Arbeitsrecht18.10.2024 Newsletter
Formerleichterungen im Arbeitsrecht durch das Bürokratieentlastungsgesetz IV
Der Bundesrat hat am 18. Oktober 2024 dem Vierten Bürokratieentlastungsgesetz („BEG IV“) zugestimmt. Das BEG IV soll vereinfachte Arbeitsabläufe ermöglichen und so die Wirtschaft von überflüssiger Bürokratie entlasten. Nach Anpassungen im Gesetzgebungsprozess erfährt auch das Arbeitsrecht erhebliche Erleichterungen bei Formerfordernissen.
Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die im Arbeitsrecht geltenden Formerfordernisse und wendet sich den Erleichterungen durch das BEG IV
1. Generelles zu Formerfordernissen im Arbeitsrecht
1.1 Formerfordernisse des BGB
Arbeitsverträge sind Dienstverträge (vgl. § 611a BGB). Insoweit sind zunächst allgemein zivilrechtliche Vorgaben zu beachten.
Im BGB gilt der Grundsatz der Formfreiheit: Einer besonderen Form bedarf ein Rechtsgeschäft danach nur, wenn dies ausdrücklich im Gesetz vorgeschrieben oder durch einen Vertrag vereinbart ist. Ist dies nicht der Fall, so kann das in Rede stehende Rechtsgeschäft formlos erfolgen. Das BGB kennt folgende Formerfordernisse:
- Ist durch das Gesetz die Schriftform vorgeschrieben, so muss nach § 126 Abs. 1 BGB die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werden („wet ink“). Am bekanntesten hierbei ist das Schriftformerfordernis für Kündigungen, vgl. § 623 BGB. Bei einem per Gesetz in Schriftform vorgesehenen Vertrag müssen die Unterschriften auf derselben Urkunde erfolgen. Liegt keine gesetzliche Formvorgabe vor, aber die Vertragsparteien vereinbaren die Schriftform, dann gelten über § 127 BGB die gesetzlichen Vorgaben; § 127 BGB gilt insoweit auch für elektronische Form und Textform.
- Die Schriftform kann gem. § 126 Abs. 3 BGB durch die elektronische Form nach §126a BGB ersetzt werden, wenn das Gesetz dies nicht ausdrücklich ausschließt (so z. B. für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen, vgl. § 623 Hs. 2 BGB). Um die schriftliche Form durch die elektronische Form zu ersetzen, muss der Aussteller der Erklärung das Dokument gem. § 126a Abs. 1 BGB mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Bei einem Vertrag müssen die Parteien jeweils ein gleichlautendes Dokument qualifiziert signieren, wobei dies nacheinander erfolgen kann. Die Ausstellung des erforderlichen qualifizierten Zertifikats ist den sogenannten Vertrauensdienstanbietern vorbehalten. Die eingesetzten Tools müssen den europäischen Anforderungen an die elektronische Form nach der sog. eIDAS-VO genügen.
- Die geringsten Anforderungen stellt die Textform gem. § 126b Abs. 1 S. 1 BGB. Diese ist gewahrt, wenn die Person des Erklärenden genannt und die Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger gespeichert ist. Zur Wahrung der Textform genügt daher auch eine einfache E-Mail.
1.2 Besondere arbeitsrechtliche Schriftformregelungen
Das Arbeitsrecht kennt eine Vielzahl an Rechtsgeschäften, die die Schriftform erfordern. Zu den wichtigsten zählen:
- die Befristungsabrede, § 14 Abs. 4 TzBfG,
- das nachvertragliches Wettbewerbsverbot, § 74 Abs. 1 HGB,
- die Betriebsvereinbarung, § 77 Abs. 2 S. 1, 3 BetrVG.
1.3 Sonstige Formerfordernisse
Für die tägliche HR-Praxis auch wesentlich zu beachten sind Formerfordernisse, die sich aus Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen ergeben können. Beispielsweise enthalten vielfältige Tarifverträge konkrete Vorgaben dahingehend, dass Arbeitsverträge und Nebenabreden nur „schriftlich“ vereinbart werden dürfen.
1.4 Warn-und Beweisfunktion der Schriftform
Das aktuell sehr weitreichende Schriftformerfordernis ist mit den Funktionen der Schriftform zu begründen. Die Schriftform hat eine Warnfunktion und eine Beweisfunktion. Diese sollen den Unterzeichner vor einer übereilten Erklärung nochmals warnen, dass er ein erhebliches Rechtsgeschäft eingeht (Warnfunktion) und zur Sicherung als Beweis im Rechtsverkehr dienen (Beweisfunktion).
Der politische Diskurs um eine Änderung des Schriftformerfordernisses hat nicht zuletzt auch deswegen so viel Zeit in Anspruch genommen, weil diese Funktionen der Schriftform für eine Vielzahl von Rechtsgeschäften gelockert werden sollen und sich mithin u. a. die Frage stellt, inwieweit dies Auswirkungen auf den Rechtsverkehr haben könnte.
1.5 Betriebliche Kommunikation über Kurznachrichtendienste
Außerhalb rechtlicher Formvorgaben sollten Führungskräfte in der HR-Praxis beachten, dass für eine Reihe von Erklärungen zwar keine besondere Form vorgeschrieben ist, aufgrund der damit verbundenen Rechtsfolgen aber dennoch deren Zugang und die Einhaltung von formalen Anforderungen nachgewiesen werden müssen.
Dies ist bei der Verwendung von Kurznachrichtendiensten nicht sichergestellt. Folglich sollten diese Kommunikationsmittel nur verwendet werden, soweit dies aufgrund eines Tarifvertrags oder Betriebsvereinbarung im Einzelfall zulässig ist.
2. Formerleichterungen durch das BEG IV
Das BEG IV setzt diverse Formerleichterungen für die tägliche HR-Praxis um. Folgendes zählt zu den wichtigsten Neuerungen:
2.1 Nachweis über Arbeitsbedingungen in modifizierter Textform
Nachdem der Gesetzgeber zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1152 („Arbeitsbedingungenrichtlinie“) erst zum 1. August 2022 die Pflicht zur schriftlichen Niederlegung der wesentlichen Arbeitsbedingungen im Nachweisgesetz („NachwG“) verankerte, kommt jetzt die Rolle rückwärts: Zukünftig soll gem. § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG n. F. die Niederschrift der wesentlichen Arbeitsbedingungen in Textform genügen, wenn die Niederschrift unter den im Gesetz geregelten näheren Voraussetzungen elektronisch an die Arbeitnehmer übermittelt wird und diese den Empfang nachweisen. Die Übermittlung muss dabei jeweils individuell an die Arbeitnehmer erfolgen. Eine allgemeine Bekanntmachung reicht nicht aus.
Praxistipp: Arbeitgeber sollten beachten, dass die vorstehenden Grundsätze nicht für befristete Arbeitsverträge gelten. Diese bedürfen zu ihrer Wirksamkeit gem. § 14 Abs. 4 TzBfG weiterhin der Schriftform.
Auf Verlangen des Arbeitnehmers muss diesen auch zukünftig ein schriftlicher Nachweis der Arbeitsbedingungen erteilt werden. Zudem gilt auch für die in § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Branchen die Schriftform fort.
2.2 Überlassungsvereinbarung zwischen Verleiher und Entleiher
Darüber hinaus soll auch für den Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG n. F. zukünftig die Textform genügen. Liegen die übrigen Voraussetzungen vor (insbesondere eine gültige Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung), kann der Überlassungsvertrag zukünftig auch per E-Mail abgeschlossen werden.
Das Leiharbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer soll nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers von den Änderungen unberührt bleiben (BT-Drs. 20/13015, S. 124). Allerdings kommen über den Verweis in § 11 Abs. 1 AÜG die Bestimmungen des NachwG zur Anwendung. Danach gilt zukünftig für Leiharbeitsverträge – wie auch für Standardarbeitsverträge – das modifizierte Textformerfordernis des NachwG (siehe dazu oben).
Praxistipp: Arbeitgeber sollten darauf achten, dass Leiharbeitsverträge die in § 11 Abs. 1 S. 2 AÜG zusätzlich genannten Angaben enthalten. Diese sind dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen zusammen mit den wesentlichen Arbeitsbedingungen nach dem NachwG in Papierform zu übergeben.
2.3 Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze
Für Vereinbarungen zur Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zur Regelaltersgrenze genügt zukünftig die Textform. Diese Ausnahme vom Schriftformerfordernis für Befristungsregelungen nach § 14 Abs. 4 TzBfG regelt nunmehr der neu geschaffene Abs. 2 in § 41 SGB VI.
Praxistipp: Häufig sind entsprechende Regelungen in den Arbeitsvertrag integriert. In diesen Fällen ist das modifizierte Textformerfordernis des NachwG zu beachten.
Die Abschaffung der Schriftform für Altersgrenzenregelungen im Arbeitsvertrag ist folgerichtig. Das Schriftformerfordernis bei befristeten Arbeitsverträgen soll dem Arbeitnehmer vor Augen führen, dass das Arbeitsverhältnis keine dauerhafte Existenzgrundlage gewährleistet. Dieses Risiko entfällt bei Erreichen der Regelaltersgrenze, da das Ende des Arbeitsverhältnisses im Regelfall durch den Bezug von Rentenleistungen kompensiert wird.
2.4 Elektronisches Arbeitszeugnis
Das Arbeitszeugnis kann zukünftig mit Einwilligung des Arbeitnehmers in elektronischer Form erteilt werden, § 109 Abs. 3 GewO n. F.
Praxistipp: Das Zeugnis muss jedoch in Schriftform ausgestellt werden, wenn die qualifizierte elektronische Signatur wegen der daraus ersichtlichen Zeitangabe unzulässige Rückschlüsse zulasten des Arbeitnehmers ermöglichen würde und eine Rückdatierung rechtlich erforderlich ist (z. B. bei Zeugnisberichtigungen).
2.5 Modernisierung des Arbeitszeit- und Jugendarbeitsschutzgesetz
Arbeitgeber können ihren Aushangpflichten nach § 16 ArbZG und § 47 JArbSchG zukünftig auch durch elektronische Veröffentlichung über das betriebseigene Intranet nachkommen, sofern alle Beschäftigten freien Zugang zu diesen Informationen haben.
2.6 Vereinbarte Schriftform
Für die Praxis ist von höchster Relevanz, dass das BEG IV keine unmittelbare Wirkung auf Arbeitsverträge, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen hat, die Vorgaben zur Einhaltung der Schriftform haben. Etwaige Änderungen sind mit dem jeweiligen Vertragspartner zur vereinbaren.
3. Überblick über wichtige Formerfordernisse im HR-Bereich
Auch wenn das BEG IV erfreuliche Erleichterungen mit sich bringt, bleiben viele wesentliche Regelungen unverändert. Die nachfolgende Tabelle soll einen Überblick über wichtige Formerfordernisse im HR-Bereich verschaffen:
Geplante Änderungen durch das BEG IV sind fett und kursiv hervorgehoben:
Rechtsgeschäft | Schriftform | Elektronische Form | Textform |
Arbeitsvertrag (einschließlich Änderungsvertrag) | Nicht erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Arbeitszeitverringerung | Nicht erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Arbeitszeugnis | Erforderlich | Zulässig | Nicht zulässig
|
Aufhebungsvertrag | Erforderlich | Nicht zulässig | Nicht zulässig |
Ausbildungszeugnis | Erforderlich | Nicht zulässig | Nicht zulässig |
Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz | Nicht erforderlich | Zulässig | Zulässig nach |
Befristungsabrede | Erforderlich | Zulässig | Nicht zulässig |
Betriebsratsanhörung vorAusspruch einerKündigung | Nicht erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Betriebsvereinbarung | Erforderlich | Zulässig | Nicht zulässig |
Elternzeitbegehren | Erforderlich | Nicht zulässig | Nicht zulässig |
Entschädigung und Schadenersatz nach dem AGG | Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG erforderlich | Zulässig | Zulässig (seit BAG Urt. v. 19. August 2010, 8 AZR 530/09) |
Kündigung | Erforderlich | Nicht zulässig | Nicht zulässig |
Leiharbeitsvertrag zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer (§ 11 Abs. 1 AÜG) | Nicht mehr erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Nachweis über wesentliche Arbeitsbedingungen | Nicht mehr erforderlich (Ausn. Branchen im SchwarzArbG) | Zulässig | Zulässig |
Pflegezeitvereinbarung über teilweise Freistellung | Erforderlich | Nicht zulässig | Nicht zulässig |
Pflegezeitverlangen für vollständige Freistellung | Nicht mehr erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Regelaltersrentenbefristung | Nicht mehr erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Regelungsabrede mit dem Betriebsrat | Nicht erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Teilzeitanspruch bei Elternzeit (Antrag und Annahme/ Ablehnung) | Nicht mehr erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Überlassungsvereinbarung zwischen Verleiher und Entleiher | Nicht mehr erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Unterrichtung des Betriebsrats bei Mitbestimmung | Nicht erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Vorläufige personelle Maßnahme nach | Nicht erforderlich | Zulässig | Zulässig |
Weiterbeschäftigungsanspruch eines Auszubildenden der Jugend- und Auszubildendenvertretung und dessen Ablehnung | Erforderlich | Nicht zulässig | Nicht zulässig |
Wertguthabenvereinbarung § 7b Nr. 1 SGB IV | Erforderlich
| Nicht zulässig | Nicht zulässig |
Wettbewerbsverbot (nachvertraglich) | Erforderlich | Zulässig | Nicht zulässig |
4. Fazit
Die Formerleichterungen sind grundsätzlich insgesamt zu begrüßen. Es gibt nur noch einzelne Vorgaben zur strengen Schriftform (z. B. Kündigungen). In vielen Fällen ist die Schriftform durch die elektronische Form abgelöst, in einige Fällen reicht die Textform. Gerade dieses wird weiterhin kritisiert, denn die Umsetzung der elektronischen Form ist nicht ohne Kosten möglich.
Arbeitgeber können jetzt ihre vorhandenen Prozesse und Dokumentationen prüfen, anpassen und geeignete digitale Alternativen implementieren. Das BEG IV tritt voraussichtlich zum 1. Januar 2025 in Kraft.