Energie und InfrastrukturEnergiewirtschaftsrecht08.06.2022 Newsletter
Der Energie-Impuls: Zum Entwurf des Delegated Act der EU-Kommission für den Wasserstoffeinsatz im Verkehrssektor – Geht dem Wasserstoffhochlauf in Deutschland die Luft aus?
Grünem Wasserstoff wird eine Schlüsselrolle für das Gelingen der Energie- und Verkehrswende zugeschrieben. Doch der Aufbau einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft bringt große Anstrengungen mit sich. Der jetzt veröffentlichte Entwurf des sog. Delegierten Rechtsaktes (Delegated Act) zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie , der sog. RED II, versetzt die H2-Branche in Aufruhr.
Nicht erst durch das Osterpaket der Bundesregierung, das noch vor der Sommerpause festgezurrt werden soll, versucht Deutschland, den energieregulatorischen Rahmen für einen zügigen Hochlauf der (grünen) Wasserstoffwirtschaft zu schaffen.
Es fehlt indes bislang an einer tragfähigen Regelung der Anforderungen an Grünen Wasserstoff, damit dieser als Energieträger aus Erneuerbaren Energien gelten und beispielsweise auf die (nationalen) Zielvorgaben für den Anteil von Energie aus Erneuerbaren Quellen in der RED II angerechnet werden darf. Mit dem Osterpaket definiert die Bundesregierung erstmals die Anforderungen an Grünen Wasserstoff. § 26 Abs. 1 EnUG-E lautet: „Grüner Wasserstoff ist Wasserstoff, der elektrochemisch durch den Verbrauch von Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird.“ Näheres zu den Anforderungen an die Herstellung von Grünem Wasserstoff soll eine Rechtsverordnung regeln. Einige Bestimmungen des Osterpakets stehen – ebenso wie die §§ 69b, 64a Abs. 6 EEG 2021 zur Förderung der Herstellung von Grünem Wasserstoff – unter dem Vorbehalt der beihilferechtlichen Genehmigung durch die EU-Kommission. Diese soll erst erfolgen, wenn die zugehörige Rechtsverordnung nach § 93 EEG 2021 erlassen wurde. Letzteres ist zwar mit §§ 12h ff. EEV erfolgt, allerdings dauert die Prüfung durch die EU-Kommission an, weil sie an einer europaweit einheitlichen Definition von Grünem Wasserstoff arbeitet. Eine – engere – Definition von Grünem Wasserstoff (renewable hydrogen) enthält der Entwurf des Delegated Act, welcher am 20. Mai 2022 veröffentlicht wurde. Danach ist Grüner Wasserstoff („renewable hydrogen“) Wasserstoff, der ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird, mit Ausnahme von Biomasse.
Entwurf des Delegated Act enttäuscht Wasserstoffwirtschaft in Deutschland
Durch Art. 27 Abs. 3 RED II wird die EU-Kommission ermächtigt, EU-einheitliche Vorgaben zur Produktion von flüssigen oder gasförmigen erneuerbaren Kraftstoffen – also insbesondere Wasserstoff – zur Abnahme im Verkehrssektor festzulegen. Der nun veröffentlichte Entwurf hat es in sich; die deutschen Wasserstoffakteure sind sich einig, dass der Entwurf dem Anlauf der Wasserstoffwirtschaft Fesseln anlegt. Überraschend ist das indes nicht, die Branche war durch mehrfache Leaks inoffizieller Entwürfe des Delegated Act gewarnt. Zwar haben Unternehmen und Branchenverbände sofort und eindringlich vor den sich aus den geleakten Entwürfen ergebenden negativen Folgen für die Wasserstoffwirtschaft in Deutschland gewarnt. Wesentliche Änderungen zu den branchenweit kritisch betrachteten geleakten Entwürfen enthält der nun veröffentlichte, offizielle Entwurf des Delegated Act jedoch nicht.
Der Delegated Act wird vorerst nur für den Verkehrssektor gelten. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die EU-Kommission unterschiedliche Vorgaben für die verschiedenen Absatzwege von Grünem Wasserstoff machen wird. Mithin steht zu befürchten, dass die im Delegated Act festgeschriebenen Mechanismen als Blaupause für andere Sektoren dienen werden. Aus Sicht der Wasserstoffakteure in Deutschland wird der Delegated Act in der nun vorliegenden Fassung den Wasserstoffhochlauf in Deutschland bremsen, anstatt ihn zu beschleunigen. Im Einzelnen:
Kriterium der Zusätzlichkeit – Nur neue EE-Anlagen dürfen Strom liefern
Im Wesentlichen sieht der Entwurf des Delegated Act vier Möglichkeiten vor, Grünen Wasserstoff zu ernten:
- „Direktleitung“ – Hierbei ist der Elektrolyseur direkt an eine Anlage zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien (EE-Anlage) angeschlossen; ein Netzanschluss besteht nicht respektive es wird messtechnisch sichergestellt, dass kein Strom aus dem Netz zur Produktion von Kraftstoffen eingesetzt wurde. Die EE-Anlage darf maximal 36 Monate vor dem Elektrolyseur in Betrieb genommen worden sein. Eine Erweiterung der Kapazität des Elektrolyseurs darf bis zu 24 Monate nach seiner ersten Inbetriebnahme erfolgen.
- „Grünstromland“ – Wird Strom zur Elektrolyse aus dem Netz entnommen, gilt dieser als vollständig erneuerbar, wenn der Elektrolyseur in einer Gebotszone belegen ist, in der der durchschnittliche Anteil von Strom aus Erneuerbaren Energien im vorangegangenen Kalenderjahr über 90 % lag und die Produktionsdauer flüssiger oder gasförmiger Transportkraftstoffe nicht-biologischen Ursprungs (Wasserstoff) eine mit einem Schlüssel errechnete Höchststundenzahl nicht überschreitet.
- „PPA“ – Aus dem Netz entnommener Strom soll auch dann als vollständig erneuerbar gelten, wenn der Erzeuger von Wasserstoff einen oder mehrere Stromlieferverträge abgeschlossen hat (sog. Power Purchase Agreements – PPA), wobei folgende Bedingungen kumulativ gelten:
- (1) Die EE-Anlage, deren Strom mittels PPA abgenommen wird, darf maximal 36 Monate vor dem Elektrolyseur in Betrieb genommen worden sein. Dieses Kriterium soll erst ab dem 1. Januar 2027 gelten.
- (2) die EE-Anlage darf grundsätzlich keine gesetzliche Förderung erhalten haben. Auch dieses Kriterium soll erst ab dem 1. Januar 2027 gelten.
- (3) Der Entwurf des Delegated Act stellt zudem das Kriterium der Zeitgleichheit auf. Das bedeutet, dass der in der EE-Anlage erzeugte und mittels PPA kontrahierte Strom grundsätzlich innerhalb eines definierten Zeitfensters (one-hour period) durch den Elektrolyseur verbraucht werden muss. Folgende alternativen Möglichkeiten bestehen nach den Vorgaben des Delegated Act zur Einhaltung des Kriteriums der Zeitgleichheit: (a) Der EE-Strom und der Wasserstoff müssen in derselben Stunde produziert worden sein. (b) Falls der EE-Strom aus einem Stromspeicher hinter dem Netzverknüpfungspunkt entnommen wird, muss dieser in derselben Stunde aufgeladen worden sein, in der der Strom unter dem PPA erzeugt wurde. Die Zeitgleichheit nach (a) und (b) soll bis Ende 2026 auch dann erfüllt sein, wenn die Erzeugung des EE-Stroms respektive die Einspeicherung desselben und die Produktion des Wasserstoffs in demselben Kalendermonat erfolgen. (c) Das Kriterium der Zeitgleichheit soll auch dann erfüllt sein, wenn der Wasserstoff innerhalb einer Stunde erzeugt wird, in der der markträumende Preis (clearing price) für Strom, der sich aus der Day-Ahead-Marktkopplung in der Gebotszone ergibt, geringer oder gleich 20 EUR/MWh ist oder der in dem Entwurf des Delegated Act näher beschriebene CO2-Zertifikatspreis unterschritten wird.
- (4) Dazu gesellen sich Anforderungen an den Standort der beiden Anlagen: (a) Entweder EE-Anlage und Elektrolyseur befinden sich in der gleichen Gebotszone, oder (b) die EE-Anlage befindet sich in einer benachbarten Gebotszone und der Strompreis ist dort im relevanten Zeitraum am Day-Ahead Markt mindestens genauso hoch wie in der Gebotszone des Elektrolyseurs, oder (c) die EE-Anlage befindet sich in einer an den Standort des Elektrolyseurs angrenzenden Offshore-Gebotszone. Die Mitgliedstaaten sollen darüber hinaus weitere Standortkriterien festlegen können.
- „Netzengpass“ – Der zur Elektrolyse eingesetzte Strom aus dem Netz gilt auch dann als vollständig erneuerbar, wenn dem Erzeuger von Wasserstoff der Nachweis gelingt, dass der zur Elektrolyse verwendete Strom den Bedarf an Redispatch-Maßnahmen für EE-Anlagen in entsprechendem Umfang reduziert.
Stellungnahmefrist bis 17. Juni 2022
Besonders die Kriterien der Zusätzlichkeit und der Zeitgleichheit, wie sie im Entwurf des Delegated Act derzeit gefasst sind, dürften Elektrolyse-Projekte in Deutschland merklich verteuern und zudem eine kontinuierliche Belieferung der Industrie mit Grünem Wasserstoff ohne massiven Import nahezu unmöglich machen. Die Wasserstoffbranche hat noch bis zum 17. Juni 2022 Gelegenheit, zu dem Entwurf des Delegated Act Stellung zu nehmen, bevor er dem Parlament und dem Rat der EU vorgelegt wird. Es bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission die Warnungen der Branche ernst und zum Anlass nimmt, wichtige Stellschrauben des Delegated Act zu justieren. Ein erfolgreicher Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland kann nur gelingen, wenn der Zugang zu EE-Strom nicht zu stark eingeschränkt wird und Elektrolyseure wirtschaftlich, das bedeutet insbesondere mit einer hinreichenden Anzahl von Volllaststunden, betrieben werden können.