Handel und Konsumgüter12.08.2022 Newsletter
Neuerungen im E-Commerce: Vertriebskartellrecht und Gatekeeper
Das Kartellrecht bringt derzeit fast täglich Neuigkeiten für den E-Commerce mit sich. Neben der voranschreitenden Regulierung von Gatekeepern wurden auch die „Spielregeln“ des Vertriebskartellrechts modernisiert.
Amazon im Visier der Behörden
Das Bundeskartellamt hat entschieden, Amazon als einen „Gatekeeper“ mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb einzustufen (§ 19a GWB). Damit kann das Bundeskartellamt Amazon jetzt punktuell und für einen Zeitraum von fünf Jahren eine Reihe von wettbewerbsgefährdenden Praktiken untersagen. Denkbar ist z. B., dass die Verarbeitung wettbewerbsrelevanter Daten von Marktplatzhändlern untersagt wird. Auch Amazon-eigene Angebote bei der Produktsuche dürften ggf. nicht mehr bevorzugt werden.
Auch die Europäische Kommission hat Amazon ins Visier genommen. Sie schaut sich speziell an, wie Amazon Daten von Marktplatzhändlern nutzt. Außerdem werden das Einkaufswagen-Feld, die sogenannte Buy Box, und das Prime-Programm genauer untersucht. In diesem Zusammenhang hat Amazon u. a. angeboten, künftig Daten von Händlern bzw. Logistikunternehmen nicht für sein Eigengeschäft bzw. für seinen eigenen Logistikdienst zu nutzen. Außerdem sollen künftig Händler für die Aufnahme in die Buy Box oder als Prime-Verkäufer gleichbehandelt werden.
Ab Anfang 2023: Neuer Digital Markets Act
Der neue Digital Markets Act wird Anfang 2023 in Kraft treten, nachdem der Ministerrat Mitte Juli zugestimmt hat. Online-Plattformen, denen eine „Gatekeeper“-Stellung zukommt, treffen dann eine Reihe neuer Pflichten. Diese müssen innerhalb von sechs Monaten umgesetzt werden. Betroffene Online-Plattformen sind insbesondere Suchmaschinen, soziale Netzwerke bzw. Messaging-Dienste und Online-Vermittlungsdienste.
Zu den neuen Pflichten gehören beispielsweise:
- „Gatekeeper“ dürfen – ähnlich wie bei § 19a GWB – die Daten von Nutzern der Plattform nicht im Wettbewerb mit diesen nutzen und eigene Angebote im Ranking nicht mehr bevorzugen. Dies betrifft u. a. den Amazon-Marketplace.
- Im Bereich der Messaging-Dienste müssen die großen Anbieter von nun an eine Kompatibilität mit den Diensten anderer Anbieter gewährleisten, was den Markt für kleinere Wettbewerber öffnen dürfte. Dies betrifft u. a. die Dienste von Meta.
- Personenbezogene Daten, die von einem „Gatekeeper“ durch die Bereitstellung eines Dienstes erhobenen wurden, dürfen nicht mehr für die Zwecke eines anderen Dienstes verwendet werden.
Neuerungen im E-Commerce tragen Digitalisierung Rechnung
Interessante Neuerungen für den E-Commerce bringen die neuen Regelungen der Europäischen Kommission für vertikale Vereinbarungen mit sich. Diese resultieren aus einer abgeschlossenen Reform der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO). Sie sollen die Regelungen der Verordnung an die Digitalisierung anpassen:
- Für die Praxis spannend ist, dass Hersteller künftig unterschiedliche Verkaufspreise von Händlern verlangen können, je nachdem, ob die Ware stationär oder online verkauft werden soll (sog. Dual-Pricing). Dies ist solange möglich, wie der Preisunterschied in einem angemessenen Verhältnis zu den unterschiedlichen Kosten oder Investitionen des Händlers in dem jeweiligen Vertriebsweg steht. Wie dies in der Praxis bestimmt werden soll, ist noch unklar.
- Weitere Lockerungen sind bei vertraglichen Vorgaben für die Art und Weise des Vertriebs erlaubt, wie z. B. die Aufmachung des Online-Shops (sog. Qualitätsvorgaben). Bei derartigen Vorgaben war bisher streng darauf zu achten, dass der Internetvertrieb gegenüber dem stationären Handel nicht benachteiligt wird, z. B. indem an einen Online-Shop strengere Vorgaben gestellt wurden als an ein Ladenlokal. Nun ist es dagegen möglich, die Vorgaben unterschiedlich auszugestalten. Die Vorgaben für den Online-Shop dürfen allerdings nicht so weit reichen, dass sie faktisch eine Beschränkung des Internetvertriebs bewirken.
- Was vorher durch ein EuGH-Urteil möglich war, hat die Europäische Kommission nun ausdrücklich bestätigt: Hersteller können Händlern den Verkauf über bestimmte Online-Plattformen verbieten (sog. Plattformverbote).
- Umgekehrt können Online-Plattformen ihren Nutzern untersagen, die Leistung oder Ware im (eigenen) Direktvertrieb günstiger als auf der Plattform anzubieten (sog. enge Bestpreisklauseln). „Hybride“ Plattformen wie Amazon oder Zalando, die gleichzeitig Wettbewerber der Nutzer sind, fallen allerdings nicht in den Anwendungsbereich der Vertikal-GVO.
- Positive Signale gibt es schließlich auch für den Dual-Vertrieb, da die Europäische Kommission endlich klargestellt hat, welche Informationen zwischen Hersteller und Händler fließen dürfen, z. B. um Boni oder Werbekostenzuschuss berechnen zu können.
Weitere Informationen finden Sie in unserem Newsletter „Aktualisierte kartellrechtliche Rahmenbedingungen für den Vertrieb: 7 Punkte die sich für Unternehmen jetzt ändern“.