Vergaberecht08.06.2022 Newsletter
Russland-Sanktionen – was geht noch bei öffentlichen Aufträgen?
Die Sanktionsverordnung (EU) 2022/576 trifft erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Regelungen für die öffentliche Auftragsvergabe. Die Vorschriften sind bereits in Kraft und ab dem 11. Oktober 2022 müssen Unternehmen auch bei Bestandsverträgen sicherstellen, dass kein sogenannter Russlandbezug besteht. Das gilt auch für die Lieferkette, andernfalls droht die Vertragsbeendigung. Um der Lage Herr zu werden, verlangen öffentliche Auftraggeber in der jüngeren Vergangenheit sog. Eigenerklärungen, in denen die Bieter erklären sollen, dass ein Bezug zu Russland nicht besteht.
Wir nehmen diese aktuelle Entwicklung zum Anlass, um den maßgeblichen Art. 5k der EU-Sanktionsverordnung (vgl. bereits unseren Newsletter zum fünften EU-Sanktionspaket) und die Eigenerklärung noch einmal darzustellen. Art. 5k enthält ein Zuschlagsverbot sowie ein Vertragserfüllungsverbot bei der Vergabe und Durchführung öffentlicher Aufträge und Konzessionen zulasten von Personen, Einrichtungen und Organisationen mit Bezug zu Russland.
Russlandbezug – wer ist betroffen?
Ein solcher Russlandbezug besteht nach der Sanktionsregelung bei den folgenden Personen und Organisationen:
a) russische Staatsangehörige oder in Russland niedergelassene natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen,
b) juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, deren Anteile zu über 50 % unmittelbar oder mittelbar von einer der unter a) genannten Organisationen gehalten werden, oder
c) natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Namen oder auf Anweisung einer der unter a) oder b) genannten Organisationen handeln.
Die Vorschrift greift nicht nur bei unmittelbarem Russlandbezug, also bei Bewerbern und Bietern im Vergabeverfahren sowie Auftragnehmern. Auch Unterauftragnehmer, Lieferanten und Unternehmen, deren Kapazitäten im Rahmen der Eignungsleihe in Anspruch genommen werden, sind erfasst, wenn auf sie mehr als 10 % des Auftragswertes entfällt (mittelbarer Russlandbezug).
Die Sanktionsverordnung trifft lediglich Regelungen für öffentliche Aufträge und Konzessionen, wenn diese die EU-Schwellenwerte nach § 106 GWB erreichen. Soweit öffentliche Aufträge und Konzessionen unterhalb dieser Schwellenwerte betroffen sind, enthält sie keine Beschränkungen.
Was ist erlaubt – und was nicht?
Grundsätzlich besteht ein Zuschlagsverbot in Vergabeverfahren für Bieter mit (unmittelbarem oder mittelbarem) Russlandbezug. Dazu fordern öffentliche Auftraggeber immer häufiger eine Eigenerklärung von den Bewerbern und Bietern. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Anforderungen des Art. 5k eingehalten werden. Ein Musterformular stellt etwa das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf seiner Website zur Verfügung. Wird die Erklärung nicht oder nicht vollständig abgegeben, kommt es zum Ausschluss vom Vergabeverfahren. Der Eigenerklärung kommt also erhebliche Bedeutung zu.
Für bestehende Verträge gilt ein Vertragserfüllungsverbot. Das betrifft auch vor dem 9. April 2022 vergebene Aufträge, allerdings mit einer Übergangsphase. Die Erfüllung dieser Verträge ist ab dem 11. Oktober 2022 verboten. Bis dahin müssen Verträge beendet werden, wenn ein unmittelbarer Russlandbezug vorliegt. In Fällen mit mittelbarem Russlandbezug hat der Auftragnehmer etwa durch Auswechseln seiner Unterauftragnehmer und Lieferanten sicherzustellen, dass nach dem 10. Oktober 2022 kein Russlandbezug mehr in der Lieferkette vorhanden ist. Gelingt das nicht, muss der Vertrag mit dem Auftragnehmer gekündigt werden.
Etwaige im Zusammenhang mit gekündigten Verträgen stehende Schadensersatzforderungen sind gemäß Art. 11 Abs. 1 der EU-Sanktionsverordnung ausgeschlossen, soweit eine Person oder ein Unternehmen mit Russlandbezug den Anspruch geltend macht.
Als Ausnahme von diesen Verboten sieht Art. 5k Abs. 2 der EU-Sanktions-VO einen Genehmigungsvorbehalt vor. Danach kann die zuständige Behörde auf Antrag des Auftraggebers die Vergabe oder die Fortsetzung des Vertrags genehmigen, wenn die Verträge bestimmt sind für:
- den Betrieb ziviler nuklearer Kapazitäten, ihre Instandhaltung, ihre Stilllegung, die Entsorgung ihrer radioaktiven Abfälle, ihre Versorgung mit und die Wiederaufbereitung von Brennelementen und die Weiterführung der Planung, des Baus und die Abnahmetests für die Indienststellung ziviler Atomanlagen und ihre Sicherheit sowie die Lieferung von Ausgangsstoffen zur Herstellung medizinischer Radioisotope und ähnlicher medizinischer Anwendungen, kritischer Technologien zur radiologischen Umweltüberwachung sowie für die zivile nukleare Zusammenarbeit, insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung,
- die zwischenstaatliche Zusammenarbeit bei Raumfahrtprogrammen,
- die Bereitstellung unbedingt notwendiger Güter oder Dienstleistungen, wenn sie ausschließlich oder nur in ausreichender Menge von den in Absatz 1 genannten Personen bereitgestellt werden können,
- die Tätigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Union und der Mitgliedstaaten in Russland, einschließlich Delegationen, Botschaften und Missionen, oder internationaler Organisationen in Russland, die nach dem Völkerrecht Immunität genießen,
- den Kauf, die Einfuhr oder die Beförderung von Erdgas und Erdöl, einschließlich raffinierter Erdölerzeugnisse, sowie von Titan, Aluminium, Kupfer, Nickel, Palladium und Eisenerz aus oder durch Russland in die Union, soweit nicht unter dem jüngsten Ölembargo vom 3. Juni 2022 nach Art. 3m und Art. 3n der EU-Sanktionsverordnung untersagt oder
- den Kauf, die Einfuhr oder die Beförderung von Kohle und anderen festen fossilen Brennstoffen, die in Anhang XXII der EU-Sanktionsverordnung aufgeführt sind, bis 10. August 2022.
Welche Behörde für die Erteilung dieser Ausnahmegenehmigung zuständig ist, wird das BMWK in Kürze bekanntgeben. Es ist jedoch naheliegend, dass Anträge bei dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu stellen sein werden, da das BAFA auch bislang für die Erteilung von Genehmigungen im Zusammenhang mit der Verordnung (EU) 833/2014 zuständig war.
Auswirkungen auf die Praxis
Öffentliche Auftraggeber müssen und werden die neuen Regelungen ernst nehmen und unverzüglich handeln. Bieter werden sich daher in laufenden Vergabeverfahren mit Eigenerklärungen zum Ausschluss von Russlandbezug konfrontiert sehen. Dazu werden die Unternehmen prüfen müssen, ob bei ihnen oder in ihrer Lieferkette ein Russlandbezug vorliegt. Unterauftragnehmer und Lieferanten sollten entsprechend aufgeklärt werden (einschließlich Dokumentation!) und sind zur Abgabe von diesbezüglichen Erklärungen aufzufordern. Die Abgabe einer wahrheitswidrigen Eigenerklärung kann nicht nur zum Ausschluss im konkreten Vergabeverfahren führen, sondern auch eine Vergabesperre für die Zukunft nach sich ziehen.
Bei laufenden Verträgen droht im Worst-Case die Beendigung des Auftrags. Daher müssen Unternehmen auch hier umgehend klären, ob bei ihren Auftragnehmern und Lieferanten ein Russlandbezug ausgeschlossen werden kann. Wird ein Russlandbezug bei Subunternehmen festgestellt, auf die mehr als 10% des Auftragswerts entfallen, müssen diese bis zum 11. Oktober 2022 ausgewechselt werden. Hierbei ist zu beachten, dass Vergütungsanpassungen aufgrund allgemeiner Preissteigerungen im Zuge eines Unterauftragsnehmer- und Lieferantenaustauschs nur im gesetzlichen Rahmen der Vergabevorschriften zulässig sind, darüber hinaus gehende Änderungen können Neuausschreibungen zur Folge haben.