Private ClientsSteuerrecht / Nachfolge, Vermögen, Stiftungen19.08.2022 Newsletter
Immobilie geerbt: Wann keine Erbschaftsteuer anfällt
Das Familienheim unterliegt nicht der Erbschaftsteuer, wenn die vererbte Immobilie von der Familie weiterhin bewohnt wird. Vorsicht ist geboten, wenn die Immobilie kurzzeitig z. B. wegen Renovierungsarbeiten leer steht oder die Selbstnutzung aufgegeben werden soll. Nur ausnahmsweise kann dann die Steuerbefreiung genutzt werden. In einer Reihe jüngerer Entscheidungen hat die Rechtsprechung die Voraussetzungen für das Eingreifen der Steuerbefreiung konkretisiert.
Der Gesetzgeber sieht eine Steuerbefreiung für den Fall vor, dass die von der Familie genutzte Immobilie im Erbfall auf den Ehegatten oder die Kinder übergeht. Die Immobilie muss sich in einem EU/EWR-Staat befinden. Beim Übergang auf die Kinder darf zudem die Wohnfläche nicht mehr als 200 qm betragen.
Steuerbefreiung bei Nutzung als Wohnimmobilie
Schließlich setzt die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung voraus, dass die Immobilie von dem Erblasser bis zum Erbfall zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurde oder dieser aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung gehindert war und die Erwerber (Ehegatten oder Kinder) die Immobilie unverzüglich (wieder) zu Wohnzwecken nutzen. Die Steuerbefreiung fällt rückwirkend weg, wenn die Nutzung innerhalb der nächsten zehn Jahre nach Erbfall beendet wird, es sei denn, hierfür bestehen zwingende Gründe.
Will man von der Steuerbefreiung Gebrauch machen, ist es wichtig, dass die Immobilie unverzüglich von der Familie (weiter) zu Wohnzwecken genutzt wird. Unverzüglich heißt, dass die Erben in einem Zeitraum von sechs Monaten eingezogen sein müssen. Der Bundesfinanzhof hat sich dazu zuletzt in mehreren Urteilen intensiv mit der Frage der vorausgesetzten weiteren Selbstnutzung auseinandergesetzt.
Gründe für Verzögerung dürfen nicht dem Erwerber anzulasten sein
Im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH v. 06.05.2021, Az. II R 46/19) wird den Voraussetzungen für eine unverzügliche Selbstnutzung nachgegangen. Im konkreten Fall hatte der Erblasser eine Doppelhaushälfte bewohnt, die andere Hälfte bewohnte der Erwerber. Nach Eintritt des Erbfalls wurden die Doppelhaushälften von dem Erwerber verbunden und sollte nach Renovierungsarbeiten insgesamt zu eigenen Wohnzwecken genutzt werden. Allerdings begann er mit der gemeinsamen Nutzung erst 34 Monate nach dem Erbfall, nachdem die Renovierungsarbeiten abgeschlossen wurden. Zuvor nutzte er die Hälfte des Erblassers lediglich als Lagerraum und hielt sich in dem zugehörigen Garten auf.
Das Gericht stellte klar, dass die Immobilie eines Erblassers „bezogen“ wird, wenn zwei räumlich aneinandergrenzende Doppelhaushälften verbunden und einheitlich genutzt werden. Die durch die Renovierungsarbeiten eingetretene Verzögerung bei der Nutzung ist unschädlich, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass von Anfang an eine Selbstnutzung stattfinden sollte und der Erwerber die Durchführung der Renovierungsarbeiten angemessen fördert, d. h. insbesondere die Verzögerung nicht ihm zur Last gelegt werden kann. Eine zeitliche Verzögerung ist dem Erwerber nicht anzulasten, wenn er die Renovierungsarbeiten unverzüglich in Auftrag gibt, die beauftragten Handwerker sie aber nicht rechtzeitig ausführen können, z. B. wegen einer hohen Auftragslage.
Gesundheitliche Gründe können Verzögerung begründen
Nach einem weiteren aktuellen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH v. 16.03.2022, Az.: II R 6/21) ist eine Verzögerung auch nicht dem Erwerber anzulasten, wenn er aus gesundheitlichen Gründen gehindert war, die Arbeiten unverzüglich in Auftrag zu geben. Im entschiedenen Fall wurde die Renovierung bedingt durch die Umstände einer Hüftgelenksarthrose und eines Fersensporns verzögert in Auftrag gegeben, sodass der Einzug erst rund 15 Monate nach dem Tod des Erblassers erfolgte.
Auch bei renovierungsbedürftigen Immobilien sollte der Einzug möglichst schnell erfolgen. Erfolgt er später als sechs Monate nach dem Erbfall, trägt der Erwerber die Beweislast dafür, dass der Einzug noch unverzüglich war. Im Fall einer geplanten Renovierung empfiehlt es sich daher, durch Kommunikation via Email oder Schriftverkehr belegen zu können, dass die Verzögerungen nicht dem Erwerber anzulasten sind.
BFH zu neu eintretenden gesundheitlichen Problemen
Ein weiteres Urteil beschäftigt sich schließlich mit der Frage, wann es unschädlich ist, die nach Eintritt des Erbfalls zunächst selbstgenutzte Immobilie wieder aufzugeben. Unstreitig ist, dass solche zwingenden Gründe vorliegen können, wenn die Selbstnutzung aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar ist. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs muss es sich nicht um bereits eingetretene gesundheitliche Probleme handeln, die die Nutzung der Immobilie verhindern (vgl. BFH v. 01.12.2021, Az.: II R 1/21): Ein zwingender Grund kann sein, dass eine weitere Nutzung der Immobilie voraussichtlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands führen wird. Im Einzelfall können auch psychische Erkrankungen ausreichend sein. Das Urteil ist bisher noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht und damit nicht für die Finanzverwaltung verbindlich anzuwenden. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich die Finanzverwaltung dazu positionieren wird.
Soll die Selbstnutzung des Familienheims vor Ablauf der erforderlichen zehn Jahre aus gesundheitlichen Gründen beendet werden, sollte in jedem Fall durch ein ärztliches Gutachten dokumentiert werden können, weshalb eine Selbstnutzung nicht mehr möglich ist.