Arbeitsrecht28.01.2022 Newsletter
Kurzarbeit: Rechtssicherheit und Überraschungen durch das BAG
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in wichtigen Fragen zum Thema Kurzarbeit geäußert und damit gleichermaßen für Rechtssicherheit und Überraschung gesorgt. So hat das BAG in seiner vielbeachteten Entscheidung zu Corona-bedingten Betriebsschließungen im Rahmen eines „obiter dictum“ darauf hingewiesen, dass Arbeitgeber im Einzelfall dazu verpflichtet sein können, bei Betriebsschließungen Kurzarbeit einzuführen. In einer weiteren Entscheidung hat das BAG in Urlaubsfragen – ganz im Sinne seiner bisherigen Rechtsprechungsrichtlinie – klargestellt, dass Zeiten geleisteter Kurzarbeit den Urlaubsanspruch von Beschäftigten reduzieren können.
Unsere Arbeitsrechtsexperten erläutern nachfolgend die wichtigsten Punkte der Entscheidungen.
Schadensersatzpflicht bei Nichteinführung von Kurzarbeit?
Das BAG befasste sich mit der Frage, ob ein Arbeitgeber seinen Beschäftigten Entgelt zahlen muss, wenn der Betrieb wegen einer Allgemeinverfügung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geschlossen werden muss und die Beschäftigten daher nicht eingesetzt werden können (Urteil vom 13. Oktober 2021 – 5 AZR 211/21). Die Entscheidung war brisant, weil der betreffende Arbeitgeber während der Betriebsschließung Kurzarbeit eingeführt hatte, die klagende Arbeitnehmerin allerdings als geringfügig Beschäftigte nicht von den Leistungen des Kurzarbeitergeldes umfasst war.
Öffentlich-rechtlich verfügte Betriebsschließung kein allgemeines Betriebsrisiko
In der Sache entschied das BAG, dass eine zur Bekämpfung der Corona-Pandemie öffentlich-rechtlich verfügte Betriebsschließung nicht zum allgemeinen Betriebsrisiko zähle. Sinngemäß bedeutet das Folgendes: es besteht keine Pflicht zur Lohnfortzahlung, wenn es sich hierbei um einen hoheitlichen Eingriff zur Bekämpfung einer Gefahrenlage handle, die die Gesellschaft insgesamt trifft und die der einzelne Arbeitgeber nicht verursacht oder zu verantworten hat. Etwas Anderes gelte, wenn die Maßnahme gerade darauf abziele, ein im Betrieb des Arbeitgebers angelegtes besonderes Risiko zu minimieren. Das kann der Fall sein, wenn beispielsweise die vom Arbeitgeber gewählten Produktionsmethoden oder -bedingungen eine besondere Ansteckungsgefahr für die Beschäftigten darstellen.
Pflicht zur Kurzarbeit im Blick behalten
Für die Entscheidung nicht tragend – in der aktuellen Corona-Lage aber nicht weniger relevant – führte das BAG in seiner Entscheidung weiter aus: Arbeitgeber können unter gewissen Umständen verpflichtet sein, Kurzarbeit einzuführen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Damit kann es Beschäftigten ermöglicht werden, Kurzarbeitergeld zu beziehen. Auf diese Weise könnten finanzielle Nachteile für die Beschäftigten abgemildert werden, die sich aus einer verfügten Betriebsschließung ergeben. Komme der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nach, bestehe möglicherweise ein Schadensersatzanspruch der Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber in Höhe des entgangenen Kurzarbeitergeldes.
Zweck von öffentlich-rechtlichen Maßnahmen prüfen
In der aktuellen Pandemie-Lage sind weitere Einschränkungen nicht auszuschließen, auch in Form von öffentlich-rechtlich verfügten Betriebsschließungen. Diese können durch die Einführung von Kurzarbeit abgemildert werden, so dass Arbeitgeber davon Gebrauch machen sollten, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund der vom BAG angedeuteten Verpflichtung Im Hinblick auf etwaige Lohnfortzahlungsrisiken sollte bei Betriebsschließungen genau geprüft werden, was Zweck der öffentlich-rechtlichen Maßnahme ist bzw. welchen Risiken eine entsprechende Anordnung begegnen möchte. So könnten Fälle wie die der Betriebsschließungen in der Fleischwirtschaft oder Einschränkungen für Saisonkräfte im Einzelfall anders zu beurteilen sein.
Kürzung des Urlaubsanspruchs bei „Kurzarbeit Null“ zulässig
In zwei gleichgelagerten Fällen hat das BAG nun entschieden, dass der Ausfall ganzer Arbeitstage aufgrund von Kurzarbeit bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen ist (Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 225/21). Die beklagten Arbeitgeber hatten wegen der Corona-Pandemie Kurzarbeit eingeführt. Dies erfolgte in einem Fall durch vertragliche Vereinbarung mit den Beschäftigten, wobei die Vereinbarung keine Kürzungsabrede zum Urlaub beinhaltete. Im zweiten Fall war die Kurzarbeit durch Betriebsvereinbarung eingeführt worden. Dadurch hatten die Beschäftigten jeweils für mehrere Monate wegen Kurzarbeit Null keine Arbeitsleistung erbracht. Die Arbeitgeber kürzten daraufhin den Jahresurlaubsanspruch anteilig.
Nach Ansicht des BAG ist dieses Vorgehen zulässig. Der kurzarbeitsbedingte Ausfall ganzer Arbeitstage rechtfertigte eine unterjährige Neuberechnung des Urlaubsanspruchs. Das BAG stützt sich hierbei auf seine bisherige Rechtsprechungslinie zur Kürzung von Urlaubsansprüchen bei unbezahltem Sonderurlaub oder für Zeiten einer Freistellungsphase der Altersteilzeit. In diesen Fällen fehle es jeweils an einer bestehenden Arbeitspflicht der Beschäftigten. Fallen Arbeitstage wegen einzelvertraglich oder kollektivrechtlich vereinbarter Kurzarbeit aus, seien weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen. Nach den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) bestehe hingegen eine Verknüpfung zwischen der Anzahl der Urlaubstage und der Anzahl der Tage, an denen eine Arbeitspflicht besteht. Der Urlaubsanspruch berechne sich daher auch in diesen Fällen nach der allgemeinen Formel des BAG: 24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht / 312 Werktage.
Entsprechendes gelte auch für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn im Arbeitsvertrag für die Berechnung dieser Ansprüche keine von der Vorschrift des § 3 Abs.1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen worden ist.
Noch offen: Urlaubskürzung auch außerhalb Kurzarbeit Null?
Höchstrichterlich ungeklärt bleibt allerdings die Frage, ob eine Urlaubskürzung auch außerhalb von Kurzarbeit Null in Betracht kommt. Diese Rechtsfrage dürfte im neuen Jahr wegen der aktuellen Regelungen zur Kurzarbeit weiterhin spannend bleiben. Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Osnabrück (Urteil vom 08.06.2021 – 3 Ca 108/21), die noch nicht rechtskräftig ist, soll eine anteilige Kürzung in diesen Fällen unzulässig sein. Die Begründung: Diese Situation sei gerade nicht mit einer andauernden Unterbrechung der gegenseitigen Leistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis vergleichbar. Die Berufung ist beim LAG Niedersachsen unter dem Aktenzeichnen 6 Sa 711/21 anhängig.