Insolvenzrecht und Restrukturierung / Gesellschaftsrecht09.04.2020 Pressemitteilungen
Schutzschirmverfahren: Eine Insolvenz der besonderen Art
(Stand 9. April 2020)
Warum haben Esprit und Galeria Karstadt Kaufhof die Eröffnung des Schutzschirmverfahrens beantragt? Immerhin verzichten die beiden Unternehmen durch die Inanspruchnahme des Schutzschirmverfahrens sowohl auf die kürzlich beschlossene Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, als auch auf die umfangreichen staatlichen „Schutzschirme“ zur Abmilderung der COVID-19-Pandemie (Kurzarbeitergeld, KfW-Kredite etc.). Wo also liegen die Vorteile eines Schutzschirmverfahrens?
Was ist das Schutzschirmverfahren?
Auch wenn es gelegentlich immer noch anders dargestellt wird: Das Schutzschirmverfahren ist ein Insolvenzverfahren. Es ist eine besondere Spielart der vorläufigen Eigenverwaltung und soll Unternehmen die Vorbereitung der Sanierung erleichtern. Dafür ordnet das Insolvenzgericht eine Frist von bis zu drei Monaten an, in der das Unternehmen unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters und des Gerichts einen Insolvenzplan erstellt. In diesem Zeitraum kann das Unternehmen ungestört weiterwirtschaften, da es keine Vollstreckungsmaßnahmen durch die Gläubiger fürchten muss und selbst Masseverbindlichkeiten begründen kann.
Wie kommt man ins Schutzschirmverfahren?
Das Schutzschirmverfahren wird nur eingeleitet, wenn das Unternehmen zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht zahlungsunfähig ist. Es muss aber zumindest drohend zahlungsunfähig oder überschuldet sein. Daneben ist die Vorlage einer mit Gründen versehenen Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Dritten erforderlich, aus der sich ergibt, dass das drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Dieser Dritte kann z.B. ein Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer sein. Zudem muss die Bescheinigung bestätigen, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.
Welche Vorteile verspricht die Sanierung im Insolvenz- und damit auch Schutzschirmverfahren?
Ein wesentlicher Vorteil der gerichtlichen gegenüber der außergerichtlichen Sanierung ist die Nutzung des Insolvenzgeldes. Hierdurch kann das Unternehmen bis zu drei Monate lang ohne Personalkosten fortgeführt werden. Je nach Belegschaftsstärke kann dies erhebliche Sanierungseffekte haben. Liquiditätsschonend wirken daneben auch die Nichtabführung von Steuern und Sozialabgaben sowie die Nichtzahlung von Zinsen und Tilgungen.
Neben der finanzwirtschaftlichen ist auch die operative Sanierung im Insolvenzverfahren einfacher. So können Dauerschuldverhältnisse (wie z.B. Mietverträge) unabhängig von der Restlaufzeit mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Für die Kündigung von Arbeitnehmern ist die Kündigungsfrist ungeachtet der Dauer der Betriebszugehörigkeit auf maximal drei Monate begrenzt. Für Sozialplankosten sind maximal zweieinhalb Monatsgehältern zu leisten. Zudem hat auch die dauerhafte Befreiung von ungesicherten Altverbindlichkeiten (z.B. Pensionsrückstellungen) durch das Insolvenzverfahren einen nicht unwesentlichen Sanierungseffekt.
Welche zusätzlichen Vorteile bietet die Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren?
Das Insolvenzverfahren kann entweder als Regelinsolvenzverfahren oder als Eigenverwaltungsverfahren eröffnet werden. Während bei Ersterem der Insolvenzverwalter „das Ruder übernimmt“, bleibt bei Letzterem die Geschäftsleitung des Unternehmens „im driver’s seat“. In der Eigenverwaltung führt die Geschäftsleitung das Unternehmen in Eigenregie fort. Ihr wird lediglich ein Sachwalter zur Seite gestellt, der sie bei der Durchführung der Eigenverwaltung überwacht und ihr regelmäßig auch beratend zur Seite steht. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil liegt in der Bezeichnung Eigenverwaltung (bzw. Schutzschirm). Während mit einer Insolvenz im klassischen Sinne vor allem das Scheitern des Unternehmers und die Zerschlagung des Betriebes verbunden wird, hat sich die Eigenverwaltung mittlerweile als Sanierungsverfahren etabliert und ist als Begriff auch in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch negativ behaftet. Schließlich ist die Dauer der Eigenverwaltung auf im Regelfall sechs bis acht Monate begrenzt. Auch dies wirkt sich positiv auf die Geschäftsbeziehungen des Unternehmens aus, da die Geschäftspartner dem Unternehmen eher erhalten bleiben als in einer über mehrere Jahre andauernden Regelinsolvenz.
Wie hoch ist das Risiko, dass Kunden/Lieferanten in der Eigenverwaltung abspringen?
Unternehmen sorgen sich häufig, dass ihnen in der Eigenverwaltung Lieferanten und Kunden abspringen könnten – Lieferanten, weil sie in der Eigenverwaltung bereits gelieferte Ware nicht mehr vollständig bezahlt bekommen, und Kunden, weil sie durch die Insolvenz das Vertrauen in das Unternehmen verlieren.
Diese Bedenken sind selten gerechtfertigt. Lieferanten haben in den allermeisten Fällen ein Interesse daran, das Unternehmen auch weiterhin zu beliefern, da sie sonst neue Absatzkanäle erschließen müssten, was mit Aufwand und Ertragsverlust verbunden ist. Auch Kunden reagieren in der Regel nicht negativ auf die Eigenverwaltung, wenn klar und frühzeitig kommuniziert wird, welche Sanierungsmaßnahmen geplant sind. Insbesondere wenn eine gewisse Abhängigkeit des Kunden vom insolvenzbedrohten Unternehmen (z.B. bei Zuliefererketten) besteht, hat der Kunde ein eigenes Interesse daran, dass das betreffende Unternehmen weiterhin liefert. In solchen Fällen sind Kunden nicht selten bereit, liquiditätsstützende Maßnahmen (z.B. Kauf der Lagerbestände) zu ergreifen. Auch Verlustübernahmen durch Kunden sind möglich, wenn aufgezeigt werden kann, dass die Deckungsbeiträge, die mit dem Kunden erzielt werden, nicht ausreichen, um die Kosten zu decken.
Muss es immer das Schutzschirmverfahren sein?
Das Schutzschirmverfahren ist nur eine besondere Spielart der vorläufigen Eigenverwaltung. Alternativ kann das vorläufigen Insolvenzverfahren auch als (reguläre) vorläufige Eigenverwaltung durchgeführt werden. Die Vorteile des Schutzschirmverfahren gegenüber der vorläufigen Eigenverwaltung sind überschaubar. Häufig hat das zu sanierende Unternehmen ein Interesse daran, einen „eigenen“ Sachwalter mitzubringen. Diese Möglichkeit ist für das Schutzschirmverfahren gesetzlich festgelegt.
Auch wenn nicht ausdrücklich vorgesehen, wird aber auch in der regulären Eigenverwaltung durch frühzeitige Abstimmung mit dem Gericht in der Regel derjenige zum Sachwalter bestellt, den das antragstellende Unternehmen dem Gericht vorschlägt. Zur Not kann der Sachwalter durch einen einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses durchgesetzt werden. Ein weiterer Vorteil ist es, im Schutzschirmverfahren unter erleichterten Voraussetzungen Masseverbindlichkeiten begründen zu können. Hierzu bedarf es einer besonderen gerichtlichen Ermächtigung, die bei frühzeitiger Abstimmung mit dem Gericht ähnlich auch in der (regulären) vorläufigen Eigenverwaltung erteilt werden kann.
Ein spezifischer Nachteil des Schutzschirmverfahrens liegt in der Verpflichtung, vor Einleitung eines Schutzschirmverfahrens eine Bescheinigung erstellen zu lassen, die bestätigt, dass keine Zahlungsunfähigkeit besteht und dass die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Dadurch entstehen erhebliche Zusatzkosten; zudem verzögert sich die Verfahrenseinleitung regelmäßig um zwei bis vier Wochen.
Daneben entsteht im Schutzschirmverfahren nach Antragstellung ein erheblicher Zeitdruck, da innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung ein Insolvenzplan vorzulegen ist. Einen solchen Zeitdruck gibt es demgegenüber bei der (vorläufigen) Eigenverwaltung nicht, auch wenn hier regelmäßig frühzeitig mit der Erstellung des Insolvenzplans angefangen wird.
Warum greifen Unternehmen (dennoch) zum Schutzschirmverfahren?
Der Grund, warum Unternehmen dennoch zum Schutzschirmverfahren greifen, dürfte in den meisten Fällen ein psychologischer sein. Der Begriff Schutzschirm suggeriert, dass das betreffende Unternehmen nur eine kurze Atempause braucht, um saniert fortgeführt zu werden. Da das Schutzschirmverfahren – im Unterschied zum (regulären) vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren – zwar bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber nicht bei Zahlungsunfähigkeit eröffnet wird, wird dann oft angenommen, dass es „vielleicht doch nicht so schlimm“ ist.