteller dieses aufstrebenden Marktsegments kann bisweilen noch sehr undurchsichtig sein. Zwar existieren unverbindliche Leitsätze, die eine Orientierungshilfe sein können. Aufgrund einer nur fragmentarischen gesetzlichen Regelung können für Unternehmen dieser Branche nicht unerhebliche haftungsrechtliche Konsequenzen bestehen, wenn sie ihre Produkte falsch bewerben. Eine gute Rechtsberatung kann hier das Risiko für Unternehmen deutlich reduzieren.