Kartellrecht und Fusionskontrolle13.02.2020 Newsletter
Newsletter: LG München weist Sammelklage im LKW-Kartell ab
Am 7. Februar 2020 hat das LG München I in einem noch nicht veröffentlichten Urteil (Az. 37 O 18934/17) die bislang umfangreichste Klage im LKW-Kartell abgewiesen und damit dem Geschäftsmodell des Rechtsdienstleisters Financialright einen herben Dämpfer versetzt.
1. Rechtsdienstleistungsunternehmen organisierte Sammelklage für 3.000 Spediteure
In dem vor der 37. Zivilkammer des LG München I verhandelten Verfahren klagte die Financialright Claims GmbH gegen mehrere LKW-Hersteller und verlangte Schadensersatz in Höhe von über 600 Millionen Euro. Financialright ließ sich dafür (vermeintliche) Schadensersatzansprüche von mehr als 3.000 Spediteuren abtreten, um eine gebündelte Schadensersatzklage zu erheben. Presseberichten zufolge hätte das von einem Prozessfinanzierer unterstützte Rechtsdienstleistungsunternehmen im Erfolgsfall etwa ein Drittel als Erfolgsprovision einbehalten.
2. LG München: Klageabweisung wegen fehlender Aktivlegitimation
Die Entscheidung des LG München steht im Kontext der Diskussionen um die Zulässigkeit von Legal-Tech-Angeboten und Sammelklagen. Bereits im November 2019 hatte der BGH Grundsätze entwickelt, anhand derer die Zulässigkeit solcher Geschäftsmodelle zu beurteilen sind. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall klagte die Lexfox GmbH als registrierter Inkassodienstleister (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG) aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz aus einem Mietverhältnis. Der BGH entschied, dass der Begriff der Inkassodienstleistung weit auszulegen sei und die konkreten Umstände unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des RDG zu würdigen seien. Das RDG solle Rechtssuchende, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen schützen. Die Tätigkeit der Lexfox GmbH war nach Ansicht des BGH noch vom RDG gedeckt.
Das sah das LG München im LKW-Verfahren jedoch anders. Es erkannte entscheidende Unterschiede im Geschäftsmodell von Financialright zu dem vom BGH beurteilten Modell. Nach einer Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des RDG hielt das Gericht die Tätigkeit von Financialright daher für nicht mehr von der Inkassoerlaubnis gedeckt und die Abtretungen insofern für nichtig (§ 134 BGB in Verbindung mit § 3 RDG).
2.1 Ausschließlich gerichtliche Tätigkeit ist nicht von Inkassoerlaubnis gedeckt
Das LG München stützte sein Urteil unter anderem auf die Ausrichtung der Tätigkeit des Rechtsdienstleisters. Das Geschäftsmodell von Financialright sei ausschließlich auf die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gerichtet und nicht auf die außergerichtliche Geltendmachung. Die ausschließliche gerichtliche Tätigkeit sei kein Inkasso i. S. d. RDG. Nach Würdigung der vertraglichen Regelungen, des Auftretens der Klägerpartei und der tatsächlichen Durchführung kam das Gericht zu dem Schluss, dass „das Angebot nach seinem Gesamteindruck auf die Beteiligung an einer Sammelklage gerichtet“ sei. Insofern betätige sich Financialright nicht als Inkassounternehmen.
2.2 Gefährdung der Kundeninteressen durch Bündelung von Ansprüchen
Ein weiterer Verstoß gegen das RDG erkannte das Gericht in der Partizipation der Kunden von Financialright an den Risiken anderer Kunden. Da die Klage von Financialright eine Vielzahl von Ansprüchen bündele, die sich im Detail teilweise unterscheiden (z. B. hinsichtlich der Fahrzeugart), könne sich – so das Gericht – das den einzelnen Ansprüchen anhaftende Risiko auf die anderen Ansprüche negativ auswirken.
Im Rahmen von Vergleichsverhandlungen zwischen Kläger und Beklagten spielen Erfolgsaussichten von geltend gemachten Ansprüche typischerweise eine große Rolle hinsichtlich der Höhe der Vergleichssumme. Die vertraglichen Regelungen zwischen der Financialright und den Spediteuren sahen jedoch eine quotale und von den Erfolgsaussichten der einzelnen Ansprüche unabhängige Beteiligung an der Vergleichssumme vor. Daher bestand nach Ansicht des LG München die Gefahr, dass die Ansprüche von Kunden mit geringen Erfolgsaussichten die Vergleichssumme insgesamt mindern und mithin erfolgsversprechende Ansprüche anderer Kunden negativ beeinträchtigen.
2.3 Interessenkonflikt durch Prozessfinanzierung
Die Prozessfinanzierung führe zu widerstreitenden Interessen der Klägerin Financialright einerseits und ihren Kunden andererseits. Denn zum einen würde die Klägerin von einem Prozessfinanzierer unterstützt und zum anderen würde sie von den Prozesskosten freigestellt. Während die Prozesskosten insofern kein Entscheidungskriterium für die Klägerin seien, könne die Abhängigkeit der Klägerin vom Prozessfinanzierer dazu führen, dass die Kundeninteressen von den Wirtschaftlichkeitserwägungen des Prozessfinanzierers überlagert und somit gefährdet werden. Das Eigeninteresse der Klägerin an einem erfolgreichen Prozessausgang aufgrund der Erfolgsprovision soll die Interessenkollision nicht beseitigen können.
3. Ausblick
Wenngleich das Urteil einen Dämpfer für Financialright und das betriebene Modell der Sammelklage bedeutet, wird wohl früher oder später der BGH über die Zulässigkeit des Geschäftsmodells zu entscheiden haben. Die Klägerin hat bereits Berufung angekündigt.
Das Urteil des LG München zeigt, dass der „Teufel im Detail“ steckt. Während die konzerninterne Abtretung von Schadensersatzansprüchen an eine Gesellschaft zwecks Forderungsdurchsetzung nach dem RDG zulässig ist, könnte die massenhafte Bündelung von Ansprüchen Dritter – noch dazu über verschiedene Branchen hinweg – zukünftig erschwert werden. Auch durch Prozessfinanzierer unterstützte Klagen dürften weiterhin zulässig sein. Kritisch hinterfragt werden könnten allerdings Geschäftsmodelle, bei denen das wirtschaftliche Risiko nicht beim Kläger, sondern beim Prozessfinanzierer oder beim Abtretenden liegt (z. B. in Form einer zusätzlichen Erfolgsbeteiligung bei erfolgreichem Abschluss des Verfahrens), letzterer jedoch aufgrund der Forderungsabtretung keine Möglichkeit mehr hat, strategisch/lenkend in den Prozess einzugreifen.
In jedem Fall sollten geschädigte Unternehmen zukünftig sorgfältig abwägen, ob sie das Prozessrisiko durch eine Abtretung ihrer Ansprüche an einen Rechtsdienstleister zusätzlich erhöhen wollen. Oft lassen sich erhebliche Kosteneinsparungen auch bei einer individuellen Anspruchsdurchsetzung realisieren, etwa im Rahmen einer Streitgenossenschaft (auch unter Beteiligung eines Prozessfinanzierers), oder die gemeinsame Beauftragung eines ökonomischen Sachverständigen zur Schadensschätzung.
Weitere Information rund um das Thema Kartellschadensersatz finden Sie hier. Dort finden Sie u. a. einen Überblick über die wichtigsten Maßnahmen zur Sicherung und Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen.