Arbeitsrecht29.01.2025 Newsletter
Kein digitales Zugangsrecht einer Gewerkschaft zum Betrieb – BAG setzt institutioneller Koalitionsfreiheit Grenzen
Mit seiner Entscheidung vom 28. Januar 2025 (s. Pressemeldung) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass ein Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, einer Gewerkschaft die dienstlichen E-Mail-Adressen seiner Mitarbeitenden zum Zwecke der Mitgliederwerbung mitzuteilen. Damit setzt das BAG der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsfreiheit klare Grenzen und beschränkt die Arbeitgeberpflichten in diesem Zusammenhang auf bloße Duldungshandlungen.
1. Sachverhalt
Die Beklagte führt einen Betrieb mit mehreren tausend Mitarbeitenden und ist Teil eines weltweiten Konzerns. Nach einer in dem Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung können die Mitarbeitenden rund 40% ihrer individuellen Arbeitszeit mobil oder im Home-Office arbeiten. Der überwiegende Teil der betriebsinternen Kommunikation findet dabei über die dienstlichen E-Mail-Adressen, die von Microsoft 365 entwickelte Anwendung Viva Engage sowie über das konzernweite Intranet statt.
Die klagende Gewerkschaft hat die Auffassung vertreten, ihr müsse für die Mitgliederwerbung einen „Zugang“ zu den vorgenannten Kommunikationssystemen eingeräumt werden. Die Beklagte sei daher u. a. verpflichtet, ihr sämtliche betrieblichen E-Mail-Adressen der Mitarbeitenden zu übermitteln. Zumindest habe sie einen solchen Anspruch, um den Mitarbeitenden bis zu 104 E-Mails im Jahr mit einer Größe von bis zu 5 MB zu übersenden. Zudem sei ihr ein Zugang als „internal user“ zum konzernweiten Netzwerk bei Viva Engage zu gewähren, damit sie dort eine bestimmte Anzahl werbender Beiträge einstellen könne. Außerdem müsse die Beklagte auf der Startseite ihres Intranets eine Verlinkung mit der Webseite der Klägerin vornehmen.
2. Entscheidung des LAG Nürnberg
Das LAG Nürnberg wies die Klage der Gewerkschaft mit Urteil vom 26. September 2023 (7 Sa 344/22) ab.
Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen an, dass der geforderte Zugang zu sämtlichen betrieblichen Kommunikationsmitteln eine Datenverarbeitung darstelle und es insoweit an einer zulässigen Rechtsgrundlage fehle. Darüber hinaus hätten die Mitarbeitenden nicht die Weitergabe ihrer E-Mail-Adressen an die Gewerkschaft eingewilligt. Insoweit bestünde auch keine Pflicht des Arbeitgebers, anlasslos eine solche Einwilligung einzuholen.
Im Hinblick auf die Verpflichtung zur Einrichtung einer betriebsinternen E-Mail-Adresse zog das Gericht einen Vergleich zur analogen Welt. Insoweit bestünde auch kein Recht auf Verteilung von Informationsmaterial der Gewerkschaft über die betriebsinterne Poststelle. Vielmehr könne sie selbst unter Einsatz eigener sachlicher und personeller Ressourcen Werbe- oder Informationsbroschüren herstellen und diese unter Inanspruchnahme ihres Zugangsrechts nach § 2 Abs. 2 BetrVG an die Mitarbeitenden im Betrieb verteilen. Eines Rückgriffs auf die Betriebsmittel des Arbeitgebers bedürfe es dabei nicht. Auch bestünde kein Anspruch auf Verlinkung der Internetseite der Gewerkschaft im Intranet der Beklagten. Insbesondere bestehe in diesem Zusammenhang keine planwidrige Regelungslücke im BetrVG, sodass ein Rückgriff auf § 9 Abs. 2 BPersVG, wonach eine Verlinkung auf die Gewerkschaftsseite im Intranet vorzunehmen ist, ausscheide.
3. Bestätigung durch das BAG
Das BAG hat die Entscheidung des LAG Nürnberg im Grundsatz bestätigt. Der Pressemitteilung ist zu entnehmen, dass nach Abwägung der widerstreitenden Grundrechte der Parteien und mangels Vorliegen einer gesetzlichen Regelung die bloße Übermittlung der betrieblichen E-Mail-Adressen nicht zur Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungsfreiheit geeignet sei. Ebenfalls sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die betrieblichen E-Mail-Adressen mitzuteilen und deren Verwendung zu dulden, da hierdurch die verfassungsrechtlich garantierte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit erheblich beeinträchtigt sei. Das BAG verwies die klagende Gewerkschaft insofern auf den analogen Weg: So könne sie die Arbeitnehmer vor Ort im Betrieb nach ihrer betrieblichen E-Mail-Adresse fragen.
Ebenfalls habe die Gewerkschaft kein Recht auf Nutzung des konzernweiten Netzwerks bei Viva Engage. Das BAG stellte fest, dass die damit verbundenen Beeinträchtigungen des Arbeitgebers die geschützten Interessen der Klägerin an der Durchführung solcher Werbemaßnahmen übersteigen.
Auch der auf die Vornahme einer Verlinkung im Intranet der Beklagten abzielende Klageantrag war unbegründet. Die Klägerin konnte ihr Begehren mangels einer planwidrigen Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz nicht auf eine analoge Anwendung von § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG stützen. Ob sich ein solches Begehren grundsätzlich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben kann, ließ der Senat allerdings offen. Jedenfalls kann die Klägerin nicht verlangen, dass ein auf ihre Webseite verweisender Link auf der Startseite des Intranets angebracht wird.
4. Fazit
Die Entscheidung des BAG ist vor dem Hintergrund des digitalen Zeitalters sowie einer stetig wachsenden Digitalisierung von höchster praktischer Relevanz und schafft Rechtssicherheit im Hinblick auf eine heftig umstrittene Rechtsfrage.
Mit Spannung bleiben aber die Entscheidungsgründe abzuwarten. Denn im Hinblick auf eine Verlinkung der Internetseite der Gewerkschaft wurde ausweislich der Pressemitteilung lediglich entschieden, dass eine solche Verlinkung nicht auf der Startseite des Intranets vorgenommen werden muss. Ob sich ein Anspruch aus Art. 9 Abs. 3 GG ableiten lässt, wonach eine Verlinkung an anderer Stelle im Intranet vorzunehmen ist, wurde explizit offengelassen.
Das BAG hat durch sein Urteil auch bereits grundgesetzliche Grenzen im Hinblick auf eine mögliche gesetzliche Regelung aufgezeigt. So sah der Referentenentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes und weitere Maßnahmen („Tariftreuegesetz“), welcher am 5. September 2024 veröffentlicht wurde, die Kodifizierung eines digitalen Zugangsrecht für Gewerkschaften vor (s. unser Beitrag v. 11. Oktober 2025). Zwar wurde im Ergebnis ein solches Zugangsrecht nicht weiter von der noch aktuellen Bundesregierung verfolgt. Ob durch die im Februar neu zu wählende Bundesregierung ein zweiter Anlauf gewagt werden wird, bleibt abzuwarten.