Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern: EuGH-Urteil setzt neue Maßstäbe

Ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 29.7.2024, C-298/22) rückt die kartellrechtlichen Grenzen des Informationsaustauschs in den Vordergrund. Der Gerichtshof stellt klar, wann ein Informationsaustausch eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 AEUV darstellt. Bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen muss die Kartellbehörde konkrete wettbewerbsschädliche Auswirkungen auf den betroffenen Markt nicht nachweisen. Ein Informationsaustausch mit Wettbewerbern ist daher stets mit einem hohen kartellrechtlichen Compliance-Risiko verbunden.

Der Fall

Hintergrund des Verfahrens war eine Entscheidung der portugiesischen Wettbewerbsbehörde AdC, die Bußgelder gegen mehrere Kreditinstitute verhängt hatte. Die Institute hatten vertrauliche Informationen über Kreditkonditionen und Produktionszahlen ausgetauscht, was als Verstoß gegen Artikel 101 AEUV gewertet wurde.

Die AdC stufte den Austausch als „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ ein, ohne die tatsächlichen Auswirkungen auf den Markt zu prüfen. Die Kreditinstitute wehrten sich vor Gericht, argumentierten jedoch letztlich vergeblich, dass der Austausch nicht automatisch wettbewerbsschädlich sei und der wirtschaftliche Kontext zu wenig berücksichtigt wurde.

Das Urteil

Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die den Wettbewerb verhindern, einschränken oder verfälschen. Dabei kann bereits die „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ ausreichen, ohne dass konkrete Auswirkungen auf den Markt nachgewiesen werden müssen. Es genügt, dass die Form der Koordinierung zwischen den Unternehmen als hinreichend schädlich für einen funktionierenden Wettbewerb angesehen wird.

Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen Informationsaustausch, der auf vertraulicher Basis stattfand und sensible Daten wie zukünftige Kreditmargen und Risikoparameter betraf. Der Gerichtshof betont, dass der Austausch vertraulicher, strategischer Informationen dazu führen kann, dass die beteiligten Unternehmen ihre künftigen Marktentscheidungen nicht mehr unabhängig treffen, sondern stillschweigend aufeinander abstimmen. Dies verfälsche den Wettbewerb erheblich, insbesondere auf stark konzentrierten Märkten, wie es hier der Fall war.

Den Begriff der „strategischen Informationen“ versteht der EuGH weit. Er umfasst alle nicht bereits bekannten Daten, die sich auf einen Wettbewerbsparameter beziehen und die die Ungewissheit der Beteiligten über das künftige Verhalten der anderen Beteiligten verringern können. Daher stufte der Gerichtshof auch den Austausch von Produktionszahlen als wettbewerbsverzerrend ein, weil diese Informationen zur Vorhersage des Marktverhaltens der Wettbewerber genutzt werden konnten.

Der Gerichtshof entschied, dass ein Austausch strategischer Informationen dann als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung anzusehen ist, wenn den Unternehmen dadurch ermöglicht wird, eine Ungewissheit im Wettbewerb zu beseitigen. Nach Ansicht des EuGH muss in diesen Fällen für die Bejahung eines Kartellverstoßes nicht nachgewiesen werden, dass die ausgetauschten Informationen die beteiligten Unternehmen tatsächlich zu einem koordinierten Verhalten veranlasst haben und welche Auswirkungen der Austausch auf das Marktverhalten der beteiligten Unternehmen tatsächlich hatte. Er weist außerdem auf seine ständige Rechtsprechung hin, wonach auch ein nur gelegentlicher Informationsaustausch eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen kann.

Konsequenzen für Unternehmen

Das Urteil des EuGH unterstreicht das hohe Risiko, das mit dem Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen verbunden ist. Bereits der sporadische Austausch strategischer Daten zwischen Wettbewerbern kann kartellrechtliche Verstöße begründen und erhebliche Bußgelder nach sich ziehen. Kartellbehörden müssen im Zweifel noch nicht einmal nachweisen, dass der Informationsaustausch konkrete Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen den beteiligten Unternehmen hatte. Schon der Nachweis der Beteiligung an einem Informationsaustausch an sich kann für eine Sanktionierung ausreichen.

Unternehmen sollten daher größte Sorgfalt walten lassen und sicherstellen, dass sie über ein funktionierendes und effektives kartellrechtliches Compliance-Programm verfügen, das nicht nur böse Absichten, sondern auch unbeabsichtigte Verstöße verhindert. Mitarbeiter und Führungsorgane sollten hinreichend für dieses Risiko sensibilisiert werden, damit Verstöße frühzeitig erkannt und im besten Fall ganz vermieden werden.

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Dr. Daniel Dohrn

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