18.12.2024 Newsletter
Fokus Arbeitsrecht 4. Quartal 2024
In der letzten Ausgabe des Fokus Arbeitsrecht in diesem Jahr finden Sie den gewohnten Überblick über die wichtigsten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen der letzten Monate sowie neue Gesetzgebung.
Viele arbeitsrechtliche Gesetzesvorhaben der Ampel-Regierung, die im Koalitionsvertrag von 2021 vorgesehen waren, wurden in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode nicht verwirklicht. Was in dieser Hinsicht für die nächsten Jahre zu erwarten ist, wird maßgeblich vom Ausgang der Bundestagswahlen im Februar 2025 abhängen. Es bleibt somit im Arbeitsrecht wie immer spannend!
Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien erholsame Feiertage und alles Gute für das Jahr 2025!
1. Neue Rechtsprechung
1.1 Alle Jahre wieder - Zielvereinbarung oder Zielvorgabe?
1.2 Konzernprivileg oder verdeckte Leiharbeit? Warum „und“ eigentlich „oder“ bedeutet.
1.4 Böswilliges Unterlassen im Annahmeverzug
1.5 Kein Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG in Fällen der Wartezeitkündigung
1.6 Berechnung von Freistellungsansprüchen bei ungleichmäßig verteilter Arbeitszeit
1.7 Passivphase der Altersteilzeit – Anspruch auf Inflationsausgleichsprämie?
1.8 Anforderungen an das Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB – (weitere) Besserung in Sicht?!
1.10 Zwischen Anhören und Abhören – Betriebliche Mitbestimmung bei Headset-Systemen
1.11 Wahlberechtigung von Matrix-Führungskräften bei der Betriebsratswahl
2. Neue Gesetzgebung
Inkrafttreten der Plattformarbeitsrichtlinie am 01.12.2024
3. Sonstiges
Kartellrecht im „War for Talents“ – Was Unternehmen jetzt wissen müssen
1.Neue Rechtsprechung
1.1 Alle Jahre wieder – Zielvereinbarung oder Zielvorgabe?
Variable Vergütungsbestandteile sind regelmäßig an das Erreichen bestimmter Ziele geknüpft. Diese können vereinbart oder vom Arbeitgeber einseitig vorgegeben werden. Eine Klausel, die dem Arbeitgeber im Falle des Scheiterns einer gemeinsamen Zielvereinbarung das Recht einräumt, die Ziele einseitig festzulegen, ist unwirksam, wenn diese Klausel es dem Arbeitgeber ermöglicht, die vertraglich vereinbarte Rangfolge einseitig zu unterlaufen (BAG, Urteil v. 03.07.2024 - 10 AZR 171/23).
Der klagende Arbeitnehmer machte einen Anspruch auf Schadensersatz wegen entgangener Tantieme geltend. Diese war im Arbeitsvertrag davon abhängig gemacht worden, dass bestimmte – vor dem Bewertungszeitraum zu vereinbarende – Ziele erreicht werden. Gleichzeitig behielt sich der Arbeitgeber das Recht vor, die Ziele auch einseitig festlegen zu können, sofern eine einvernehmliche Vereinbarung scheiterte. Tatsächlich lagen die jeweiligen Zielvorstellungen derart auseinander, dass der Arbeitgeber diese für den Bewertungszeitraum einseitig – ohne vorherige Abstimmung – festlegte und im Ergebnis keine Tantieme auszahlte. Der Arbeitnehmer argumentierte, dass eine Zielvereinbarung unterblieben sei und der Arbeitgeber nicht das Recht habe, einseitig Ziele vorzugeben.
Das BAG entschied, dass ein einseitiger Schwenk von der vorrangigen Zielvereinbarung zu einer nachrangigen Zielvorgabe den Arbeitnehmer gemäß § 307 Abs. 1 BGB unangemessen benachteilige. Dieser ermögliche dem Arbeitgeber de facto, die vereinbarte Reihenfolge zu unterlaufen. Daher habe der Arbeitgeber den unterbliebenen Abschluss der Zielvereinbarung – nach allgemeinen Grundsätzen – zu vertreten, da er nicht ausreichend verhandelt habe. Echte Verhandlungen erforderten, dass der Arbeitnehmer zum einen substantiell auf die vorgeschlagenen Ziele Einfluss nehmen kann. Zum anderen ist erforderlich, dass der Arbeitgeber den Kerninhalt der von ihm vorgeschlagenen Zielvereinbarung ernsthaft zur Disposition stellt und dem Arbeitnehmer Gestaltungsfreiheit einräumt, um seine Interessen zu wahren.
Kombinierte Klauseln aus einer vorrangigen Zielvereinbarung und einer als „Notausgang“ konzipierten nachrangigen Zielvorgabe sind in der Praxis weit verbreitet. Daher sollten Arbeitgeber ihre variablen Vergütungsabreden kurzfristig prüfen. Dies v. a. aus zwei Gründen:
- Der Bewertungszeitraum für Zielvereinbarungen orientiert sich regelmäßig am Kalenderjahr. Zudem sind Zielvereinbarungen frühzeitig vor Beginn des Bezugszeitraums abzuschließen. Aufgrund des nahenden Jahreswechsels 2025 ist Eile geboten.
- Das BAG legt in ständiger Rechtsprechung die volle Zielgröße für die Schadensberechnung zu Grunde. Es unterstellt, dass Arbeitnehmer ihre Ziele erreichen, sofern der Arbeitgeber nicht entgegenstehende besondere Umstände darlegt. Zwar erkennt das BAG prinzipiell an, dass dem Arbeitnehmer im Ausnahmefall ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB treffen kann, wenn eine Zielvereinbarung unterbleibt. Der Mitverschuldensanteil wird jedoch nur restriktiv mit bis zu 10 Prozent anspruchsmindernd berücksichtigt (vgl. BAG, Urteil v. 17.12.2020 – 8 AZR 149/20).
Es empfiehlt sich, zukünftig vermehrt auf Zielvorgaben zu setzen. Dies jedenfalls, wenn nicht gewährleistet ist, dass Zielvereinbarungen – ggf. aus Zeitgründen – rechtssicher verhandelt und durchgeführt werden können. Wird an der Kombination festgehalten, sind die Voraussetzungen zwingend zu konkretisieren, unter denen die Verhandlungen als gescheitert angesehen werden dürfen.
Dr. Johannes Kaesbach
1.2 Konzernprivileg oder verdeckte Leiharbeit? Warum „und“ eigentlich „oder“ bedeutet.
Das BAG stellte mit Urteil vom 12.11.2024 - 9 AZR 13/24 die Praxis wohl zahlreicher Unternehmen in Frage: Laut BAG entfällt das sogenannte Konzernprivileg für Leiharbeit nicht nur, wenn ein Arbeitnehmer sowohl zum Zweck der Überlassung eingestellt als auch beschäftigt wird – es reicht bereits, wenn eine der beiden Bedingungen erfüllt ist. Für Arbeitgeber bedeutet dies: Wer Mitarbeitende in konzernverbundene Unternehmen entsendet, muss jetzt noch genauer prüfen, ob nicht doch eine erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.
Der Kläger war 12 Jahre bei der S-GmbH angestellt und arbeitete von Beginn an auf dem Werksgelände der Beklagten, einem konzernverbundenen Unternehmen der S-GmbH. Er war der Meinung, dass er verdeckt als Leiharbeitnehmer eingesetzt worden war und begehrte daher die Feststellung, dass ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten bestehe.
Zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer entsteht ein Arbeitsverhältnis, wenn der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer aus einem der in § 9 Abs. 1 AÜG genannten Gründe unwirksam ist. Wenn die Überlassung zwischen zwei Konzernunternehmen erfolgt, kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer hingegen nur dann zustande, sofern Mitarbeitende allein „zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt“ worden sind (sog. Konzernprivileg, vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, Hervorhebung nur hier).
Die Vorinstanz wies die Klage mit der Begründung ab, das Konzernprivileg greife nur dann nicht, wenn der Kläger sowohl zum Zwecke der Überlassung bei der S-GmbH eingestellt als auch dort beschäftigt worden sei – beide Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen. Dies sei hier nicht der Fall. Das BAG sah dies anders: Das „und“ in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sei dem Willen des Gesetzgebers zufolge vielmehr als Aufzählung zu verstehen. Das Konzernprivileg entfalle also schon dann, wenn Mitarbeitende mit dem Ziel der Überlassung eingestellt „oder“ beschäftigt würden. Dies sei regelmäßig der Fall, wenn Mitarbeitende seit Beginn ihrer Einstellung über mehrere Jahre hinweg kontinuierlich als Leiharbeitnehmer eingesetzt würden.
Das BAG hat die Sache zur Neuverhandlung und Entscheidung an das LAG Niedersachsen zurückverwiesen. Dieses muss nun beurteilen, ob der Kläger tatsächlich in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingegliedert war und deren Weisungen unterlag.
Unternehmen sollten dringend darauf achten, Mitarbeitende entweder nicht unmittelbar ab Beginn ihres Arbeitsverhältnisses in einer konzernverbundenen Gesellschaft einzusetzen oder den Einsatz zeitlich und inhaltlich klar zu begrenzen, etwa durch einen konkreten Projektbezug. Wer dennoch Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung an ein konzernverbundenes Unternehmen einstellt oder beschäftigt, muss alle Anforderungen der Arbeitnehmerüberlassung beachten. In diesem Zusammenhang sei auf das Urteil des LAG Düsseldorf (v. 24.04.2024 – 12 Sa 1001/23, nicht rechtskräftig) verwiesen. Dieses entschied, dass die langfristige und wiederholte Befristung einer Entsendung unwirksam sei und zu einer unbefristeten Entsendung führe. Die Luft für einen flexiblen Personaleinsatz in Matrix und Konzern wird dünn.
Dr. Alexander Willemsen
1.3 Verdacht der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit? Überwachung von Arbeitnehmern durch Privatdetektei als ultima ratio
Die Überwachung eines Arbeitnehmers durch eine Privatdetektei begründet einen intensiven Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte und ist daher nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig. Arbeitgeber sind daher gehalten, die Überwachung eines Arbeitnehmers als „ultima ratio“ zu veranlassen. Andernfalls drohen Schadensersatzansprüche des Arbeitsnehmers nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO. Dies hat das BAG in seinem Urteil v. 25.07.2024 – 8 AZR 225/23 entschieden.
Nach der Verlegung seines Arbeitsplatzes in eine andere Stadt meldete sich der Arbeitnehmer immer häufiger arbeitsunfähig. Zuletzt reichte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für einen Zeitraum von mehreren Wochen ein. Die Arbeitgeberin hegte nach dem Erhalt der Bescheinigung den Verdacht, diese sei nur vorgeschoben, in Wahrheit gehe der Arbeitnehmer einer unerlaubten Nebentätigkeit nach. Daraufhin ließ sie den Arbeitnehmer über einen Zeitraum von zwei Wochen durch eine Privatdetektei heimlich überwachen. Der Arbeitnehmer sah hierin eine unzulässige Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten und machte einen immateriellen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO geltend.
Das BAG bejahte einen entsprechenden Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers. Es sah die strengen Voraussetzungen für eine Überwachung des Arbeitnehmers als nicht gegeben an. Nach Auffassung des BAG stellte die tagelange Überwachung des betroffenen Arbeitnehmers im öffentlichen Raum und auf dessen privaten Wohngrundstück eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten gem. Art. 9 Abs. 1 DS-GVO Art. 4 Nr. 15 DS-GVO dar. Denn die von der Privatdetektei erhobenen Daten dokumentierten auch den sichtbaren Gesundheitszustand des Arbeitnehmers. Eine solche Überwachungsmaßnahme setze zwingend voraus, dass das Kriterium der „Erforderlichkeit“ i.S.d. Art. 9 Abs. 2 lit. b) DS-GVO vorliege. Diese „sei gegeben, wenn der Beweiswert der vom Arbeitnehmer eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vollständig erschüttert sei und dem Arbeitgeber darüber hinaus das mildere Mittel der Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankkasse nicht zur Verfügung stehe. Das Gericht verneinte im konkrete Fall das Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen. Der Arbeitnehmer habe einen immateriellen Schaden erlitten, der in dem durch die Überwachung erlittenen Kontroll- und Sicherheitsverlust vor Beobachtung im privaten Umfeld liege. Als Konsequenz stehe dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO zu.
Mit diesem Urteil betont das BAG die strengen Voraussetzungen, unter denen eine Überwachung von Arbeitnehmern durch eine Privatdetektei möglich ist, und schafft eine weitere Orientierungshilfe für die Arbeitgeber.
Für die Praxis hat die Entscheidung erhebliche Bedeutung, denn sie zeigt die Risiken auf, die mit der unrechtmäßigen Überwachung von Arbeitnehmern einhergehen. Um unzulässige Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte betroffener Arbeitnehmer und daraus resultierende Schadensersatzansprüche zu vermeiden, sind Arbeitgeber gehalten, die konkreten Sachverhaltsumstände sorgfältig zu überprüfen. Darüber hinaus ist zwingend sicherzustellen, dass die geplante Überwachungsmaßnahme nicht außer Verhältnis zu den begründeten Verdachtsmomenten steht.
Kathrin Vossen
1.4 Böswilliges Unterlassen im Annahmeverzug
Im Falle einer unwirksamen Kündigung hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Dabei muss er sich anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Das LAG Baden-Württemberg erklärte mit seinem Urteil vom 11.09.2024 – 4 Sa 10/24, für eine Anrechnung genüge es nicht, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer erst nach Ablauf des Verzugszeitraums auf zumutbare Stellen hinweise. Damit weicht das LAG von der bisherigen Rechtsprechung des BAG ab.
Nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage klagte der Arbeitnehmer auf Annahmeverzugslohn für den Zeitraum Juli 2021 bis August 2022. Erst am 22.09.2022 verlangte die Beklagte vom Kläger Auskunft über sein Einkommen im Annahmeverzugszeitraum. Der Kläger teilte mit, er habe nur Arbeitslosen- bzw. Krankengeld bezogen. Gleichzeitig hatte der Kläger gegenüber der Bundesagentur für Arbeit erklärt, dass er an einer Rückkehr zur Beklagten interessiert sei und deshalb auf Bewerbungsversuche verzichte. Die Agentur unterbreitete ihm daraufhin keine Vermittlungsvorschläge.
Das LAG sprach dem Kläger die Annahmeverzugsvergütung zu. Die Beklagte konnte sich nicht auf eine Anrechnung berufen. Trotz der Feststellung, dass der Kläger es böswillig unterlassen habe, nach zumutbarer Arbeit zu suchen, fehlte dem Gericht der Nachweis, dass der Kläger andernfalls tatsächlich anderweitigen Verdienst erzielt hätte.
Das Urteil des LAG hebt sich vor allem durch die Bewertung der Kausalität zwischen böswilligem Unterlassen und dem Ausbleiben eines anderweitigen Verdienstes ab. Nach Ansicht des LAG werde die Kausalität nicht nachgewiesen, wenn ein Arbeitgeber erst nach Ablauf des Verzugszeitraums auf mögliche Stellen hinweise. Damit widerspricht das LAG ausdrücklich der Rechtsprechung des 5. Senats des BAG (Urteil vom 07.02.2024 – 5 AZR 177/23), der eine nachträgliche amtliche Auskunft der Agentur für Arbeit über zu besetzende und zumutbare Stellen ausreichen ließ. Das LAG argumentiert, dass Arbeitnehmer andernfalls strenger als im sozialversicherungsrechtlichen Kontext zu einer eigenständigen Stellensuche verpflichtet würden. Zudem könne einem Arbeitnehmer nicht vorgeworfen werden, dass er nicht auf Stellenangebote eingegangen sei, von denen er keine Kenntnis hatte.
Die Revision gegen das Urteil ist zugelassen. Sollte das BAG die Entscheidung des LAG bestätigen, wird dies Einfluss auf die strategische Prozessführung im Kündigungsschutzverfahren haben. Konkret sollten Arbeitgeber frühzeitig prüfen, ob es zumutbare Stellenangebote für den Arbeitnehmer gibt, und diese aktiv und nachweisbar kommunizieren. Ein proaktiver Hinweis auf zumutbare Beschäftigungsalternativen kann aus mehreren Gründen vorteilhaft sein. Erstens reduziert er das Risiko, dass der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn beanspruchen kann, da er sich dann eine Verletzung seiner Obliegenheit zur Stellensuche vorwerfen lassen muss. Zweitens eröffnet ein solcher Hinweis auch eine Verhandlungsoption: Die Aussicht auf eine alternative Beschäftigung kann die Verhandlungsbereitschaft des Arbeitnehmers erheblich steigern, wodurch die Chancen auf eine einvernehmliche Beilegung des Konflikts – beispielsweise in Form eines Vergleichs – steigen.
Roman Braun
1.5 Kein Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG in Fällen der Wartezeitkündigung
Das ArbG Hamburg (Urteil v. 04.07.2024 – 29 Ca 110/24) erteilt dem betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch für Arbeitnehmer in der Probezeit eine Absage. Gegen die Entscheidung wurde Berufung beim LAG Hamburg eingelegt (Az. 2 SLa 21/24).
Die Arbeitgeberin, eine Wohnungsbaugenossenschaft, hörte den Betriebsrat zu der Kündigung einer kaufmännischen Angestellten während der „6-monatigen Probezeit“ an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung unter Verweis auf die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einer konkret benannten Position im Unternehmen. Mit Schreiben vom 07.03.2024 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis ordentlich während der Wartezeit. Daraufhin erhob die Arbeitnehmerin fristgerecht Kündigungsschutzklage. Zudem machte sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens die Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG geltend.
Das ArbG Hamburg wies die Klage vollumfänglich ab. Das KSchG finde auf die Klägerin mangels Erfüllung der Wartezeit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG keine Anwendung. Daneben bestehe bei einer Kündigung in der Wartezeit kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG.
Die Frage, ob bei einer Kündigung während der Wartezeit ein betriebsverfassungsrechtlicher Weiterbeschäftigungsanspruch entstehen kann, ist für die seit dem 01.01.2004 geltende Rechtslage bislang höchstrichterlich ungeklärt. Während Arbeitnehmer zuvor innerhalb der 3-Wochen-Frist bei den Arbeitsgerichten nur geltend machen mussten, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei, erstreckte der Gesetzgeber die Präklusionsfrist nach § 4 S. 1 KSchG durch die Gesetzesänderung auch auf sonstige Unwirksamkeitsgründe. Damit sei, so das ArbG Hamburg, unbeabsichtigt auch der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch erfasst worden. § 102 Abs. 5 BetrVG setzt nach seinem ausdrücklichen Wortlaut nämlich die Anwendbarkeit des KSchG voraus.
Dies führe nach Auffassung des ArbG Hamburg jedoch zu nicht aufzulösenden Wertungswidersprüchen. Zum einen seien die Widerspruchsgründe in § 102 Abs. 3 BetrVG den Gründen des § 1 Abs. 2 KSchG zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung nachgebildet. Der Betriebsrat könne aber nicht aus Gründen widersprechen, die bei der Wartezeitkündigung unerheblich seien (so bereits BAG, Urt. v. 13.07.1978 – 2 AZR 798/77). Zum anderen lasse sich der Weiterbeschäftigungsanspruch auch nicht auf sonstige Unwirksamkeitsgründe i. S. v. § 4 KSchG stützen. Denn der Weiterbeschäftigungsanspruch sei an den Widerspruch des Betriebsrats gekoppelt. Schließlich stehe diese Wertung auch mit der Kleinbetriebsklausel gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 BetrVG im Einklang, wonach für Betriebe mit i.d.R. zehn oder weniger Arbeitnehmern das KSchG und damit auch der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch keine Anwendung fänden. Somit könne der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch während der Probezeit nicht entstehen.
Für Arbeitgeber hat die Entscheidung hohe Praxisrelevanz. Könnte der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch bereits während der Probezeit entstehen, wären Arbeitgeber unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Dauer eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens über zwei Instanzen von ca. einem Jahr erheblichen finanziellen Risiken ausgesetzt. Zudem wäre die vom Gesetzgeber angelegte Flexibilität des Arbeitgebers, ein Arbeitsverhältnis in der Probezeit allein aufgrund seines subjektiven Werturteils beenden zu können, stark eingeschränkt.
Marko Vraetz
1.6 Berechnung von Freistellungsansprüchen bei ungleichmäßig verteilter Arbeitszeit
Knüpft eine Freistellungsabrede an die regelmäßigen Wochenarbeitstage an, kann dies bei einem wechselnden Arbeitsrhythmus zu Berechnungsunsicherheiten führen. Das BAG hat nun entschieden, dass für den Umfang des Freistellungsanspruches die durchschnittliche Anzahl der Arbeitstage und nicht die regelmäßige Arbeitszeit maßgeblich ist (Urt. v. 21.08.2024 – 10 AZR 190/23). Dabei seien auch Bruchteile von Freistellungstagen zu gewähren.
In dem zugrundeliegenden Fall sah der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Manteltarifvertrag (GMTV) vor, dass Schichtmitarbeiter mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden statt eines tariflichen Zusatzgeldes einen Anspruch auf bezahlte Freistellung geltend machen können. Bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 5 Tagen beträgt der Freistellungsanspruch laut GMTV 8 Tage. Da der Kläger im Schichtsystem im Rhythmus von sechs Arbeitstagen und vier freien Tagen arbeitete (d. h. im Durchschnitt 4,56 Tage pro Woche), gewährte die Arbeitgeberin dem Kläger 7 Freistellungstage und eine Zeitgutschrift von 0,3 Arbeitstagen auf dessen Arbeitszeitkonto. Der Kläger vertrat die Auffassung, dass er Anspruch auf 8 Freistellungstage habe, da dieser Anspruch bei Schichtarbeitern an eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden anknüpfe.
Das ArbG und das LAG wiesen die Klage ab und folgten der Auffassung der Arbeitgeberin.
Die Revision des Arbeitnehmers hatte nur teilweise Erfolg. Das BAG kam zu dem Schluss, dass dem Kläger keine 8 Freistellungstage zustünden. Die Auslegung des GMTV ergebe, dass der Freistellungsanspruch im Umfang von 8 Arbeitstagen an eine regelmäßige Fünftagewoche gebunden sei. Werde die Arbeitszeit auf weniger oder mehr Tage verteilt, erhöhe oder vermindere sich der Anspruch. Ziel sei es, den erfassten Arbeitnehmern zusätzliche freie Zeit zur Erholung bzw. für Erledigungen zukommen zu lassen. Es liege demnach nahe, die Zahl der Freistellungstage an die Zahl der Arbeitstage und nicht an die regelmäßige Arbeitszeit zu koppeln. Das BAG kam ferner zu dem Schluss, dass der Teilanspruch von 0,3 Freistellungstagen durch die Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto nicht erfüllt worden sei. Der Freistellungsanspruch in Höhe von 0,3 Tagen bestünde fort. Die Freistellungstage seien weder mit dem gesetzlichen oder tariflichen Urlaub noch mit einem Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto gleichzusetzen. Es sei demnach nicht möglich, Bruchteile eines Freistellungstages in Arbeitszeitguthaben umzuwandeln.
Die Entscheidung zeigt, dass Arbeitgeber bei einer Freistellungsabrede, die an die regelmäßigen Wochenarbeitstage anknüpft, die Anspruchshöhe stets überprüfen sollten. Ergeben sich bei der Berechnung Bruchteile von Freistellungstagen, dürfen diese nicht ohne Weiteres in Arbeitszeitguthaben umgewandelt werden. Geltende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen sollten auf etwaige Lücken überprüft werden. Die Tarifvertragsparteien und Betriebsparteien sind gehalten, eine abschließende Regelung zum Umgang mit Bruchteilen von Freistellungstagen zu vereinbaren, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.
Fatoumata Kaba
1.7 Passivphase der Altersteilzeit – Anspruch auf Inflationsausgleichsprämie?
Werden Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit (als Blockzeit) von einer tariflichen Inflationsausgleichsprämie ausgeschlossen, stellt dies eine unwirksame Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten dar. Stattdessen können auch solche Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Inflationsausgleichsprämie haben.
Nach doppelter Klageabweisung in den Vorinstanzen hatte die Revision des Klägers beim BAG Erfolg (Urteil v. 12.11.2024 - 9 AZR 71/24; Pressemitteilung). Die im hiesigen Fall zu zahlende Prämie hatte ihre rechtliche Grundlage in einer tarifvertraglichen Regelung, die auch den Ausschluss bestimmter Arbeitnehmergruppen von der Zahlung vorsah. Darunter fielen u. a. Arbeitnehmer, die sich zum Auszahlungszeitpunkt in der Passivphase der Altersteilzeit befanden. Der vom Ausschluss betroffene Kläger war der Ansicht, die Regelung stelle eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung für Teilzeitbeschäftige dar. Er führte aus, die Inflationsausgleichsprämie werde ausschließlich zum Zwecke der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise gezahlt.
Das BAG sprach dem Kläger einen Zahlungsanspruch zu – und das in voller Höhe. Grund hierfür: Die Ungleichbehandlung sei nicht aufgrund eines sachlichen Grundes erfolgt und verstoße daher gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Die Anspruchsvoraussetzungen und der erkennbare Leistungszweck seien derart ausgestaltet, dass sie keinen Raum für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ließen. Insbesondere sei weder erkennbar, dass mit der Inflationsausgleichsprämie eine Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung abgegolten werden solle, noch hätten die Tarifvertragsparteien den Anspruch von einer zukünftigen Betriebstreue abhängig gemacht.
Eben jene Aspekte hatten in der Vergangenheit jedoch z.B. das LAG Düsseldorf dazu bewogen, in seinem Urteil vom 19.07.2024 (7 Sa 1186/23) die Ungleichbehandlung zwischen Voll- und Teilzeitarbeitnehmern aufgrund des dort „zumindest auch“ angenommenen Vergütungscharakters der Inflationsausgleichsprämie als gerechtfertigt zu bewerten. Gewichtiges Indiz hierfür war aus Sicht des LAG Düsseldorf die anteilige Zahlung an Teilzeitbeschäftigte.
Die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe bleibt abzuwarten. Insbesondere die vom BAG als ausschlaggebend herangezogenen Differenzierungsmerkmale zu den Auszahlungsmodalitäten sind von großem Interesse. Um eine unsachgemäße Ungleichbehandlung von (Teilzeit-)Beschäftigten im Rahmen von Sonderzahlungen und Boni zu vermeiden, bleibt Fingerspitzengefühl bei der Ausgestaltung der entsprechenden Regelungen gefragt. Bereits kleinere Abweichungen können hierbei zu unterschiedlichen Zahlungsverpflichtungen des Arbeitgebers führen.
Lisa Striegler
1.8 Anforderungen an das Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB – (weitere) Besserung in Sicht?!
Aufgrund der Folgen, die aus einem nicht ordnungsgemäßen Unterrichtungsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB resultieren können (u.a. unbegrenztes Widerspruchsrecht gegen den Betriebsübergang, Rückkehr zum alten Arbeitgeber), ist und bleibt es für Arbeitgeber unerlässlich, die Entwicklung des BAG in diesem Bereich zu verfolgen. Umso erfreulicher ist, dass das BAG seine Rechtsprechung zum Widerspruchsrecht in der Entscheidung vom 21.03.2024 – 2 AZR 79/23 lockert.
Das BAG entschied, an ein Unterrichtungsschreiben könnten „keine im praktischen Leben kaum erfüllbaren Anforderungen dahingehend gestellt werden, wonach das Unterrichtungsschreiben keinen juristischen Fehlerenthalten“ dürfe. Eine Konkretisierung, was unter „keine juristischen Fehler“ zu verstehen ist, lässt die Entscheidung vermissen. Es lässt sich erahnen, dass hierunter nur kleinere Ungenauigkeiten zu verstehen sein dürften. In Fällen, in denen die Erwerbergesellschaft noch umfirmiert werde soll, könnte dies z.B. die falsche Nennung eines Geschäftsführers bei gleichzeitiger korrekter Nennung des Namens und der weiteren Angaben zur Gesellschaft (Sitz, zuständiges Handelsregister, ggf. die Handelsregisternummer) sein. Denn diese wird für den Arbeitnehmer regelmäßig unerheblich für die Ausübung seines Widerspruchsrechts sein.
Der 2. Senat des BAG hatte diesen Paradigmenwechsel von der bisherigen strengen Rechtsprechung des 8. Senats bereits in seiner Entscheidung vom 22.07.2021 – 2 AZR 6/21 angedeutet. Dort führt er an, dass eine „differenzierte Betrachtungsweise“ geboten sei, „wonach der Beginn der einmonatigen Widerspruchsfrist jedenfalls nicht durch Fehler berührt werde, die regelmäßig für den Willensbildungsprozess der Arbeitnehmer ohne Belang sind.“ Entnommen werden konnte der Entscheidung auch, dass es nicht darauf ankomme, welche Fehler für den einzelnen Arbeitnehmer bedeutsam sind, sondern auf solche, die typischerweise für die Entscheidung, das Widerspruchsrecht auszuüben, wichtig sind. In seiner jüngsten Entscheidung macht das BAG deutlich, der Arbeitnehmer solle sich „ein Bild machen“ machen können, um sich erkundigen, ggf. auch beraten zu lassen. Eine umfassende Rechtsberatung für jeden individuellen Arbeitnehmer sei indes nicht erforderlich.
Für die Praxis bedeutet die Entscheidung, dass i. R. v. Unternehmensverkäufen eine genaue Risikoabschätzung hinsichtlich der gefundenen Ungenauigkeiten im Unterrichtungsschreiben erfolgen muss, um das Risiko späterer Widersprüche korrekt darzustellen. Unterlagen über zuvor erfolgte Betriebsübergange sollten zwingend angefordert werden.
Nachfolgende Punkte können aus der Entscheidung des BAG für die Praxis mitgenommen werden:
- Es dürfen keine im praktischen Leben kaum erfüllbaren Anforderungen an die Unterrichtung gestellt werden.
- Bei Angaben zu umstrittenen Rechtsfragen sind rechtlich vertretbare Position ausreichend.
- Unwesentliche Fehler führen nicht zur Unwirksamkeit. In diesem Zusammenhang bietet sich nachfolgende Kontrollfrage an: Wäre die Entscheidung des Arbeitnehmers, das Widerspruchsrecht auszuüben, anders ausgefallen, wäre die korrekte Angaben im Unterrichtungsschreiben enthalten gewesen?
Katharina Schäffer
1.9 Die Ein- bzw. Umgruppierung freigestellter Betriebsratsmitglieder begründet kein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG
Dem Betriebsrat steht kein Mitbestimmungsrecht bei der Ein-/Umgruppierung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu. Dies entschied das BAG jüngst in seinem Beschluss v. 26.11.2024 – 1 ABR 12/23 und schuf hiermit erstmalig Klarheit im Hinblick auf die höchst umstrittene Rechtsfrage nach der Reichweite des betrieblichen Mitbestimmungsrechts.
Die Arbeitgeberin hatte den Betriebsratsvorsitzenden rückwirkend nach einer höheren Vergütungsgruppe entlohnt, ohne den Betriebsrat zu beteiligen. Der Betriebsrat sah hierin einen Verstoß gegen sein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Die vorgenommene Eingruppierung des Betriebsratsmitglieds in das Tarifvergütungssystem stelle eine rechtliche Umgruppierung dar, die die vorherige Beteiligung des Betriebsrats erfordere. Die Arbeitgeberin hielt der Auffassung des Betriebsrats entgegen, dass die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern nach den speziellen Regelungen des § 37 Abs. 4 und § 78 S. 2 BetrVG erfolge und eine Beteiligung des Betriebsrats mangels Anwendbarkeit des § 99 Abs. 1 BetrVG nicht notwendig sei. Der Anwendbarkeit des § 99 Abs. 1 BetrVG stehe zudem entgegen, dass bereits keine mitbestimmungspflichtige Ein-/Umgruppierung vorliege. Denn der Aufstieg eines vollständig freigestellten Betriebsratsmitglieds in eine höhere Vergütungsgruppe führe nicht zu der erforderlichen „Tätigkeitsänderung“.
Das BAG schloss sich der letztgenannten Ansicht an und entschied, dass die Festlegung der Vergütung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern allein der Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers unterliege. In Übereinstimmung mit den Ausführungen der Arbeitgeberin führte der zuständige Senat aus, dass die für eine Anwendbarkeit der Vorschrift des § 99 Abs. 1 BetrVG erforderliche Ein-/Umgruppierung bereits nicht vorliege. Eine Ein-/Umgruppierung bestehe in der Zuordnung der zu verrichtenden Tätigkeit eines Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gruppe der maßgebenden Vergütungsordnung. Bei der Erhöhung des Arbeitsentgelts eines freigestellten Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 4 und § 78 S. 2 BetrVG erfolge demgegenüber keine solche Einordnung, sondern eine Anpassung der Vergütung des Betriebsratsmitglieds nach Maßgabe der in diesen Normen geregelten gesetzlichen Vorgaben. Ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG scheide zudem deshalb aus, weil dem Betriebsrat bereits im Hinblick auf die Beurteilung der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung kein Mitbestimmungsrecht zustehe. Erst Recht müsse ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG verneint werden, wenn es lediglich um die Erhöhung einer Vergütungsgruppe geht, ohne dass diese mit einer Tätigkeitsänderung verbunden sei.
Mit diesem Beschluss erteilt das BAG der vorinstanzlichen Beschlussfassung des LAG Sachsen (Beschluss v. 21.02.2023 – 3 TaBV 26/21) eine klare Absage. Die Sichtweise des BAG überzeugt, da mit einer Gehaltserhöhung nach § 37 Abs. 4 BetrVG nur eine Anpassung der Vergütung, nicht aber eine Tätigkeitsänderung verbunden ist. Für die Praxis hat die Entscheidung des BAG erhebliche Bedeutung, denn sie schafft Klarheit in einer lang umstrittenen Rechtsfrage.
Isabel Hexel
1.10 Zwischen Anhören und Abhören – Betriebliche Mitbestimmung bei Headset-Systemen
Selbst wenn geführte Gespräche nicht aufgezeichnet oder gespeichert werden, kann der Einsatz von Headsets zur internen Kommunikation unter Mitarbeitenden als Überwachungsinstrument gewertet werden, sodass ihr Einsatz der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegt (BAG, Beschluss vom 16.07.2024 - 1 ABR 16/23).
Der Arbeitgeber ist ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Filialstruktur. Dieser plante in den Filialen Headsets für die interne Kommunikation der Beschäftigten einzuführen. Die Geräte ermöglichten es (ausschließlich) den Beschäftigten vor Ort, alle Gespräche live mitzuverfolgen, ohne dass es zu einer Aufzeichnung kam. Auch wurden die Headsets nicht individuellen Beschäftigten zugeteilt, sondern wurden in jeder Schicht neu verteilt. Das zugrundeliegende System übermittelte diverse Daten an die IT-Zentrale in Irland und wurde auch von dort aus gesteuert. Der Betriebsrat einer der deutschen Filialen sah darin ein Mittel zur Verhaltens- und Leistungskontrolle der Beschäftigten und hielt die Einführung der Headsets für mitbestimmungspflichtig.
Das BAG schloss sich dieser Beurteilung dem Grunde nach an, wies die Beschwerde des Betriebsrates aber dennoch zurück, da die Zuständigkeit für die Mitbestimmung nicht beim lokalen Betriebsrat, sondern beim Gesamtbetriebsrat läge. Das BAG erkannte in der Live-Übertragung aller Gespräche die Möglichkeit für Vorgesetzte, das Verhalten der Mitarbeitenden mittels der Headsets zu überwachen. Dieser Überwachungsdruck bestehe auch, wenn die Mitarbeitenden das Headset abnähmen oder stummschalteten, da das Vorgehen ebenfalls Rückschlüsse auf ihr Verhalten zuließe und damit eine Form der Leistungskontrolle darstelle. Dass die Headsets keinem bestimmten Mitarbeitenden zugeordnet würden, führe zu keiner anderen Beurteilung. Eine Identifizierung sei jedenfalls über die Stimmen – ggf. unter Zuhilfenahme der Dienstpläne - möglich. Ob Gespräche aufgezeichnet würden oder nicht, spielte hingegen für das BAG keine Rolle.
Aufgrund der einheitliche Ausrollung des Systems in allen Filialen des Arbeitsgebers und der zentralen Steuerung durch die IT-Zentrale in Irland sei eine unternehmenseinheitliche Regelung zwingend notwendig, sodass die originäre Zuständigkeit für die Mitbestimmung des Systems nicht beim lokalen Betriebsrat, sondern bei dem Gesamtbetriebsrat läge.
Die Entscheidung verdeutlicht die Reichweite des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Auf eine subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an. Der Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist bereits dann berührt, wenn ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt. Genau zu prüfen ist in der Praxis stets, welches das für die Mitbestimmung zuständige Gremium ist. Sobald ein betriebsübergreifender Einsatz beabsichtigt ist und dieser einheitlich von einer Zentrale aus gesteuert wird, ohne dass der Einsatz tatsächlich unterschiedlich in einzelnen Betrieben erfolgen kann, ist die Zuständigkeit eines Gesamt- bzw. ggf. Konzernbetriebsrates eröffnet. Einmal mehr verdeutlicht diese Entscheidung des BAG, dass bei der Einführung technischer Systeme sehr präzise Mitbestimmungsrechte geprüft und die zuständigen Gremien frühzeitig eingebunden werden sollten. IT-Rahmenbetriebsvereinbarung können insoweit für feste Prozeduren hilfreich sein.
Alexandra Groth
1.11 Wahlberechtigung von Matrix-Führungskräften bei der Betriebsratswahl
Im Frühjahr 2026 ist es wieder soweit: Die turnusmäßigen Betriebsratswahlen stehen an. Im Zusammenhang mit der Durchführung der Wahlen stellt sich regelmäßig die Frage, welche Arbeitnehmer im jeweiligen Betrieb wahlberechtigt sind. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Matrix-Führungskräfte, wobei sich die Landesarbeitsgerichte hierbei bislang uneins sind.
Seit der Entscheidung des BAG vom 12.06.2019 (1 ABR 5/18) ist klar, dass vor der Einstellung einer Matrix-Führungskraft sowohl der Betriebsrat des Dienstsitzes als auch der Betriebsrat des Betriebes, in dem die der Führungskraft unterstellten Beschäftigten tätig sind, anzuhören ist. Gleichwohl ist bislang höchstrichterlich ungeklärt, ob Matrix-Führungskräfte auch in mehreren Betrieben oder ausschließlich im Stammbetrieb wahlberechtigt im Sinne des § 7 BetrVG sind. Wahlberechtigt sind hiernach Betriebsangehörige, also solche Beschäftigte, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringen. Entscheidend ist, dass der Arbeitgeber mithilfe der Beschäftigten den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs verfolgt, mithin die Beschäftigten in den Betrieb eingegliedert sind.
Das LAG Hessen entschied Anfang dieses Jahres (Beschluss vom 22.01.2024 – 2 BV 860/22), dass Beschäftigte, die in mehreren Betrieben eingesetzt werden, auch in all diesen Betrieben wahlberechtigt sind. Unerheblich sei dabei, ob die Bindung an einen Betrieb stark überwiege. Erforderlich und ausreichend sei vielmehr, dass die erbrachte Arbeitsleistung den Zielsetzungen mehrere Betriebe zuzuordnen sei. Insoweit sei der „Eingliederungsbegriff“, welcher das BAG in seiner Entscheidung vom 12.06.2019 zu § 99 BetrVG konkretisiert hat, auf § 7 BetrVG zu übertragen. Auch aus Gründen der Rechtssicherheit sei der Begriff gleich auszulegen.
Diametral hierzu führte das LAG Baden-Württemberg nunmehr in seiner Entscheidung vom 13.06.2024 (3 TaBV 1/24) aus, dass der Eingliederungsbegriff des § 99 BetrVG nicht mit dem des § 7 BetrVG übereinstimme, da Sinn und Zweck der Vorschriften ein unterschiedlicher sei. So diene § 99 BetrVG vornehmlich der Berücksichtigung der Interessen der schon im Betrieb Beschäftigten, wohingegen durch § 7 BetrVG die Beschäftigten die personelle Zusammensetzung ihres Vertretungsorgans bestimmen können sollen. Ein mehrfaches Wahlrecht würde zudem eine nicht gerechtfertigte Mehrfach-Repräsentation im Gesamt- und Konzernbetriebsrat zur Folge haben.
Gegen beide Entscheidungen wurde Revision beim BAG eingelegt (7 ABR 7/24 und 7 ABR 28/24). Der jeweilige Ausgang darf mit Spannung erwartet werden, da dies maßgeblichen Einfluss auf die anstehenden Betriebsratswahlen im Frühjahr 2026 haben wird. Folgt man der Ansicht des LAG Hessen, würde sich die Anzahl der wahlberechtigten Beschäftigten in von Matrixstrukturen durchzogenen Betrieben signifikant erhöhen. Dies führt wiederum zu einer Vergrößerung der Betriebsratsgremien (§ 9 BetrVG) und entsprechenden Freistellungen (§ 38 BetrVG), und somit zu einem deutlichen Kostenanstieg für Arbeitgeber. Hinzu kommen Schulungsansprüche von Betriebsratsmitgliedern (§ 37 Abs. 6 BetrVG) nebst Arbeitsbefreiungen für erforderliche Betriebsratstätigkeiten (§ 37 Abs. 2 BetrVG), die zu Buche schlagen. Welchen Weg das BAG hier einschlagen wird, ist derzeit unklar.
Annabelle Marceau
1.12 Betriebliche Altersversorgung – Grenzen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bei reinem Normenvollzug?
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist – mittels § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG – normierter Bestandteil des Betriebsrentenrechts und setzt der arbeitgeberseitigen Gestaltungsmacht – wie im gesamten Arbeitsrecht – unter bestimmten Voraussetzungen Grenzen. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist ihrerseits nicht grenzenlos, sondern scheidet vielmehr aus, wenn der Arbeitgeber Tarifverträge lediglich anwendet (Normenvollzug), wie das BAG in einer jüngeren Entscheidung ausgeführt hat (Urteil v. 02.07.2024 – 3 AZR 244/23).
Der Kläger begehrte von der Beklagten – gestützt auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz – die Anwendung eines zwischen der Beklagten und ver. di geschlossenen Haustarifvertrags zur betrieblichen Altersversorgung. Dieser Haustarifvertrag erfasste in seinem persönlichen Geltungsbereich alle bei der Beklagten zuvor über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder („VBL“) abgesicherten Arbeitnehmer. In zeitlicher Hinsicht berücksichtigte der Haustarif die gesamte Beschäftigungszeit der betroffenen Beschäftigten. Der Kläger hatte sich indes bereits zuvor – aufgrund seiner Mitgliedschaft in einem Ärztlichen Versorgungswerk – von der Versicherungspflicht in der VBL befreien lassen und seine Altersversorgung maßgeblich auf zwei seitens der Beklagten abgeschlossenen Kapitallebensversicherungen gestützt. Diese Kapitallebensversicherungen bildeten im Vergleich zu dem Haustarifvertrag zur betrieblichen Altersversorgung eine um zwei Jahre geringere Beschäftigungszeit ab.
Nachdem der Kläger vor dem LAG Hamburg obsiegt hatte, hatte die Beklagte mit ihrer Revision beim BAG Erfolg. Das BAG konnte eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht feststellen. Keinesfalls hat das BAG dabei die anspruchsbegrünende Wirkung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes infrage gestellt. Vielmehr setze dessen Anwendung voraus, dass der Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewähre und insoweit gestaltend tätige werde. Daraus folge umgekehrt, dass der dem Arbeitnehmerschutz dienende arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nur dann zur Anwendung gelange, wenn der Arbeitgeber mittels gestaltenden Verhaltens eine eigene (Versorgungs-)Ordnung schaffe und nicht lediglich einen Tarifvertrag durchführe. Dies gelte für Haus- und Verbandstarifverträge.
Die Entscheidung des BAG ist äußerst erfreulich, da sie Rechtsklarheit insbesondere auch für die Durchführung – den Normvollzug – von Haustarifverträgen schafft. Arbeitgeber, die lediglich einen durch sie abgeschlossenen Haustarifvertrag anwenden, laufen alleine durch diesen Normenvollzug nicht in Gefahr, Ansprüchen auf Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgesetzt zu sein.
Moritz Coché
2. Neue Gesetzgebung
Inkrafttreten der Plattformarbeitsrichtlinie am 01.12.2024
Nach langen Verhandlungen zwischen EU-Parlament und dem zuständigen Ausschuss des Rats der EU hat der europäische Gesetzgeber gemeinsame Vorschriften zur Plattformarbeit verabschiedet. Die Plattformarbeitsrichtlinie (EU) 2024/2831 v. 23. 10. 2024 („PlattformArb-RL“) ist zum 01.12.2024 in Kraft getreten. Die Mitgliedstaaten haben nunmehr zwei Jahre Zeit, um die Bestimmungen der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
Bedeutung von Plattformarbeit
Die Plattformökonomie hat sich im letzten Jahrzehnt zu einem wichtigen Bestandteil der globalen Arbeitswelt entwickelt. Plattformarbeit bezeichnet eine Form der Arbeitsorganisation, bei der eine digitale Plattform als Vermittler zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern fungiert.
Diese Form der Arbeit bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich, insbesondere hinsichtlich der Rechte und der sozialen Absicherung der Beschäftigten. In vielen Fällen sind die Arbeitskräfte nicht direkt bei den Plattformbetreibern angestellt, sondern gelten als unabhängige Auftragnehmer. Diese Unterscheidung führt zu Problemen bei der Anwendung von Arbeitsrechtsvorschriften.
Wesentlicher Inhalt der PlattformArb-RL
Die PlattformArb-RL enthält wichtige Neuerungen, welche das Geschäftsmodell der Plattformarbeit nachhaltig prägen werden:
Als zentrales Element enthält die Richtlinie in Art. 5 Abs. 1 eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Es obliegt nach Art. 5 Abs. 2 PlattformArb-RL den Mitgliedstaaten, eine „wirksame“ Vermutungsregelung als Verfahrenserleichterung für Plattformarbeiter zu normieren. Dabei wird der nationale Gesetzgeber auch die Rechtsprechung des BAG zu Crowdworkern (Urt. v. 01.12.2020 – 9 AZR 102/20) berücksichtigen müssen, wonach die konkrete Nutzung einer App als Mittel der Fremdbestimmung eine persönliche Abhängigkeit begründen kann.
Darüber hinaus soll die PlattformArb-RL die Transparenz bei der Nutzung von Algorithmen durch die Plattformbetreiber erhöhen. Dazu erhalten Plattformarbeiter umfassende Informationsrechte gegenüber den Plattformbetreibern (Art. 9 PlattformArb-RL). Entscheidungen automatisierter Systeme sind der Letztverantwortlichkeit eines Menschen unterworfen (Art. 10 PlattformArb-RL). Zudem soll es Plattformbetreibern künftig verboten sein, durch den Einsatz automatisierter Beobachtungs- oder Entscheidungssysteme (insb. KI-Tools) sensible personenbezogene Daten der Plattformarbeiter zu verarbeiten (vgl. Art. 15 PlattformArb-RL).
Schließlich sollen Plattformarbeiter nach Art. 22, 23 PlattformArb-RL vor Nachteilen geschützt werden, die sie aufgrund der Geltendmachung von Rechten aus der Richtlinie erleiden. Dazu sollen die Mitgliedstaaten Regelungen vorsehen, dass Plattformbetreiber im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens nachzuweisen haben, dass die Beendigung des Vertrags nicht aufgrund der Inanspruchnahme von in der Richtlinie vorgesehenen Rechten erfolgt (Art. 23 Abs. 3 PlattformArb-RL).
Die neue Plattformarbeitsrichtlinie stellt einen wichtigen Schritt zur Regulierung der Plattformökonomie dar. Während die Regelungen zu Transparenz und Datenschutz beim Einsatz von Algorithmen ein wichtiger Baustein zur Herstellung fairer Arbeitsbedingungen sind, schießen die Beweislastregelungen in Art. 5 Abs. 2 und Art. 23 Abs. 3 PlattformArb-RL über das Ziel hinaus. Eine Rückwirkung sieht die PlattformArb-RL nicht vor. Dennoch sollten Plattformbetreiber bis zur Umsetzung der Vorschriften in nationales Recht ihre vertragsrechtlichen Modelle sowie den Einsatz von KI-gesteuerten Anwendungen – insbesondere im Zusammenhang mit einer App – überprüfen.
Marko Vraetz
3. Sonstiges
Kartellrecht im „War for Talents“ – Was Unternehmen jetzt wissen müssen
Absprachen, die Beschäftigte binden oder den Wettbewerb auf Arbeitsmärkten einschränken, geraten weltweit ins Visier von Kartellbehörden. Unternehmen drohen hohe Bußgelder, wenn sie gegen Wettbewerbsregeln verstoßen.
In Zeiten des Fachkräftemangels ist der „War for Talents“ voll entbrannt. Unternehmen stehen nicht nur im Wettbewerb um Marktanteile, sondern auch um qualifizierte Beschäftigte. Dabei geraten Personalabteilungen weltweit zunehmend in den Fokus von Kartellbehörden. Der Grund: Illegale Abstimmungen über Gehälter oder sogenannte „Non-Poaching Agreements“, bei denen sich Unternehmen gegenseitig verpflichten, keine Beschäftigten voneinander abzuwerben, nehmen zu.
Solche Absprachen mögen auf den ersten Blick wie ein Mittel zur Sicherung von Fachkräften wirken, stehen jedoch nach Ansicht der Kartellbehörden im klaren Widerspruch zu den EU-Wettbewerbsregeln. Artikel 101 AEUV und § 1 GWB verbieten Absprachen, die den Wettbewerb beschränken.
Maßnahmen auf europäischer Ebene
Nationale Kartellbehörden greifen hierbei zunehmend durch. In mehreren europäischen Ländern, darunter Portugal, Frankreich, Spanien, Kroatien, die Niederlande, Polen und Deutschland, wurden bereits Maßnahmen gegen „No-Poach“- oder „Wage-Fixing“-Absprachen ergriffen. Solche Praktiken wurden oft mit Preisabsprachen untersucht, rücken aber zunehmend eigenständig in den Fokus. Die Europäische Kommission geht ebenfalls aktiv gegen wettbewerbswidrige Praktiken vor.
Strengere Regeln in den USA und in Kanada
Auch jenseits des Atlantiks wird das Vorgehen gegen solche Absprachen intensiviert. Das US-Justizministerium erhob Ende 2020 und Anfang 2021 erstmals strafrechtliche Anklagen wegen wettbewerbswidriger „No-Poach“-Absprachen. 2023 kündigte die US-Handelskommission eine Gesetzesänderung an, die Non-Compete-Vereinbarungen verbieten und bestehende Klauseln für nichtig erklären könnte. Die kanadische Regierung hat in 2022 „No-poaching“- und „Wage-Fixing“-Vereinbarungen unter Strafe gestellt.
Handlungsbedarf für Unternehmen
Vor dem Hintergrund dieser zunehmenden Dynamik sollten sich Unternehmen bewusst sein, dass Absprachen im Personalbereich erhebliche rechtliche Risiken bergen. Es ist daher unerlässlich, bestehende Einstellungs- und Vertragspraktiken zu überprüfen und Führungskräfte sowie Personalabteilungen für kartellrechtliche Risiken zu sensibilisieren. Non-Poaching- oder Non-Compete-Klauseln in Anstellungsverträgen sollten stets rechtlich geprüft werden, um mögliche Verstöße zu vermeiden.
Dr. Daniel Dohrn, Experte unserer Kartellrechtspraxis, bietet Ihnen in einer etwa 30-minütigen Schulung (Online oder in Präsenz) einen kompakten Überblick über die jüngsten Entwicklungen. Er erläutert praxisnah, wie Sie Kartellrechtsverstöße auf Personalmärkten erkennen und in Ihrem Unternehmen wirksam vermeiden können. Sprechen Sie uns gerne an.
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Jörn Kuhn und Dr. Daniel Dohrn
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Moritz Coché
Junior PartnerRechtsanwalt
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