24.06.2024 Newsletter

Fokus Arbeitsrecht 2. Quartal 2024

Mit vielen Einzelmaßnahmen will die Regierung die Wirtschaft von Bürokratie entlasten. Die Bundesregierung hat dazu am 19.06.2024 den Entwurf zum Vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) ergänzt, das auch zahlreiche arbeitsrechtlich relevante Änderungen beinhaltet. Dabei lautet das Motto: „Digitale Dienste statt analoge Altlasten." Wir fassen für Sie die wichtigsten geplanten Änderungen zusammen und berichten in gewohnter Weise über viele praxisrelevante arbeitsrechtliche Entscheidungen und Neuerungen in der zweiten Ausgabe unseres Fokus Arbeitsrecht 2024. 

1. Neue Rechtsprechung

1.1 Massenentlassungsanzeigeverfahren – weitere Vorlage an EuGH

1.2 Keine Nachholpflicht für Mitarbeiterbeteiligung bei arbeitnehmerlos gegründeter SE 

1.3 Keine Umgehung der deutschen AGB-Kontrolle durch Rechtswahl möglich 

1.4 (Kein) Annahmeverzugslohnanspruch bei Vereitelung von Vermittlungsbemühungen 

1.5 Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang: Schaffung einer übergangsfähigen Einheit 

1.6 Erteilung einer Entgeltabrechnung über ein digitales Mitarbeiterpostfach

1.7 Das Gericht sieht rot – wie eine schwarze Hose zur Kündigung führt

1.8 Mitarbeiterbeteiligungsprogramme – Verfall von virtuellen Optionen

1.9 Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe

1.10 Wann verjährt der Kapitalabfindungsanspruch des PSVaG in der Insolvenz?

1.11 Paperless durch den Einstellungsprozess – Unterrichtung des Betriebsrats 

1.12 Betriebliche Mitbestimmung bei der Änderung von Sonderzahlungen

1.13 Kein Tätigwerden der Einigungsstelle vor Rechtskraft der gerichtlichen Einsetzung

2. Neue Gesetzgebung

2.1 BEG IV: Änderungen im Arbeitsrecht

2.2 Sozialversicherung von Mitarbeitenden bei mobiler Arbeit im EU-Ausland Stichtag 01.07.2024 rückt näher

 

1.Neue Rechtsprechung

1.1 Massenentlassungsanzeigeverfahren – weitere Vorlage an EuGH

Kann sich der Arbeitgeber darauf verlassen, dass eine Massenentlassungsanzeige „ordnungsgemäß“ war, wenn die Agentur für Arbeit sie nicht beanstandet und sich damit als ausreichend informiert betrachtet? Diese Frage legte das BAG (Beschluss v. 23.05.2024 – 6 AZR 152/22) dem EuGH zur Entscheidung vor.

Das BAG hatte in seiner Entscheidung von Ende Mai erneut über die Frage zu entscheiden, ob die im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige ausgesprochene Kündigung wirksam ist. Entscheidungserheblich war, ob der Agentur für Arbeit die Massenentlassung ordnungsgemäß angezeigt worden war. Denn die Beklagte hatte zwar eine Massenentlassungsanzeige erstattet, dieser Anzeige jedoch entgegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht die Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung beigefügt. Den Eingang der Massenentlassungsanzeige bestätigte die Agentur für Arbeit mit dem Hinweis, es werde „ausschließlich“ der Empfang der Unterlagen bestätigt.

Nach der früheren Rechtsprechung des BAG hätte bereits der Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KSchG wegen fehlender Übermittlung der Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung die Rechtsunwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige und damit der Kündigung begründet. Diese scharfe Rechtsfolge dürfte seit der Entscheidung des EuGHs (Urteil v. 13.07.2023 – C-134/22), mit der der EuGH eine individualschützende Wirkung der Massenentlassungsanzeige ausdrücklich ablehnte, überholt sein. 

Im Nachlauf der o. g. Entscheidung des EuGHs musste das BAG seine Rechtsprechung zur Massenentlassungsanzeige neu justieren und hatte mehrere Fragen an den EuGH gerichtet, wie es die Massenentlassungsrichtlinie künftig auszulegen habe. Mit dem hiesigen Verfahren fragt das BAG nun beim EuGH einen weiteren Aspekt ab: Liegt überhaupt ein verfahrenserheblicher Verstoß vor, der zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige führt, wenn die Agentur für Arbeit eine - objektiv fehlerhafte - Massenentlassungsanzeige nicht beanstandet und sich damit als ausreichend informiert betrachtet? Wenn nämlich der Zweck der Massenentlassungsanzeige aus Sicht des Adressaten erfüllt sei, bedürfe es auch keiner – in welcher Form auch immer gearteten – Sanktion.

Die Liste der Fragen, die der EuGH zu beantworten hat, ist damit noch länger geworden. Die Antworten des EuGHs werden mit Spannung erwartet, da sich die Praxis erhebliche Vereinfachungen im Massenentlassungsverfahren erhofft. Vor dem Hintergrund, dass sich der Zweck des § 17 Abs. 3 KSchG in arbeitsmarktpolitischen Zielen erschöpft, dürfte eine zweckorientierte Entscheidung des EuGHs nicht abwegig erscheinen. Nichtsdestotrotz ist und bleibt es derzeit – jedenfalls bis zu einer endgültigen Entscheidung durch EuGH und BAG – rechtssicherer, eine den Anforderungen des § 17 KSchG genügende Massenentlassungsanzeige durchzuführen.

Dr. Alexander Willemsen

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1.2 Keine Nachholpflicht für Mitarbeiterbeteiligung bei arbeitnehmerlos gegründeter SE

Der EuGH erteilt einer generellen Pflicht zur Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungs-verfahrens bei einer zunächst arbeitnehmerlos gegründeten SE eine klare Absage. Gleichzeitig mahnt der Hinweis auf den weiterhin denkbaren Verfahrensmissbrauch zur Vorsicht (EuGH, Urteil vom 16.05.2024 – C-706/22).

Im Jahr 2013 wurde aus der britischen O. Ltd. und der deutschen O. GmbH – beide beschäftigten zu diesem Zeitpunkt keine Arbeitnehmer – die O. Holding SE (Sitz in London). Später wurde die O. Holding SE Allein-Gesellschafterin der O. KG, die inklusive ihrer Tochtergesellschaften über 3.000 Arbeitnehmer innerhalb der EU beschäftigte. 

Als 2017 die O. Holding SE ihren Sitz nach Hamburg verlegte, versuchte der Konzernbetriebsrat der O. KG gerichtlich die Nachholung des SE-Beteiligungsverfahrens zu erzwingen. Der Weg führte bis zum BAG. Dieses legte dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob Art. 12 Abs. 2 SE-VO, der die Eintragung der SE in das Handelsregister regelt, iVm. Art. 3 bis 7 SE-RL, die das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren beschreiben, dahingehend auszulegen sei, dass eine zunächst arbeitnehmerlos und ohne Beteiligungsverfahren gegründete SE das Beteiligungsverfahren nachzuholen hat, wenn sie später herrschendes Unternehmen von Tochtergesellschaften wird, die Arbeitnehmer in mehreren Mitgliedsstaaten beschäftigen.

Der EuGH erteilte dieser Auslegung eine klare Absage.

Allen drei in der SE-RL angelegten Fallgestaltungen für die Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung sei das Vorliegen eines bereits durchgeführten Verhandlungsverfahrens gemein. Genau hieran fehle es im vorgelegten Fall. Der Gründung der SE seien keine Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und besonderem Verhandlungsgremium vorausgegangen. Es sei kein gesetzgeberisches Versehen in der Richtlinie festzustellen. Der Gesetzgeber habe vielmehr die bewusste Entscheidung getroffen, die Verhandlungspflicht über die Mitarbeiterbeteiligung grundsätzlich nur vor der Gründung der SE einzuführen – im Interesse der Vorhersehbarkeit für Anteilseigner und Arbeitnehmer sowie der Stabilität der bestehenden SE.

Die Entscheidung darf mit Wohlwollen aufgenommen werden. Sie nimmt einer beträchtlichen Literatur-Meinung, die die Nachholung in derartigen Fallgestaltungen bislang gefordert hat, den Wind aus den Segeln. Außerdem macht es die bereits weit verbreitete Nutzung einer Vorrats-SE noch attraktiver. 

Naturgemäß wird die neu gewonnene Gewissheit hinsichtlich der (nicht bestehenden) Nachholpflicht den Fokus auf den weiterhin möglichen Verfahrensmissbrauch i.S.v. Art. 11 SE-RL bzw. § 43 SEBG und dessen Voraussetzungen lenken. Ob neben der in § 45 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 43 SEBG statuierten strafrechtlichen Verfolgung anderweitige Sanktionen denkbar sind, bleibt offen. Weiterhin sind politische Reaktionen nicht auszuschließen; dies gilt insbesondere im Hinblick auf das schon im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung festgehaltene Ziel, gegen die Mitbestimmungsvermeidung bei der SE und den sog. „Einfriereffekt“ vorzugehen. Auch in Zukunft bleibt ein umsichtiges Vorgehen im komplexen Verfahren der Gründung einer SE das A und O zur Ausnutzung ihres vollen Potenzials.

Roman Braun

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1.3 Keine Umgehung der deutschen AGB-Kontrolle durch Rechtswahl möglich

Vom deutschen AGB-Recht kann auch durch einvernehmliche Rechtswahl zugunsten einer ausländischen Rechtsordnung nicht zu Lasten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB sind international zwingendes Recht. Das BAG geht in seinem Urteil vom 23.01.2024 – 9 AZR 115/23 sogar noch einen Schritt weiter.

Der Vertrag des deutschen Klägers, der als Pilot bei einer irischen Fluggesellschaft angestellt war, enthielt eine Rückzahlungspflicht über Weiterbildungskosten. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt sollte er die Kosten für vom Arbeitgeber bezahlte Fortbildungen anteilig zurückzahlen. Dies galt auch für den Fall, dass der Grund für eine etwaige Eigenkündigung des Klägers aus der Sphäre des Arbeitgebers stammte. Die Parteien hatten im Arbeitsvertrag irisches Recht als anwendbares Recht gewählt. Zwei Jahre nach Beginn des Arbeitsverhältnisses kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis aus nicht weiter benannten Gründen. Die Beklagte rechnete mit Vergütungsansprüchen des Klägers auf, nachdem dieser sich geweigert hatte, Fortbildungskosten anteilig zu erstatten. Der Kläger machte die Differenz gerichtlich geltend. 

Das BAG sprach dem Kläger die ungekürzte Vergütung zu. Die arbeitsvertraglich vereinbarte Rückzahlungsklausel halte einer Überprüfung nach den deutschen AGB-Vorschriften der §§ 305 ff. BGB nicht stand; die Rückzahlungsklausel benachteilige den Kläger vielmehr unangemessen i.S.d. § 307 BGB und sei daher unwirksam. Zwar sei eine einzelvertragliche Vereinbarung, nach der sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Schulung zu beteiligen habe, wenn er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, grundsätzlich zulässig. Nicht zulässig sei es aber, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers zu knüpfen. Vielmehr müsse nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert werden. Die deutschen AGB-Vorschriften seien trotz der Rechtswahlklausel anzuwenden, da sie zu den zwingenden Rechtsvorschriften i.S.d. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom-I-VO gehörten, die nicht zur Disposition der Vertragsparteien stünden. Durch Art. 8 Abs. 1. S. 2 Rom I-VO solle sichergestellt werden, dass durch die Rechtswahl zwingende Arbeitnehmerschutzbestimmungen des objektiven Rechtsstatuts nicht umgangen werden können. Das objektiv anzuwenden Recht aber sei deutsches Recht, da der Kläger gewöhnlich vom Flughafen Berlin-Schönefeld aus tätig war. 

Das BAG ließ darüber hinaus anklingen, dass sogar die Rechtswahlklausel als solche möglicherweise einer AGB-Kontrolle nicht Stand halte. Eine Rechtswahlklausel, die den Arbeitnehmer in die Irre führen könne, sei ihrerseits als unangemessen benachteiligend zu bewerten und daher unwirksam. Jedenfalls sei der Eindruck unzutreffend, auf den Vertrag sei nur das vereinbarte Recht anwendbar. Erforderlich sei eine zusätzliche Unterrichtung darüber, dass nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO auch der Schutz der zwingenden Bestimmungen des objektiv anzuwendenden Rechts bestehe. 

Auch wenn das BAG eine abschließende Bewertung der konkreten Rechtswahlklausel aus prozessualen Gründen nicht vornehmen musste, ist dieser Hinweis für die Gestaltung von Arbeitsverträgen im internationalen Kontext außerordentlich bedeutsam. Hat ein Arbeitsverhältnis einen (ausreichenden) deutschen Bezug, sollte zukünftig eine Rechtswahlklausel zugunsten ausländischen Rechts in jedem Fall um entsprechende Formulierungen zum ergänzenden Schutz durch die zwingenden Bestimmungen i.S.d. Rom-I-VO erweitert werden. Anderenfalls setzt der Arbeitgeber die Wirksamkeit der gesamten Rechtswahlklausel aufs Spiel. Dies gilt im Übrigen unabhängig davon, welches ausländische Recht gewählt wird. 

Kathrin Vossen  

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1.4 (Kein) Annahmeverzugslohnanspruch bei Vereitelung von Vermittlungsbemühungen

Kann ein Arbeitnehmer, der während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens absichtlich seine Bewerbungschancen sabotiert, dennoch Annahmeverzugslohn vom Arbeitgeber verlangen? Zumindest kann sich ein solches Vorgehen nachteilig auf die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers auswirken – so das BAG in seinem Urteil vom 07.02.2024 – 5 AZR 177/23.   

Der Kläger verlangt vom Arbeitgeber Vergütung wegen Annahmeverzugs. Nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung meldete sich der Kläger bei der Agentur für Arbeit (AfA) arbeitssuchend. Hierbei teilte er der AfA mit, dass er während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens keine Stellenangebote wünsche und sich selbst auf neue Stellen bewerben werde, wenn man ihn dazu zwinge. Allerdings werde er potentielle Arbeitgeber schon vor dem Bewerbungsgespräch über das laufende Kündigungsschutzverfahren und seinen Wunsch, bei seinem alten Arbeitgeber weiterzuarbeiten, informieren. Daraufhin unterbreitete die AfA dem Kläger keine Stellenangebote. Eigenständige Bemühungen um eine anderweitige Beschäftigung unternahm er im maßgeblichen Zeitraum ebenfalls nicht. Das BAG wies das klagestattgebende Urteil des LAG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Zentrale Rechtsfrage des Verfahrens war, ob der Kläger während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens die Erzielung anderweitigen Verdienstes böswillig unterlassen hatte. In dieser Konstellation richtet sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 2 KSchG und nicht nach dem weitgehend inhaltsgleichen § 615 S. 2 BGB. Ausweislich des BAG erfordert die Beurteilung der Böswilligkeit stets eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls. In die Gesamtabwägung sind dabei auch solche Umstände zu Lasten des Arbeitnehmers einzubeziehen, mit denen dieser selbst die Ursache dafür setzt, dass ihm von der Afa keine Stellenangebote unterbreitet werden. Zwar trage der Arbeitgeber grundsätzlich die Beweislast dafür, dass für den Arbeitnehmer tatsächlich Erwerbsmöglichkeiten bestanden. Habe der Arbeitnehmer jedoch durch sein Verhalten die Zustellung von Vermittlungsangeboten vereitelt, so müsse dieser nachweisen, dass eine Bewerbung auf solche (fiktiven) Stellen erfolglos gewesen wäre.

Vorliegend habe sich der Kläger nur „formal“ ordnungsgemäß arbeitssuchend gemeldet (§ 38 SGB III). Zwar könne es dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, dass er sich gegen die (unwirksame) Kündigung zur Wehr setzte und gegenüber potentiellen Arbeitgebern Angaben zu seinem aktuellen Berufsstatus abgab. Allerdings spreche ein ungefragter Hinweis auf ein laufendes Kündigungsschutzverfahren bereits vor einem Bewerbungsgespräch nicht für einen interessierten Kandidaten. Zudem könne aus § 11 Nr. 2 KSchG nicht abgeleitet werden, dass der Arbeitnehmer in jedem Fall ein zumutbares Angebot der AfA abwarten dürfe. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger gerade durch sein Verhalten den Anlass dazu gegeben habe, dass die AfA ihm keine Stellenangebote zusendete. 

Für Arbeitgeber steht die Entscheidung im Einklang mit der erfreulichen Entwicklung der Rechtsprechung zu böswillig unterlassenem Zwischenverdienst (BAG, Urt. v. 27.05.2020 – 5 AZR 387/19). Arbeitnehmer können sich während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens nicht mehr bloß formal ordnungsgemäß arbeitslos melden und abwarten, sondern müssen sich aktiv um neue Verdienstmöglichkeiten bemühen. Dadurch trägt auch der Arbeitnehmer einen Teil des Annahmeverzugslohnrisikos. Arbeitgeber sollten daher proaktiv passende Stellenangebote an klagende Arbeitnehmer weiterleiten. Diese können aus einschlägigen Jobportalen oder Zeitungsannoncen stammen. Wichtig ist, dass der Zugang der Stellenangebote nachweisbar ist. Daher sollten diese schriftlich und wenn möglich im Volltext und nicht lediglich mittels eines Links übermittelt werden.

Marko Vraetz

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1.5 Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang: Schaffung einer übergangsfähigen Einheit 

Betriebsteilübergänge sind ein beliebtes Mittel, um Unternehmensbereiche zu trennen und auf einen anderen Rechtsträger zu übertragen bzw. an diesen zu veräußern. Eine aktuelle Entscheidung des BAG vom 21.03.2024 – 2 AZR 97/23 stellt erfreulich klar dar, wie Unternehmen durch vorgelagerte Versetzungsentscheidungen einen Betriebsteil auch erst kurzfristig vor dem Betriebsübergang formen und damit die Voraussetzungen für den Übergang dieses Betriebsteils auf einen anderen Rechtsträger bzw. Erwerber schaffen können.

In dem vom BAG entschiedenen Fall war der Kläger neben weiteren ca. 6.000 Beschäftigten in dem Entwicklungszentrum der Beklagten tätig. Ende 2018/ Anfang 2019 schloss die Beklagte mit der späteren Erwerberin eine Vereinbarung, nach der ein Teil des Entwicklungszentrums auf die Erwerberin übergehen sollte. Im März 2019 vereinbarte die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat ein mehrstufiges Verfahren, um Mitarbeiter dem übergehenden Betriebsteil zuzuordnen. Die Versetzung in diesen Betriebsteil wurde dem Kläger im Juli 2019 mitgeteilt. Ebenso wurde dem Kläger im Juli mitgeteilt, dass der Betriebsteilübergang Ende August 2019 erfolgen wird. Dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprach der Kläger und machte mit seiner Klage die Unwirksamkeit der Versetzung sowie des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses geltend.

Zwar hat das BAG der Revision des Klägers stattgegeben und die Sache wegen fehlender tatrichterlichen Feststellungen an das LAG zurückverwiesen. Es bestätigte jedoch, dass es für einen Betreibsteilübergang ausreichend sei, wenn eine betriebsteilübergangsfähige wirtschaftliche Einheit erst kurz vor dem Erwerb entstehe. Unerheblich sei, wie lange diese wirtschaftliche Einheit vor dem Übergang bestanden habe. Selbst ein sehr kurzer Zeitraum zwischen Bildung der wirtschaftlichen Einheit und dem Übergang – wie in dem entschiedenen Fall von nur einem Monat – sei somit zulässig. Insbesondere könnten die Beschäftigten nicht mit Erfolg einwenden, dass ihre Versetzung in den übergehenden Betriebsteil gegen das in § 613 a Abs. 4 BGB verankerte Verbot einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen des Betriebsübergangs verstoße. Bei einer Versetzung handele es sich gerade nicht um eine Kündigung. Ebenso scheide eine Analogie aus. Die Vorschrift verfolge den Zweck, die Kontinuität bereits bestehender Arbeitsverhältnisse zu sichern und deren Beendigung allein wegen des Betriebsübergangs zu verhindern. Diese Gefahr bestünde bei einer Versetzung nicht. Auch werde den Beschäftigten kein neuer Arbeitgeber aufgezwungen, da sie von ihrem gesetzlichen Widerspruchsrecht Gebrauch machen können. 

Damit kann eine neue wirtschaftliche Einheit von Unternehmen auch erst im Zuge des geplanten Betriebsteilübergangs geschaffen werden. Unternehmen müssen hierbei jedoch beachten, dass die Beschäftigten in die wirtschaftliche Einheit unter Beachtung der individualvertraglichen und betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben versetzt werden. Erst dann sind sie dieser wirtschaftlichen Einheit zugeordnet. 

Wichtig ist in der Praxis weiter, dass es sich bei der neu geschaffenen Einheit auch um eine übertragungsfähige Einheit im Sinne des § 613 a BGB handelt. Erforderlich ist hierfür, dass diese hinreichend organisiert, abgrenzbar und verselbständig ist und in der Lage ist, eine wirtschaftliche Tätigkeit mit eigener Zielsetzung zu verfolgen. Dabei ist darauf zu achten, dass für die wirtschaftliche Einheit eine betriebliche Leitung geschaffen wird, die gegenüber den ihr neu zugeordneten Beschäftigten weisungsbefugt ist und die Einheit die für die wirtschaftliche Tätigkeit erforderlichen Wirtschaftsgüter und Funktionen zugewiesen bekommt.

Anja Dombrowsky

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1.6 Erteilung einer Entgeltabrechnung über ein digitales Mitarbeiterpostfach

Eine in Textform erteilte Entgeltabrechnung geht dem Mitarbeitenden nur dann im digitalen Mitarbeiterpostfach im Sinne von § 130 BGB zu, wenn er hierzu sein Einverständnis gegeben hat. Andernfalls muss ein Mitarbeitender nicht damit rechnen, dass ihm Entgeltabrechnungen auf digitalem Weg übermittelt werden. Die fehlende Einwilligung kann mangels Mitbestimmungsrecht nicht durch eine (Konzern-)Betriebsvereinbarung ersetzt werden.

Die Parteien streiten über die Erteilung von Entgeltrechnungen über ein digitales Mitarbeiterpostfach. Die Beklagte erteilte seit März 2022 die Gehaltsabrechnungen nicht mehr in Papierform, sondern nur noch digital. Diese wurden in einem Mitarbeiterpostfach abgespeichert, welches die Beklagte für die Klägerin wie für alle anderen Beschäftigten in einer Cloud eingerichtet hatte. Grundlage hierfür war eine Konzernbetriebsvereinbarung aus April 2021 über die Einführung und Anwendung eines digitalen Mitarbeiterpostfachs. Die Klägerin war mit der Erteilung von Abrechnungen über das digitale Mitarbeiterpostfach nicht einverstanden und forderte die Beklagte zur Erteilung von Gehaltsabrechnungen in Papierform auf. 

Anders als die Vorinstanz gab das LAG Niedersachsen der Klage statt. Seine Entscheidung begründete das LAG mit dem Argument, dass es sich bei einem digitalen Mitarbeiterpostfach nur dann um eine geeignete Empfangsvorrichtung handelt, wenn der Empfänger sie auch für den Empfang von Willenserklärungen im Rechts- und Geschäftsverkehr bestimmt habe. Anderenfalls müsse der Empfänger ein ausdrückliches oder zumindest konkludent erklärtes Einverständnis abgeben, auch elektronische Erklärungen zu empfangen. Ein Einverständnis sei auch nicht durch die Konzernbetriebsvereinbarung ersetzt worden. Unabhängig davon, dass nicht ohne Weiteres ersichtlich sei, warum die Zuständigkeit für den Abschluss der Betriebsvereinbarung beim Konzernbetriebsrat gem. § 58 Abs. 1 BetrVG gelegen habe, bestehe kein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Art und Weise der Erteilung der Entgeltabrechnung i.S.v. § 108 Abs. 1 S. 1 GewO.

Das LAG Niedersachsen folgt mit seinem Urteil der herrschenden Auffassung in der Rechtsprechung (siehe hierzu zuletzt LAG Hamm, Urteil vom 03.09.2021 – 2 Sa 179/21). Doch in Zeiten voranschreitender Digitalisierung und Bürokratieabbau überzeugt die Entscheidung des LAG Niedersachsens keineswegs. Positiv bleibt, dass das letzte Wort in dieser für die Praxis relevanten Rechtsfrage noch nicht gesprochen ist. Gegen das Urteil des LAG Niedersachsen ist bereits die Revision beim BAG unter dem Az. 1 AZR 48/24 anhängig. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung dieser Frage ist für die Arbeitgeberpraxis zu empfehlen, vom alleinigen Zurverfügungstellen der Entgeltabrechnung über ein Online-Portal abzusehen, sofern die betroffenen Mitarbeitenden diesem Vorgehen nicht ausdrücklich zugestimmt haben. Alternativ kann die Möglichkeit der elektronischen Erteilung der Entgeltabrechnungen einzelvertraglich vereinbart werden. Für Mitarbeitende mit einem Computerarbeitsplatz kann die elektronische Entgeltabrechnung auch an das dienstliche E-Mail-Postfach übermittelt werden, wenn die Mitarbeitenden über eine eigene dienstliche E-Mail-Adresse verfügen (siehe dazu LAG Hamm, Urteil vom 03.09.2021 – 2 Sa 179/21).

Cornelia-Cristina Scupra

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1.7 Das Gericht sieht rot – wie eine schwarze Hose zur Kündigung führt

Das Thema Arbeitskleidung ist häufig streitbefangen. Das LAG Düsseldorf hat nun die Kündigung eines Mitarbeiters bestätigt, der sich beharrlich weigerte, eine rote Arbeitsschutzhose zu tragen (Urt. v. 21.05.2024 – 3 SLa 224/24). Die Kleidervorgabe griffe zwar in die Sozialsphäre des Mitarbeiters ein, die Anordnung sei aber aus berechtigten Interessen erfolgt und daher vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt.

Der Kläger war in einem Industriebetrieb im Bereich der Produktion tätig. Für die (Montage-)Arbeit nutzte er u. a. Kappsägen und Akkubohrer, einige der Tätigkeiten verrichtete er kniend. Die Beklagte stellte daher für alle Mitarbeiter – nach der Kleiderordnung verpflichtende – Arbeitsschutzkleidung zur Verfügung, u. a. rote Hosen. Der Kläger hatte die rote Hose über neun Jahre beanstandungsfrei getragen, erschien sodann aber wiederholt – wohl aus ästhetischem Empfinden – in schwarzer Hose. Daraufhin kündigte die beklagte Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis nach zwei erfolglosen Abmahnungen ordentlich fristgerecht.    

Das LAG Düsseldorf hat die Wirksamkeit der Kündigung mit der Sphärentheorie des BAG begründet. Die farbliche Vorgabe der Arbeitshose beträfe den Mitarbeiter lediglich in der Sozialsphäre seines Persönlichkeitsrechts. In diese dürfe der Arbeitgeber im Fall berechtigter Interessen eingreifen. Die Farbe Rot gewährleiste zum einen die im Sinne der Arbeitssicherheit gebotene Sichtbarkeit der Mitarbeiter, zum anderen werde die Corporate Identity in den Werkshallen gewahrt. Das ästhetische Empfinden des Mitarbeiters trete hierhinter zurück. 

Viele Arbeitgeber stellen Kleiderordnungen auf. Soweit nicht bereits gesetzliche Vorgaben bestehen (z.B. § 13 Abs. 3 S. 2 GefStoffV), können diese im Arbeitsvertrag oder gemeinsam mit dem Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden. Der Arbeitgeber kann qua Direktionsrecht auch einseitig vorschreiben, in welcher Kleidung Arbeitnehmer ihre Arbeit verrichten müssen und in welcher nicht. Die Wirksamkeit einer Kleidervorgabe wird auf der Grundlage einer umfassenden rechtlichen Abwägung im Einzelfall gemessen. Der nach Art. 12 GG geschützten unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers steht das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gegenüber. Dieser Konflikt ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip aufzulösen. Das heißt, dass, die Kleiderordnung geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, um den erstrebten legitimen Zweck (z. B. Kundenkontakt, Hygienestandards, Arbeitssicherheit, etc.) zu erreichen. Die Rechtfertigung unterliegt umso strengeren Anforderungen, je stärker sie die Privatsphäre des Arbeitnehmers berührt; die Intimsphäre ist dem Arbeitgeber prinzipiell entzogen. Ein Beispiel hierfür wäre die Verpflichtung, hautfarbene Unterwäsche zu tragen. Selbstredend muss die Kleiderordnung dem Gleichheitsgrundsatz genügen und darf nicht diskriminieren.   

Grundsätzlich gilt: Eine Kleiderordnung kann mitbestimmungsfrei eingeführt werden, wenn sie primär dem Zweck dient, die zu erbringende Arbeitsleistung zu konkretisieren. Sobald und sofern sie das Image bzw. das äußere Erscheinungsbild des Unternehmens fördern soll, kommt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zum Tragen.  

Dr. Johannes Kaesbach

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1.8 Mitarbeiterbeteiligungsprogramme – Verfall von virtuellen Optionen

Im Gegensatz zu Sondervergütungen, die an den Gewinn oder Umsatz des Unternehmens anknüpfen, handelt es sich bei virtuellen Optionen um die Einräumung von Gewinnchancen. Ob es jemals zu Einkünften beim Mitarbeitenden kommt, ist ungewiss. Aus diesem Grund können noch nicht ausgeübte Optionen mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen (LAG München vom 07.02.2024 – 5 Sa 98/23).

Das beklagte Unternehmen hatte dem Mitarbeitenden angeboten, an einem sog. virtuellen Optionsprogramm teilzunehmen, was einer Beteiligung am Eigenkapital der Gesellschaft nachgebildet war. Die virtuellen Optionen wurden nicht sofort mit der Möglichkeit zur Ausübung versehen, sondern sollten über einen gewissen Zeitraum „gevested“ werden, das heißt schrittweise ausübbar gemacht werden, um Anreize für die Zukunft zu schaffen. In den zugrundeliegenden Optionsbedingungen war vereinbart, dass die virtuellen Optionen vor einem Ausübungsereignis allerdings mit Beendigung des Anstellungsverhältnisses verfallen. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger endete durch Eigenkündigung noch bevor es zu einem Ausübungsereignis nach den Optionsbedingungen kam. Nachdem der Kläger nach seinem Austritt erfolglos versucht hatte, seinen Anspruch auf die virtuellen Optionen geltend zu machen, begehrte er die Feststellung, dass die ihm zugeteilten Optionen nicht – durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – verfallen waren. Das ArbG München wies die Klage ab. Dem schloss sich auch das LAG an. 

Die dem Kläger zugeteilten Optionen seien aufgrund der vertraglich vereinbarten Verfallklausel durch die Eigenkündigung des Klägers verfallen. Die Verfallklausel sei auch wirksam, insbesondere liege kein AGB-Verstoß vor (§§ 307 ff. BGB). Der Grundsatz, dass bereits verdienter Lohn nicht mehr entzogen werden darf, würde hierdurch nicht durchbrochen. Entzogen würde lediglich eine „Verdienstchance“. Im Gegensatz zu Sondervergütungen hätten virtuelle Optionen – ebenso wie Aktienoptionen – einen „spekulativen Charakter“. Sie stellten weniger eine Gegenleistung für erbrachte Leistungen dar als vielmehr einen Anreiz für zukünftigen Einsatz. Mit einem Verfall würde damit nur eine zusätzliche Verdienstchance wieder entzogen.

Wenngleich Rechtsprechung zu der Thematik nach wie vor rar ist, beschäftigte der (sukzessive) Verfall von virtuellen Optionen nicht das erste Mal die Arbeitsgerichte. Mit Urteil vom 28.05.2008 – 10 AZR 351/07 hatte das BAG bereits entschieden, dass die für bestimmte Sonderzahlungen, insbesondere Gratifikationen, entwickelten Rechtsgrundsätze bezüglich der Zulässigkeit von Bindungsfristen und Verfallklauseln nicht uneingeschränkt auf Aktienoptionen übertragen werden können. In der Folge kam es jedoch zu Kritik in der arbeitsrechtlichen Literatur. Dabei wurde darauf abgestellt, dass das BAG den Entgeltcharakter von Aktienoptionen negiere. Auch Aktienoptionen seien letztlich wie andere Formen erfolgs- oder leistungsbezogener Vergütung zu behandeln.

Die Entscheidung des LAG München stellt insoweit eine Bestätigung der bisherigen BAG-Rechtsprechung dar. Es ist zu begrüßen, dass die Revision zugelassen wurde. Der Gewährung von virtuellen Optionen kommt in der arbeitsvertraglichen Gestaltung eine immer größere Bedeutung zu, sodass weitere höchstrichterliche Entscheidungen zu begrüßen wären, um Rechtsklarheit zu schaffen. Es bleibt spannend, ob sich das BAG erneut mit dem Thema auseinandersetzten wird und seiner bisherigen Rechtsprechung treu bleiben wird.

Alexandra Groth 

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1.9 Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe

Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist.

Bereits seit langer Zeit ist klar, dass der verspätete Abschluss einer Zielvereinbarung zu einem Schadenersatzanspruch von Beschäftigten führen kann. Das LAG Köln hat in einer aktuellen Entscheidung einen solchen auch bei verspäteten Zielvorgaben bejaht (LAG Köln vom 06.02.2024 – 4 Sa 390/23). 

Der Entscheidung des LAG Köln lag ein gerichtlich geltend gemachter Anspruch auf Schadenersatz zu Grunde. Der Kläger war bei der Beklagten als Führungskraft und „Head of Advertising“ beschäftigt. Seine Vergütung setzte sich aus einem Jahresfestgehalt sowie einem variablen Vergütungsbestandteil zusammen. Eine Anfang 2019 geschlossene Betriebsvereinbarung sah vor, dass die für das jeweilige Geschäftsjahr zu erreichende Zielvorgabe zum 01.03. eines jeden Kalenderjahres mitgeteilt wird. Mit E-Mail vom 26.09.2019 teilte die Beklagte den Führungskräften die finalen, für die variable Vergütung maßgeblichen Parameter im Hinblick auf die Unternehmensziele für das laufende Geschäftsjahr 2019 mit. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2019. Er erhielt in der Folge für das Jahr 2019 eine stark gekürzte variable Vergütung. Der Kläger verlangte Schadenersatz.

Während die Klage in der ersten Instanz erfolglos bliebt, hat das LAG Köln zu Gunsten des Klägers entschieden. Die Beklagte habe die Zielvorgaben für das Geschäftsjahr 2019 nicht rechtzeitig mitgeteilt. Sie sei aufgrund der Betriebsvereinbarung verpflichtet gewesen, dem Kläger bis zum 01.03.2019 die entsprechenden Zielvorgaben mitzuteilen. Im Unterschied zu Zielvereinbarungen würden Zielvorgaben ausschließlich vom Arbeitgeber im Rahmen seines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts gemäß § 315 Abs. 1 BGB festgelegt. Daraus folge, dass der Arbeitnehmer bereits bei Ausübung seiner Tätigkeit Kenntnis von den Zielvorgaben haben müsse. Andernfalls könne der Zweck der Zielvorgabe, motivations- und anreizsteigernd zu wirken, nicht mehr sinnvoll erreicht werden. Erfolge eine Zielvorgabe zu einem derart späten Zeitpunkt, dass ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllt werden könne, sei sie so zu behandeln, als wäre sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt sei jedenfalls anzunehmen, wenn – wie im Streitfall – bereits zwei Drittel des laufenden Geschäftsjahres abgelaufen sind. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betraf, auf deren Erfüllung der Kläger weniger Einfluss gehabt habe als auf die Erfüllung persönlicher Ziele.

Das LAG hat die Revision zugelassen; eine Entscheidung des BAG bleibt abzuwarten. Arbeitgebern ist zu empfehlen, frühzeitig klare und realistische Zielvorgaben zu definieren und diese – möglichst mit entsprechendem Nachweis – gegenüber ihren Beschäftigten zu kommunizieren. Unterbleibt eine Zielvorgabe pflichtwidrig, ist dies zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend. Dies gilt sowohl für unternehmensbezogene als auch für persönliche Ziele, da beide gleichermaßen eine Anreizfunktion verfolgen können.

Lisa Striegler

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1.10 Wann verjährt der Kapitalabfindungsanspruch des PSVaG in der Insolvenz?

Im Insolvenzfall gehen Ansprüche auf wiederkehrende Rentenleistungen auf den Pensions-Sicherungs-Verein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit („PSVaG“) über. Gleichwohl verjährt der Anspruch des PSVaG nicht in drei, sondern in dreißig Jahren, so jedenfalls das LAG Baden-Württemberg mit Urteil 28.02.2024 – 4 Sa 36/23 (Revision zum BAG eingelegt, 3 AZR 45/24).

Die insolvente Schuldnerin hatte ihren Arbeitnehmern Direktzusagen über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erteilt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldete der klagende PSVaG die – kraft Gesetzes auf ihn übergangenen – Anwartschaften und Ansprüche der Arbeitnehmer zur Insolvenztabelle an. Der PSVaG begehrte von dem beklagten Insolvenzverwalter die Feststellung dieser Forderungen zur Insolvenztabelle. An die Stelle der Anwartschaften und Ansprüche der Arbeitnehmer trat nach der Insolvenzordnung der Anspruch des PSVaG gegen den Insolvenzverwalter auf Zahlung eines einmaligen Kapitalabfindungsbetrags der zu kapitalisierenden Betriebsrentenansprüche (Kapitalabfindungsanspruch). Der Insolvenzverwalter erhob die Einrede der Verjährung, so dass streitentscheidend nunmehr die Frage zu beantworten war, welche Verjährungsfrist für den Kapitalabfindungsanspruch des PSVaG – dreißig Jahre nach § 18a Satz 1 oder lediglich drei Jahre nach § 18a Satz 2 BetrAVG – gilt.

Das LAG hat die klägerische Berufung zurückgewiesen und klargestellt, dass der im Insolvenzfall bei Eintritt des PSVaG gemäß §§ 45, 46 InsO zu ermittelnde Kapitalabfindungsbetrag der 30-jährigen Verjährung gemäß § 18a Satz 1 BetrAVG (analog) unterliegt. Denn der dem PSVaG im Grundsatz unstreitig zustehende Anspruch (vgl. § 9 Abs. 2 BetrAVG) weise einen rentenstammrechtsgleichen Charakter auf und für das Rentenstammrecht gelte eine 30-jährige Verjährung. Dies gelte unabhängig davon, dass die Ansprüche der Betriebsrentner auf monatliche Rentenleistungen wiederkehrende Leistungen seien, für die eine Verjährungsfrist von drei Jahren gelte. Zwar negiere der gesetzliche Forderungsübergang von den Betriebsrentnern auf den PSVaG nicht die Eigenschaft als wiederkehrende Leistung. Gleichwohl sei die kurze dreijährige Verjährungsfrist nicht anwendbar. Die dreijährige Verjährungsfrist sei lediglich dadurch gerechtfertigt, dass der Betriebsrentner bei monatlichen Rentenleistungen zeitnah feststellen wird, wenn Rentenleistungen ausblieben und ein Zeitraum von drei Jahren daher für verjährungshemmende Maßnahme ausreiche. Allerdings führt der Anspruchsübergang auf den PSVaG dazu, dass alle ausstehenden Rentenleistungen in einer einmaligen Kapitalzahlung zusammengefasst werden. Da der Betriebsrentner bei einer dreijährigen Verjährung damit nicht lediglich einzelnen Rentenraten verlustig würde, sondern seine gesamte Versorgung für die Zukunft verlieren würde, wäre das Rentenstammrecht de facto nicht mehr durchsetzbar bzw. wertlos. In diesem Ausnahmefall sei es gerechtfertigt, den Abfindungsanspruch, der die Gesamtheit der wiederkehrenden Leistungsansprüche bildet, der dreißigjährigen Verjährungsfrist des Rentenstammrechts nach § 18 Satz 1 BetrAVG analog zu unterwerfen.

Die Entscheidung des LAG ist praxisrelevant, da sie – im Einklang mit der Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung – klarstellt, dass der Kapitalabfindungsanspruch des PSVaG weiterhin der dreißigjährigen Verjährungsfrist unterliegt. Neben dem mittelbaren Schutz des Rentenstammrechts müssen insbesondere Insolvenzverwalter dies auf dem Schirm haben, da der Anmeldung zur Insolvenztabelle gerade nicht die kurze Verjährungsfrist entgegengehalten werden kann, wenngleich die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist.  

Moritz Coché

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1.11 Paperless durch den Einstellungsprozess – Unterrichtung des Betriebsrats

Zukunft vs. Vergangenheit – Muss auch bei digitaler Durchführung des Bewerbungsverfahrens ein Ausdruck der Unterlagen für den Betriebsrat erfolgen? Das hatte das BAG jüngst im Beschluss vom 13.12.2023 – 1 ABR 28/22 zu entscheiden. Es entschied sich dabei für eine zukunftsfähige Lösung: eine Einsicht in ein IT-Tool ist ausreichend, um die Unterrichtungspflicht des § 99 Abs. 1 BetrVG zu erfüllen.

Das BAG hatte sich in der Auseinandersetzung zwischen Unternehmen und Betriebsrat damit zu beschäftigen, wie der Betriebsrat bei personellen Maßnahmen nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen ist. Nach § 99 BetrVG muss das Unternehmen den Betriebsrat vor jeder Einstellung unterrichten und diesem insbesondere die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorlegen. 

Im konkreten Fall stellte sich zunächst die Frage, ob im Zuge einer Einstellung das Unternehmen dem Betriebsrat die Bewerberunterlagen auch mittels eines IT-Tools zur Verfügung stellen kann. Diese Frage bejahte das BAG und bestätigte damit die Vorinstanz (LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.10.2022 – 2 TaBV 1/22). Zweck des § 99 Abs. 1 BetrVG sei, dem Betriebsrat die Informationen zu verschaffen, die für eine Prüfung von Zustimmungsverweigerungsgründen erforderlich seien. Das sei auch durch ein uneingeschränktes Zugriffsrecht auf alle digitalisierten Bewerbungsunterlagen und eingepflegten Daten mithilfe der Dienst-Laptops möglich. Besonders wenn der Arbeitgeber selbst nicht über Unterlagen in Papierform verfüge, könne kein Anspruch des Betriebsrats auf Überlassung in Papierform gerechtfertigt werden. 

Berücksichtigt man den Umstand, dass in der heutigen Arbeitswelt der Großteil aller Bewerbungen digital eingeht, und viele Unternehmen Bewerbungsmanagement-Tools nutzen, erscheint es richtig, den Unternehmen die Möglichkeit zu eröffnen, den Betriebsrat mittels eines digitalen Bewerbungsmanagement-Tools zu beteiligen. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des BAG das Unternehmen nicht nur über die Person des Bewerbers, die eingestellt werden soll, Auskunft geben muss, sondern auch über diejenigen Bewerber, die nicht berücksichtig wurden. Die vorstehenden Erwägungen gelten jedenfalls dann, wenn der Betriebsrat die Möglichkeit hat, auf die entsprechenden Unterlagen zuzugreifen. Hierfür muss der Betriebsrat insbesondere mit den nötigen technischen Mitteln ausgestattet sein. 

Die Entscheidung ist gleichfalls für die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 SGB IX maßgeblich, auch wenn dieses nicht Gegenstand des Verfahrens war. Das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung bei Einstellungen geht gleichfalls auf eine Unterrichtung, so dass Arbeitgeber unter Berücksichtigung der vorliegenden Entscheidung mit der Einrichtung der Möglichkeit des Zugriffs der Unterrichtungspflicht nach § 178 SGB Abs. 2 SGB IX nachkommen können.

Jörn Kuhn

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1.12 Betriebliche Mitbestimmung bei der Änderung von Sonderzahlungen

Sorgfalt bei der Einführung und dem Umgang mit Sonderzahlungen ist für Arbeitgeber unerlässlich, wie das aktuelle Urteil des BAG erneut deutlich macht (Urteil vom 21.02.2024 -10 AZR 345/22). Unklare Formulierungen oder eine fehlende Beteiligung des Betriebsrats gehen zu Lasten des Arbeitgebers.

In dem zugrundeliegenden Fall verklagten drei Mitarbeitende ihre Arbeitgeberin erfolgreich auf Zahlung von Urlaubsgeld. Ab dem Jahr 2008 übersandte die Arbeitgeberin alljährlich ein gleichlautendes Rundschreiben, in dem sie darlegte, unter welchen Voraussetzungen Mitarbeitende Urlaubsgeld erhielten. Sie wies darin darauf hin, dass die Höhe jährlich neu festgelegt werde und es sich bei der Urlaubsgratifikation um eine „einmalige, freiwillige und jederzeit widerrufliche soziale Leistung“ handele. 2017 änderte die Arbeitgeberin in einem Rundschreiben die Gratifikationsvoraussetzungen geringfügig. Im Jahr 2020 erhielten die Mitarbeitenden kein Urlaubsgeld. Die Arbeitgeberin begründete dies mit einer angespannten wirtschaftlichen Situation.

Nach der Entscheidung des BAG hatte die Beklagte zu Unrecht kein Urlaubsgeld gezahlt. Laut BAG resultiere der Urlaubsgeldanspruch aus dem ersten Rundschreiben aus 2008. Die in dem Schreiben enthaltene Kombination aus Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt sei intransparent und demnach gem. § 307 Abs. 1 BGB unwirksam gewesen. Der formulierte Vorbehalt sei deswegen nicht geeignet, das aus „wirtschaftlichen Gründen“ fehlende Urlaubsgeld für das Jahr 2020 zu rechtfertigen.

Mit den ab 2017 erfolgten Schreiben habe die Beklagte den Anspruch auch nicht inhaltlich verändern können. Seit 2013 existierte nämlich ein Betriebsrat bei der Beklagten. War das Schreiben von 2008 mangels damals existierenden Betriebsrats noch ohne dessen Zustimmung möglich gewesen, so bedurfte es ab 2013 für eine Änderung der Vergütungsordnung der Mitwirkung des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Insbesondere könne auch nicht in der stillschweigenden Hinnahme des Verhaltens der Arbeitgeberin durch den Betriebsrat eine Zustimmung gesehen werden.

Aufgrund der sog. Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung konnten die Mitarbeitenden bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht vorgenommenen Änderung der Entlohnungsgrundsätze weiterhin eine Vergütung nach den zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Grundsätzen fordern.

Diese Entscheidung zeigt, dass Arbeitgeber bei Sonderzahlungen größte Sorgfalt walten lassen sollten. Vereinbarungen sollten klar und widerspruchslos formuliert sein. Möchte sich der Arbeitgeber den Widerruf einer Gesamtzusage vorbehalten, so ist ein ausdrücklicher Hinweis erforderlich. Wird in diesem Zusammenhang gleichzeitig von einer „freiwilligen“ Zuwendung gesprochen, steht dies einem wirksamen Widerrufsvorbehalt entgegen. Des Weiteren ist bei Änderungen von Vergütungsregelungen stets das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten. Möchte der Arbeitgeber eine Gesamtzusage durch eine nachträgliche Betriebsvereinbarung ändern, müssen zu den vorstehenden Grundsätzen noch weitere Voraussetzungen berücksichtigt werden. Wurden mit den Mitarbeitenden keine „betriebsvereinbarungsoffene“ Arbeitsverträge geschlossen, muss die Änderung einer Gesamtzusage durch nachträgliche Betriebsvereinbarung einem kollektiven Günstigkeitsvergleich standhalten. Wenn die Betriebsvereinbarung eine Verschlechterung darstellt, können sich Mitarbeitende hingegen weiterhin auf den Anspruch aus der ursprünglichen Gesamtzusage berufen.

Fatoumata Kaba

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1.13 Kein Tätigwerden der Einigungsstelle vor Rechtskraft der gerichtlichen Einsetzung

Lange war streitig, ob bei einer gerichtlichen Einsetzung einer Einigungsstelle der Einigungsstellenvorsitzende die Beteiligten während der noch laufenden Rechtsmittelfrist bereits laden darf, so lange noch keine Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss eingelegt worden ist. Dazu hat sich nun das LAG Köln positioniert.

Gerade in Eilfällen führt das Abwarten der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist zu einer unerwünschten zeitlichen Verzögerung (ggf. einhergehend mit enormen wirtschaftlichen Verlusten) und eignet sich damit als zweckwidriges Druckmittel für den Beschwerdeführer. Nach der Entscheidung des LAG Köln vom 16.5.2024 – 9 TaBV 24/24 darf die gerichtlich eingesetzte Einigungsstelle aber auch in Eilfällen so lange nicht tätig werden, bis ihre Einsetzung formell rechtskräftig ist.

Arbeitgeber und Betriebsrat konnten sich im streitgegenständlichen Fall weder über die nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG mitbestimmungspflichtige Gestaltung von Dienstplänen einigen noch über die freiwillige Einsetzung einer Einigungsstelle. Das ArbG Köln setzte entsprechend dem Antrag des Arbeitgebers die Einigungsstelle am 03.05.2024 ein mit dem Regelungsgegenstand, die vom Betriebsrat abgelehnten Dienstpläne ab dem 06.05.2024 für die Dienstplanperiode festzusetzen. Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit lud der per erstinstanzlichem Beschluss eingesetzte Einigungsstellenvorsitzende bereits für den 04.05.2024 zur Einigungsstellensitzung. Daraufhin teilte der Anwalt des Betriebsrats ihm und dem Arbeitgeber am 04.05.2024 mit, dass von Seiten des Betriebsrats niemand an der Einigungsstellensitzung teilnehmen könne. Zudem teilte er die Ablehnung des Vorsitzenden mit, gegen dessen Einsetzung er sogleich Beschwerde einlegen werde. Die Einigungsstelle tagte dennoch wie geplant und genehmigte die Dienstpläne im Spruchweg ohne Beteiligung des Betriebsrats gem. § 76 Abs. 5 BetrVG noch bevor die Beschwerde des Betriebsrats beim LAG gem. § 100 Abs. 2 ArbGG anhängig gemacht wurde.

Die Beschwerde des Betriebsrats war erfolgreich, das LAG änderte den Einsetzungsbeschluss teilweise ab und bestellte einen anderen Vorsitzenden für die Einigungsstelle. Die bereits erfolgte Entscheidung der Einigungsstelle stehe dem nicht entgegen. Bei der gerichtlichen Einsetzungsentscheidung handele es sich um eine Gestaltungsentscheidung, die erst mit Rechtskraft Wirkung entfalten könne. Bis zur formellen Rechtskraft sei die Einigungsstelle daher nicht wirksam errichtet und nicht befugt, die streitige Angelegenheit durch einen Spruch zu regeln. Dies gelte – so das LAG Köln - auch in eiligen Angelegenheiten. Der Eilbedürftigkeit sei bereits durch die stark abgekürzten Fristen im Einsetzungsverfahren nach § 100 ArbGG Rechnung getragen. Die Betriebsparteien müssten zudem für Eilfälle vorsorgen, etwa durch Errichtung einer ständigen Einigungsstelle oder Festlegung eines Verfahrens bei Nichterreichbarkeit des Betriebsrats. Einer solchen vorsorglichen Regelung dürfe sich der Betriebsrat nicht verweigern.

Nach dieser Entscheidung kann somit eine in erster Instanz gerichtlich eingesetzte Einigungsstelle solange nicht tätig werden, bis die Entscheidung in Rechtskraft erwächst. Tut sie es doch, entfaltet ihr Spruch keine einigungsersetzende Wirkung. Damit bleibt das Erfordernis einer gerichtlichen Einsetzung der Einigungsstelle weiterhin Druckmittel für diejenige Betriebspartei, die auf Zeit spielen will. Interessengerecht erscheint dies in Anbetracht des Gebots des effektiven Rechtsschutzes nicht, denn im Anwendungsbereich des § 100 ArbGG ist nach h. M. kein Raum für den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Einsetzung der Einigungsstelle. Hinzu kommt, dass auch die Errichtung einer ständigen Einigungsstelle nach bisheriger Rechtsprechung nicht im Spruchwege einseitig durchgesetzt werden kann (LAG Berlin-Brandenburg vom 23.06.2008 - 10 TaBV 303/08). Die Spruchkompetenz wäre jedoch in Anbetracht dieser Entscheidung des LAG Köln nochmals zu überdenken und Arbeitgeber, die regelmäßig gleichgelagerten Streitigkeiten und gerichtlichen Einsetzungsverfahren ausgesetzt sind, sollten unter Hinweis auf diese Entscheidung weiterhin versuchen, auf die Errichtung einer ständigen Einigungsstelle hinzuwirken.

Isabel Hexel

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2. Neue Gesetzgebung

2.1 BEG IV: Änderungen im Arbeitsrecht

Am 21.03.2024 hatte das Bundesministerium der Justiz angekündigt, im geplanten Vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) auch im Arbeitsrecht Änderungen vorzunehmen. Neben einer Förderung der Digitalisierung soll dadurch eine finanzielle Entlastung der Unternehmen erreicht werden. Die Bundesregierung hat am 19.06.2024 den Regierungsentwurf zum BEG IV ergänzt. 

Das Gesetz enthält im Arbeitsrecht jetzt Erleichterungen bei Formerfordernissen in verschiedenen Bereichen. Kurz zusammengefasst ist der aktuelle Stand wie folgt:

  • Künftig sollen Arbeitgeber auch in Textform, also beispielsweise per E-Mail, über die wesentlichen Bedingungen ihrer Arbeitsverträge gem. NachwG informieren sowie Vereinbarungen zur Befristung bis zur Regelaltersgrenze treffen können. Nur wenn Beschäftigte ausdrücklich einen schriftlichen Nachweis ihrer Arbeitsbedingungen verlangen, müssen Arbeitgeber die Informationen unterschrieben auf Papier übersenden. Diese Änderung erlaubt es Unternehmen, Abläufe in ihren Personalverwaltungen zu digitalisieren. Nur in Wirtschaftsbereichen, die besonders von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung bedroht sind, bleibt es beim verpflichtenden Nachweis in Papierform.
  • Außerdem sollen Arbeitszeugnisse zukünftig in elektronischer Form erteilt werden können.
  • Das Arbeitszeitgesetz und das Jugendarbeitsschutzgesetz sollen dahingehend angepasst werden, dass die jeweiligen Aushangpflichten durch den Arbeitgeber auch erfüllt werden, wenn er die geforderten Informationen elektronisch zur Verfügung stellt.
  • Das Schriftformerfordernis im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz für Anträge auf Verringerung der Arbeitszeit und ihre Ablehnung sowie die Geltendmachung des Anspruchs auf Elternzeit soll durch die Textform ersetzt werden.
  • Darüber hinaus sollen auch im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Formerfordernisse geändert werden. Die Textform soll zukünftig statt der Schriftform für den Überlassungsvertrag zwischen Ver- und Entleiher ausreichen.

Die Erleichterungen sind insgesamt zu begrüßen, auch wenn es sicher nicht der ganz große Wurf ist, den viele erwartet haben. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, wann der Gesetzgebungsvorgang abgeschlossen wird.

Jörn Kuhn 

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2.2 Sozialversicherung von Mitarbeitenden bei mobiler Arbeit im EU-Ausland – Stichtag 01.07.2024 rückt näher

Unternehmen mit Mitarbeitenden, die einen Teil ihrer Arbeit aus dem Homeoffice im EU-Ausland erbringen, müssen vor dem 01.07.2024 Maßnahmen ergreifen, um zu vermeiden, dass ihre Mitarbeitenden ab dem 01.07.2023 möglicherweise unter das Sozialversicherungssystem des Wohnsitzlandes des Mitarbeitenden fallen. Für Unternehmen hätte dies auch zur Folge, dass eine ausländische Lohnbuchhaltung erforderlich würde.

Wir haben Sie bereits über das EU-Rahmenübereinkommen im vergangenen Jahr informiert, nach der mobil arbeitende Mitarbeitende im EU-Ausland auch ab dem 01.07.2023 weiter in dem Mitgliedstaat sozialversichert bleiben können, wo das Unternehmen seinen Sitz hat. Das Rahmenübereinkommen findet allerdings nur Anwendung, wenn die Behörden des Mitgliedstaates, in dem das Unternehmen ansässig ist, eine entsprechende A1-Bescheinigung für den jeweiligen Mitarbeitenden ausgestellt haben. 

Hierfür ist Handlung geboten: Das beschäftigende Unternehmen und der Mitarbeitende können dazu gemeinsam einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung für den Verbleib im Sozialversicherungsstatut des Sitzes des Unternehmens stellen. Bis zum 30.06.2024 kann ein solcher Antrag noch rückwirkend für den Zeitraum seit 01.07.2023 gestellt werden. Danach kann der Antrag nur noch für die vorangegangenen drei Monate rückwirkend gestellt werden.

Alexandra Groth

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