Außenhandel / Beihilferecht / Kartellrecht und Fusionskontrolle / Mergers & Acquisitions / Vergaberecht06.07.2022 Newsletter
Drittstaatensubventionen: Neues Kontrollverfahren bei M&A-Transaktionen und Vergabeprozessen
Am 30. Juni 2022 haben sich der Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament auf den Inhalt der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen geeinigt. Auf Grundlage dieser Einigung könnte die neue Verordnung noch in diesem Jahr in Kraft treten. Die Verordnung wird durch die Einführung eines neuen verpflichtenden Prüfmechanismus nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Transaktionspraxis in M&A-Prozessen und in Vergabeverfahren haben.
Bislang unkontrollierte Drittstaatensubventionen
Der europäische Markt ist das weltweit primäre Ziel ausländischer Direktinvestitionen. So stehen schätzungsweise bereits rund 100.000 in der EU ansässige Unternehmen im Eigentum ausländischer Investoren. In vielen Fällen erhalten diese Unternehmen staatliche Unterstützung aus dem Unionsausland (sog. „Drittstaatensubventionen“). Während die Gewährung staatlicher Subventionen durch EU-Mitgliedstaaten durch das Beihilfenrecht reguliert wird, können ausländische Staaten bislang ohne spezifisch wettbewerbsrechtliche Kontrolle unionsansässige Unternehmen unterstützen.
Die bereits in vielen Mitgliedstaaten bestehenden Verfahren zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen („Investitionskontrollverfahren“) sehen auf Grundlage der EU-Verordnung zur Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen zwar ebenfalls vor, dass die staatliche Finanzierung von Unternehmenserwerben kontrolliert und ggf. beschränkt werden kann. Allerdings dienen die Investitionskontrollverfahren ausschließlich dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und bieten den Mitgliedstaaten keine Handlungsmöglichkeiten, wenn durch die Drittstaatensubventionen der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt verzerrt wird.
Die EU-Kommission geht davon aus, dass Drittstaatensubventionen in den letzten Jahren in einigen Fällen verzerrende Auswirkungen auf den Binnenmarkt der EU hatten und zu unfairen Wettbewerbsbedingungen führten. So seien durch Drittstaatensubventionen der Erwerb von EU-Unternehmen erleichtert, Investitionsentscheidungen beeinflusst, der Dienstleistungshandel verzerrt oder in anderer Weise das Verhalten ihrer Empfänger auf dem Markt der EU beeinflusst worden. Denkbare Unterstützungsleistungen sind dabei etwa zinslose Kredite, unbegrenzte staatliche Garantien, Steuerfreistellungen oder -ermäßigungen in Bezug auf drittstaatliche Investitionen oder zweckgebundene staatliche Finanzierung.
Künftig neuer Kontrollmechanismus für Drittstaatensubventionen
Mit der neuen Verordnung über Drittstaatsubventionen soll diese Lücke geschlossen und die Chancengleichheit unionsansässiger Unternehmen sichergestellt werden. Dafür wird ein neuer Kontrollmechanismus eingeführt, der es der EU-Kommission ermöglicht, einen potenziell wettbewerbsverzerrenden Einfluss von Drittstaatensubventionen zu überprüfen und falls erforderlich Ausgleichsmaßnahmen zu beschließen.
Der Kontrollmechanismus sieht sowohl Notifizierungspflichten bei M&A-Transaktionen und im Vergabeprozess als auch ein Untersuchungsrecht der Kommission von Amts wegen vor:
- Erwerbsvorgänge, Zusammenschlüsse und Gründungen von Gemeinschaftsunternehmen müssen künftig vor Vollzug (auch) der Kommission gemeldet werden, wenn die Zielgesellschaft, eines der erwerbenden Unternehmen oder das zu gründende Gemeinschaftsunternehmen mehr als 500 Mio. Euro Umsatz erzielt habt und die finanziellen Zuwendungen aus Drittstaaten in den drei vorangegangenen Jahren 50 Mio. Euro übersteigen.
- Bei öffentlichen Vergabeverfahren mit einem Auftragswert von mehr als 250 Mio. Euro müssen Unternehmen künftig alle drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen, die sie in den letzten drei Jahren erhalten haben, melden.
Außerhalb meldepflichtiger Vorgänge kann die Kommission zudem von Amts wegen prüfen, ob eine Drittstaatensubvention zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führt. Der Kontrollmechanismus ermöglicht eine Überprüfung von Subventionen, die bis zu fünf Jahre vor Inkrafttreten der Verordnung gewährt wurden.
Die Kommission wägt sodann die negativen Auswirkungen einer drittstaatlichen Subvention in Form der Verzerrung des Binnenmarkts gegen die positiven Auswirkungen der Subvention auf die Entwicklung der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit ab. Kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass die negativen Auswirkungen überwiegen, erlässt sie Abhilfemaßnahmen. In Betracht kommen
- Verpflichtungen zur Gewährung fairer und diskriminierungsfreier Zugangsbedingungen für bestimmte Infrastrukturen,
- Verringerung der Kapazitäten oder der Marktpräsenz der beteiligten Unternehmen,
- Verzicht auf bestimmte Investitionen,
- Lizenzvergabe zu fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen für Vermögenswerte, die mithilfe drittstaatlicher Subventionen erworben oder entwickelt wurden,
- Veröffentlichung der Ergebnisse von Forschung und Entwicklung oder
- Veräußerung bestimmter Vermögenswerte.
In besonderen Fällen kann die Kommission zudem sogar die Rückabwicklung eines Erwerbs oder Zusammenschlusses sowie die Rückzahlung der drittstaatlichen Subvention, einschließlich einer angemessenen Verzinsung, anordnen.
Auswirkungen auf die Praxis
Die Kontrolle von Drittstaatensubventionen durch die Kommission wird künftig neben dem Kartell- und Investitionskontrollverfahren zum neuen Standardinstrument bei größeren M&A-Transaktionen und Vergabeverfahren werden. Mit Blick auf die erhebliche Bußgeldandrohung in Höhe von bis zu 10 % des weltweiten Jahresumsatzes bei vorsätzlich oder fahrlässig unterlassener Notifizierung werden künftig Unternehmen aus Drittstaaten erhaltene Förderungen der letzten fünf Jahre sehr genau unter die Lupe nehmen müssen, um bei möglichen M&A-Transaktionen und Vergabeprozessen entsprechend gewappnet zu sein.