Außenhandel12.05.2022 Newsletter
Investitionsprüfungen: Kein Spielraum bei ausländischen Direktinvestitionen aus Russland und Belarus
Die EU-Kommission will eine umfassende und restriktive Anwendung von Investitionsprüfungen durch die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten anstoßen. Das geht aus den Anfang April 2022 veröffentlichen Leitlinien zum Umgang mit ausländischen Direktinvestitionen aus Russland und Belarus hervor. Es ist zu erwarten, dass auch das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ein besonderes Augenmerk auf M&A-Transaktionen mit russischer Beteiligung auf Erwerberseite haben wird. Beim Erwerb von Beteiligungen an sensiblen Unternehmen durch staatsnahe russische und belarussische Unternehmen wird zukünftig eine Beeinträchtigung öffentlicher Sicherheitsinteressen angenommen.
Die EU-Kommission hat am 6. April 2022 Leitlinien für die Mitgliedstaaten zum Umgang mit ausländischen Direktinvestitionen aus Russland und Belarus veröffentlicht. Mit den Leitlinien fordert die EU-Kommission die Mitgliedstaaten unter Verweis auf die EU-Screening Verordnung ((EU) 2019/452) auf, von ihren nationalen Instrumenten zur Investitionsprüfung für Investoren aus diesen Ländern in besonderem Maße Gebrauch zu machen. Ziel ist es, dass in Reaktion auf den andauernden Völkerrechtsbruch Russlands auch das Instrument der Investitionsprüfung unionsweit einheitlich und konsequent – spiegelbildlich zu den Sanktionen – angewendet wird. Wenngleich entsprechende Leitlinien der Kommission gegenüber den Mitgliedstaaten keine Bindungswirkung entfalten, ist ihre Bedeutung für die Anwendungspraxis der nationalen Behörden nicht zu unterschätzen.
Konkret fordert die EU-Kommission die Mitgliedstaaten dazu auf, jede Investition in kritische Vermögenswerte in der EU unter direkter oder indirekter Beteiligung von Personen oder Einrichtungen, die mit der russischen oder belarussischen Regierung verbunden sind, als mögliche Bedrohung für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung anzusehen.
Übersetzt auf das deutsche Investitionsprüfverfahren bedeutet dies: Erwerbsvorgänge, bei denen ein russischer oder belarussischer Investor unmittelbar oder mittelbar eine Beteiligung von 10% oder 20% (je nach Fallgruppe) der Stimmrechte an einem inländischen Unternehmen erwirbt, das in eine der besonders sensiblen Kategorien fällt, werden regelmäßig eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Sensible Kategorien ergeben sich aus § 60 Abs. 1 AWV (z. B. Waffen und Rüstungsgüter) oder aus § 55a Abs. 1 AWV (z. B. Kritische Infrastruktur oder Technologien).
Üblicherweise können Sicherheitsbedenken beim Erwerb von Beteiligungen an sensiblen Unternehmen durch entsprechende Vorkehrungen wie z. B. den Abschluss einer Sicherheitsvereinbarung ausgeglichen werden. Hingegen bleibt bei einem Erwerb durch russische oder belarussische Investoren kaum Spielraum. Vielmehr wird der Beurteilungsspielraum der Behörde bei der Prüfung einer Beeinträchtigung für die öffentliche Sicherheit letztlich auf Null reduziert. Der russische oder belarussische Hintergrund des unmittelbaren oder mittelbaren Erwerbers genügt in diesen Fällen bereits für die Annahme einer Beeinträchtigung.
Überprüfbare Erwerbsvorgänge können dabei auch andere Formen des Kontrollerwerbs, Aufstockungen bestehender Beteiligungen und konzerninterne Umstrukturierungen jenseits der Ausnahmeregelung in § 55 Abs. 1 b AWV sein. Zudem kann das BMWK jegliche Formen von Umgehungskonstellationen aufgreifen, bei denen die Identität russischer oder belarussischer Investoren verschleiert werden soll.
Darüber hinaus erkennt die EU-Kommission bei Investitionen außerhalb kritischer Vermögenswerte im Falle direkter oder indirekter Beteiligung russischer oder belarussischer Investoren ein stark erhöhtes Risiko einer Bedrohung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Erneut übersetzt auf das deutsche Investitionsprüfverfahren bedeutet dies: Auch außerhalb der nach § 60 Abs. 1, § 55a Abs. Abs. 1 AWV meldepflichtigen Kategorien, also beim Erwerb inländischer Unternehmen ohne besondere Sicherheitsrelevanz, kann die Beteiligung eines russischen oder belarussischen Investors von mindestens 25% der Stimmrechte die Einleitung eines Investitionsprüfverfahrens von Amts wegen auslösen.
Für die Transaktionspraxis bedeutet dies insbesondere:
- Jegliche direkte oder indirekte Beteiligung russischer oder belarussischer Investoren oberhalb von 10% sollte geprüft werden. Sie sollte im Zweifel dem BMWK im Rahmen einer Erwerbsmeldung oder einem freiwilligen Antrag auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung mitgeteilt werden.
- Erfolgt die Beteiligung an dem inländischen Unternehmen über mehrstufige Holdingsstrukturen, ist unbedingt auf jeder Stufe der Beteiligungskette die Beteiligung russischer oder belarussischer Unternehmen oder Personen zu prüfen. Bei Unternehmen ist insoweit auf den Sitz abzustellen; bei Personen sind Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthaltsort zu prüfen.
Bei der Prüfung geeigneter Transaktionsstrukturen ist zu berücksichtigen, dass Zahlungen, Anteilsübertragungen oder die Übertragung bestimmter Technologien anlässlich eines Erwerbsvorgangs an russische oder belarussische Unternehmen Finanzsanktionen und Handelsbeschränkungen unterfallen können.