Compliance & Internal Investigations15.07.2021 Newsletter
Erstattung von Anwaltskosten bei Compliance-Verstößen
Das Bundesarbeitsgericht hat jüngst zu den Voraussetzungen und Grenzen der Erstattungspflicht bei Compliance-Maßnahmen Stellung genommen: Hat der Arbeitgeber den konkreten Verdacht, dass ein Arbeitnehmer eine erhebliche Pflichtverletzung begangen hat und beauftragt er daraufhin einen externen Dritten mit Compliance-Ermittlungen, z. B. eine Anwaltskanzlei, die den Arbeitnehmer der Tat überführen, so kann er die Ermittlungskosten vom Arbeitnehmer erstatten lassen (§ 249 BGB). Die Ersatzpflicht ist jedoch auf die „erforderlichen“ Kosten begrenzt, für die der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast trägt. Die nachfolgend dargestellten Grundsätze sollten daher im Rahmen von Compliance Management Systemen Beachtung finden, um die Kosten der Aufklärung konkreter Verdachtsmomente erstattet bekommen zu können.
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall hatte der Arbeitgeber mehrere anonyme Verdachtsmeldungen wegen angeblicher Compliance-Verstöße von einem Whistleblower erhalten und daraufhin eine Anwaltskanzlei beauftragt, die auf die Durchführung von Compliance-Ermittlungen spezialisiert ist. Der von der Kanzlei vorgelegte Untersuchungsbericht bestätigte den Verdacht gegen die Führungskraft, Spesen- und Abrechnungsbetrug begangen zu haben. Danach hatte die Führungskraft u. a. auf Kosten des Arbeitgebers Personen ohne dienstliche Veranlassung zum Essen eingeladen und Reisekosten für von ihm unternommene Fahrten zu Champions-League-Spielen abgerechnet. Die darauf gestützte fristlose Kündigung war erfolgreich. Die Kosten der Anwaltskanzlei i. H. v. ca. 200.000 Euro für die Ermittlungsmaßnahmen, die der Arbeitgeber widerklagend geltend gemacht hatte, konnte dieser allerdings nicht vom Arbeitnehmer ersetzt verlangen. Denn der Ermittlungsauftrag richtete sich zunächst gegen mehrere Verdächtige und wurde im Zuge der fortschreitenden Ermittlungen immer stärker ausgeweitet.
Das BAG verneinte den Erstattungsanspruch, da der Arbeitgeber nicht hinreichend klar habe darlegen können, welche der geltend gemachten Kosten den konkreten Ermittlungen gegen den klagenden Arbeitnehmer und beschränkt auf den ursprünglichen Verdacht zuzuordnen waren (BAG 29.04.2021, Az. 8 AZR 276/20). Die Grenze der Ersatzpflicht richtet sich laut BAG nach dem, was ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach den Umständen des Falles zur Beseitigung der Störung oder zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern als erforderlich getan haben würde. Dem steht § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht entgegen: diese spezielle arbeitsrechtliche Regelung schließt nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch aus, sondern auch einen materiellen, solange sich die anwaltliche Tätigkeit ausschließlich auf eine ergebnisoffene unternehmensinterne Ermittlung bezieht.
Auch wenn bei Compliance-Ermittlungen in der Praxis häufig die vollumfängliche Aufklärung des Sachverhalts im Fokus steht, sollten Unternehmen zukünftig bei der Beauftragung von Compliance-Ermittlungsmaßnahmen folgende Handlungsanweisungen beachten:
- Sofern ein konkreter Verdacht einer erheblichen Verfehlung eines oder mehrerer Arbeitnehmer vorliegt, sollten die beauftragten Ermittlungsmaßnahmen in der Kostenaufstellung stets sorgfältig konkretisiert, auf die veranlassenden Verdachtsmomente bezogen sowie für jeden einzelnen Verdächtigen gesondert aufgeschlüsselt werden. Eine hinreichende Dokumentation, welche konkreten Ermittlungen wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen welche Person von dem beauftragten Ermittler ausgeführt wurden, ist somit für die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten unerlässlich.
- Ferner darf sich der Ermittlungsauftrag nicht auf das Erbringen belastender Beweise zur Begründung einer Kündigung begrenzen, sondern muss grundsätzlich ergebnisoffen gestellt werden. Das bedeutet, dass er auch die Ermittlung von den Arbeitnehmer ggf. entlastenden Umständen mit umfasst.
- Zudem müssen die Kosten für die Ermittlungsmaßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamthöhe des ersatzfähigen Schadens stehen. Nur dann kommt eine wirksame Weiterbelastung der Ermittlungskosten in Betracht.