Compliance & Internal Investigations01.10.2021 Newsletter
Konzernweites Whistleblowing-System: Für EU-Kommission zu wenig
Viele weltweit tätige Konzerne haben bereits ein zentrales Whistleblowing-System etabliert. Die Erwartung war groß, dass ein solches konzernweites Meldesystem auch den Anforderungen der EU-Hinweisgeberrichtlinie genügen wird. Der EU-Kommission ist das jedoch zu wenig. Für Unternehmen könnte dies einen erheblichen Mehraufwand bei der Neuausrichtung ihrer Hinweisgebersysteme bedeuten.
In zwei aktuell veröffentlichten Stellungnahme vom 2. Juni 2021 und 29. Juni 2021 hat die EU-Kommission erstmalig Auslegungshinweise zur Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeberrichtlinie, Richtlinie (EU) 2019/1937), gegeben. Den Stellungnahmen der EU-Kommission waren Anfragen verschiedener Großkonzerne vorausgegangen.
Eindeutige Absage an nur ein zentrales Meldesystem
Die EU-Kommission hat darin klargestellt, dass zwingend jede „Legal Entity“ mit mehr als 49 Mitarbeitern ein eigenes Whistleblowing-System bereitstellen muss (Art. 8 Abs. 3 der EU-Hinweisgeberrichtlinie). Dies sei nach dem Wortlaut der Richtlinie eindeutig und gelte für eigenständige Gesellschaften ebenso wie für Konzerngesellschaften und unabhängig davon, ob bereits ein konzernweites Hinweisgebersystem bestehe. Zudem sei diese Verpflichtung sowohl aus Gründen der Effizienz der Systeme als auch wegen der zu erwartenden unterschiedlichen Umsetzung der EU-Richtlinie auf nationaler Ebene erforderlich. Entsprechend können konzernangehörige Unternehmen im Bereich des Outsourcings von Hinweisgebersystemen – so die EU-Kommission – nicht als „Dritte“ qualifiziert werden.
Ressourcen-Bündelung nur teilweise zulässig
Zwar sei es grundsätzlich zulässig, dass mittelgroße Tochtergesellschaften (50 bis 249 Mitarbeiter) ihre Ressourcen teilweise bündeln (Art. 8 Abs. 6 der EU-Hinweisgeberrichtlinie). Ebenso sollen sie von den Untersuchungskapazitäten der Muttergesellschaft profitieren können. Dies gelte jedoch nur unter folgenden Voraussetzungen:
- die Meldekanäle der Tochtergesellschaft müssen bestehen und verfügbar bleiben;
- die meldende Person muss eindeutig darüber informiert werden und ihre Zustimmung erteilen, dass die benannte Person oder Abteilung in der Zentrale befugt ist, auf die Meldung zuzugreifen (um die erforderliche Untersuchung durchzuführen);
- die Verantwortung, Vertraulichkeit zu wahren und dem Whistleblower eine Rückmeldung zu geben und das gemeldete Fehlverhalten abzustellen oder zu sanktionieren, verbleibt bei der Tochtergesellschaft.
Keine Ausnahmen für (Tochter-) Gesellschaften mit mehr als 250 Mitarbeitern
Für große (Tochter-) Gesellschaften mit mehr als 250 Mitarbeitern gelten die vorstehenden Erleichterungen dagegen nicht. Diese haben nach Auffassung der EU-Kommission daher zwingend ein eigenes Meldesystem vorzuhalten, das eingehende Hinweise unabhängig vom und außerhalb eines etwaig parallel bestehenden zentralen Hinweisgebersystems bearbeiten kann. Konzernen ist es somit durchaus erlaubt, parallel ein zentrales Whistleblowing-System zu unterhalten. Dieses kann aber ein dezentrales Meldesystem auf Ebene jeder Tochtergesellschaft nicht ersetzen.
Und was gilt bei gesellschaftsübergreifenden Verstößen?
Sollte ein Hinweis eingehen, der auf einen gesellschaftsübergreifenden Verstoß hinweist, darf eine Untersuchung laut EU-Kommission auf Konzernebene nur erfolgen, wenn der Hinweisgeber zuvor über die geplante Weiterleitung der Meldung informiert wurde und sein Einverständnis zur Abgabe erteilt. Ist der Hinweisgeber mit der Abgabe allerdings nicht einverstanden, soll er seine Meldung „zurücknehmen″ und eine externe Meldung bei der zuständigen Behörde abgeben können. Dies kann jedoch zu gewichtigen Folgewirkungen führen, die von der EU-Kommission allerdings nicht weiter thematisiert werden und die Unternehmen insoweit ratlos zurücklassen.
Das Risiko der gewünschten Weiterleitung und Bearbeitung der Meldung auf Konzernebene verbliebe insoweit beim Unternehmen. Dieses muss sich daher gut überlegen, ob es den Hinweisgeber um ein solches Einverständnis bittet und damit das Risiko der „Rücknahme“ und Recht zur „externen“ Anzeige gegenüber der staatlich betriebenen Meldestelle eingeht. Oder es führt die Untersuchungen dann doch lieber notgedrungen auf Ebene der Tochtergesellschaft durch, bei der der Hinweis eingegangen ist.
Wenig Effizienz durch Doppelstrukturen
Diese Stellungnahme wird für viele Unternehmen – insbesondere mit Matrixstrukturen – sehr ernüchternd und weltfremd sein, dürfte doch gerade die Effizienz der Meldewege dadurch faktisch torpediert werden. Schließlich führt eine zentrale Bearbeitung von eingegangenen Hinweisen regelmäßig zu Erfahrungs- und Effizienzgewinnen und ist kostenschonender für die Konzerne. Stattdessen dürfte nunmehr die Implementierung von Doppelstrukturen erforderlich werden, was zusätzliche personelle Ressourcen und damit weiteren Kostenaufwand erfordert.
Zwar ist die Stellungnahme der EU-Kommission für deutsche Gerichte nicht bindend, allerdings ist zu vermuten, dass sich der deutsche Gesetzgeber dieser Auffassung zwecks richtlinienkonformer Implementierung, die bis zum 17.12.2021 erfolgen muss, anschließen wird.
Anpassungen eigener Melde- und Untersuchungsstellen prüfen
Aber selbst, wenn das nationale Umsetzungsgesetz in dieser Hinsicht „großzügiger“ verfasst sein sollte, birgt eine Abweichung von den Vorgaben der europäischen Hinweisgeberrichtlinie stets die Gefahr, dass sich Hinweisgeber in diesem Fall direkt an die externe Meldestelle wenden, was naturgemäß nicht im Unternehmensinteresse liegen dürfte. Daher sollten in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallende Unternehmen schon heute über mögliche Anpassungen der eigenen (ggf. bisher konzernweiten) Melde- und Untersuchungsstelle nachdenken, um Meldungen unabhängig von den anderen Legal-Einheiten des Konzerns in Zukunft unabhängig bearbeiten zu können. Je nach Gesellschaftsstruktur ist unter diesem Gesichtspunkt auch das Outsourcing der Meldestelle an externe Dritte unter Kostengesichtspunkten zu erwägen.