Energiewirtschaftsrecht29.11.2024 Newsletter
Der Energie-Impuls: Die Überbauung von Netzanschlüssen in der EnWG-Novelle – Sturmfrisur und Sonnenbrand?
In der Praxis kommt es leider immer häufiger vor: Netzbetreiber erhalten eine Vielzahl von Netzanschlussbegehren von Wind- und Solarprojekten. Dies führt mitunter zu (jahre-)langen Wartezeiten, bis der Netzbetreiber Erneuerbare-Energien-Anlagen an das öffentliche Stromnetz anschließen kann. Hieraus resultieren wiederum empfindliche Verzögerungen bei der Fertigstellung von Wind- oder Solarparks. In der derzeit teils extremen Form ist dies manchen Projektentwicklern nicht bewusst. Im schlimmsten Fall kann dies zu empfindlichen (Straf-)Zahlungen führen, wenn der Projektentwickler bereits feste Zusagen wie etwa zur Stromlieferung unter einem Stromliefervertrag (PPA) abgegeben hat. Kurzum: Die Wirtschaftlichkeit ganzer Projekte kann durch den Stau der Anschlussbegehren beim Netzbetreiber gefährdet sein.
Grund hierfür ist insbesondere, dass die Netzkapazität für Einspeisung und Entnahme von Strom aus dem Netz begrenzt ist und der erforderliche Netzausbau seit Jahren nicht Schritt hält. Auf der anderen Seite hält insbesondere das Mittel- und Hochspannungsnetz Netzkapazitäten vor, die nicht vollständig genutzt werden.
Überbauung von Netzanschlüssen seit geraumer Zeit diskutiert
Die Energiewirtschaft hat das Problem bereits seit einiger Zeit erkannt und eine Lösung parat: Für die Netzverträglichkeitsprüfung des Netzbetreibers ist die installierte Leistung von Anlagen maßgeblich. Das ist die elektrische Wirkleistung, die eine Anlage theoretisch technisch erzeugen kann (vgl. § 3 Nr. 31 EEG 2023). In der Regel erzeugen Wind- und Solaranlagen jedoch deutlich geringere Strommengen, als dies nach der installierten Leistung theoretisch möglich wäre. Durch diese gesetzlich vorgegebene Konstellation werden regelmäßig Netzkapazitäten „verschenkt“. Die meiste Zeit des Jahres wird eine Erneuerbare-Energien-Anlage nicht so viel Strom erzeugen, dass die installierte Leistung auch nur annähernd erreicht wird. Zusätzlich haben Daten gezeigt, dass die Wetterbedingungen für Wind- und Solarenergie oft nicht gleichzeitig gut sind.
Nachdem Rufe aus der Branche beim Gesetzgeber lange ungehört blieben, gab der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. eine Studie zur Gemeinsamen Nutzung von Netzverknüpfungspunkten in Auftrag, die im April 2024 erschien. Diese zeigte, dass auch bei starker Überbauung mit Wind und Solarenergie von 250% der Netzkapazität am Netzanschluss lediglich im Mittel nur etwa 6% der Strommengen überproduziert würden und somit nicht eingespeist werden könnten. Bei 150% Überbauung liegt dieser Wert unter 1%.
„Flexible Netzanschlussvereinbarungen“ im Kabinettsentwurf
Trotz der eindeutigen Ergebnisse der Studie enthielt der Referentenentwurf der EnWG-Novelle aus August 2024 zunächst keine Regelungen für die Überbauung von Netzanschlüssen, was prompt zu weiterer Kritik aus der Branche führte. Der Kabinettsentwurf vom 15. November 2024 hingegen führt mit §§ 8a bis 8g EEG-E zahlreiche Neuerungen für den Netzanschluss von Erneuerbare-Energien-Vorhaben ein und enthält mit § 8f EEG-E („Flexible Netzanschlussvereinbarung“) erstmals eine Regelung zum Überbau von Netzanschlüssen.
Nach Abs. 1 können Netzbetreiber und Anlagenbetreiber eine anschlussseitige Begrenzung der maximalen Wirkleistungseinspeisung in das Netz vereinbaren (flexible Netzanschlussvereinbarung). Die Begrenzung kann sowohl statisch, als auch dynamisch sein, d. h. auf Zeitfenster beschränkt und in der Höhe variabel sein. Die flexible Netzanschlussvereinbarung muss neben Höhe und Dauer auch die (Sicherstellung der) technischen Anforderungen, die Haftung des Anlagenbetreibers bei Überschreitung und – soweit vorhanden – das Einverständnis anderer Anlagenbetreiber am Netzanschluss oder von Stromspeichern regeln (Abs. 2).
Der Abschluss einer flexiblen Netzanschlussvereinbarung steht nach dem Wortlaut („kann … vereinbaren“) im Ermessen der Parteien. Der Netzbetreiber ist jedoch nach Abs. 3 verpflichtet, die grundsätzliche Möglichkeit einer flexiblen Netzanschlussvereinbarung zu prüfen und das Ergebnis der Prüfung dem Anlagenbetreiber mit der Netzverträglichkeitsprüfung mitzuteilen, wenn der technisch und wirtschaftlich günstigste Verknüpfungspunkt nicht der nach der Luftlinie kürzeste Verknüpfungspunkt ist.
Flankierend hierzu kann der Anlagenbetreiber nach den neuen Sätzen 2 und 3 in § 8 Abs. 2 EEG-E auch einen bereits von einer Bestandsanlage genutzten Verknüpfungspunkt als Wahlverknüpfungspunkt wählen, sofern der Betreiber der Bestandsanlage der Mitnutzung zustimmt. Die Wahl eines solchen Verknüpfungspunkts kann der Anlagenbetreiber dann mit einem Angebot auf Abschluss einer flexiblen Netzanschlussvereinbarung gegenüber dem Netzbetreiber verbinden.
Daneben regelt die EnWG-Novelle die Pflicht des Netzbetreibers zum Netzanschluss auch vor notwendiger Optimierung, Verstärkung oder Ausbau des Netzes mit § 8 Abs. 4 EEG-E neu. In Situationen, in denen die Netzkapazität noch nicht für die gesamte installierte Leistung der Anlage ausreicht, muss der Netzbetreiber als „Brückenlösung“ den Netzanschluss zunächst unter Abschluss einer flexiblen Netzanschlussvereinbarung herstellen.
Vielfache Gestaltungsoptionen denkbar
Dass die Regelung den Ausbau von Wind- und Solarkraft beschleunigen soll, dürfte keine Überraschung sein. Die flexible Netzanschlussvereinbarung erhöht den Spielraum für zweckmäßige Netzanschlusslösungen sowohl für Anlagenbetreiber, als auch für Netzbetreiber. Interessant dürfte auch die Möglichkeit des „cable pooling“ sein. Hierbei können an einem Netzverknüpfungspunkt verschiedene Anlagentypen (z. B. Wind und Solar) und verschiedene Anlagenbetreiber gemeinsam die vorhandene Netzkapazität überbauen. Dies kann auch mit einem Stromspeicher kombiniert werden. Der Regelungswortlaut von § 8f EEG-E sieht hier keine hohen Restriktionen vor, sodass die Akteure die interne Aufteilung der verfügbaren Netzkapazität wohl nach eigenem Ermessen vornehmen können.
Nach der Entwurfsbegründung ist zudem eine volldynamische Begrenzung möglich. Hierbei kann der Anlagenbetreiber den Netzanschluss grundsätzlich im Umfang der maximalen Netzanschlussleistung nutzen. Der Netzbetreiber hat dabei das Recht, die Höhe der Anschlussleistung (ggf. bis zu einer vereinbarten Untergrenze) ereignisorientiert in Abhängigkeit von der Auslastung zu begrenzen.
Auch die zwingende Prüfung des Anschlusses am nächstgelegenen Netzverknüpfungspunkt mittels einer flexiblen Netzanschlussvereinbarung, wenn dieser nicht der technisch und wirtschaftlich günstigste Verknüpfungspunkt ist, steigert nicht nur den Spielraum für flexible Lösungen. Diese Regelung in § 8f Abs. 3 EEG-E dient auch der Umsetzung europäischer Vorgaben in der novellierten Strommarktrichtlinie (Art. 6a, 31 Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2019/944, geändert durch die Richtlinie (EU) 2024/1711).
Die Limitierung durch eine flexible Netzanschlussvereinbarung kann grundsätzlich eine temporäre oder eine dauerhafte Netzanschlusslösung darstellen. Eine dauerhafte Lösung kann für solche Projekte sinnvoll sein, bei denen nach eigenen Wirtschaftlichkeitsberechnungen unter Berücksichtigung der Standortbedingungen eine bestimmte Erzeugungsquote regelmäßig nicht überschritten wird, und/oder wenn das Projekt mit einem Stromspeicher verbunden wird.
In der Theorie wirkungsvoll, in der Praxis…
Mit der Regelung zu flexiblen Netzanschlussvereinbarungen setzt der Gesetzgeber den Trend zur Flexibilisierung der Stromnetze und der Energiewirtschaft insgesamt fort. Die Regelung ist geeignet, die in vielen Teilen Deutschlands prekäre Netzanschlusssituation zumindest zu entschärfen, wenn sie flächendeckend sinnvoll eingesetzt wird.
Während es naheliegend erscheint, dass Projektentwickler vielfach für flexible Netzanschlusslösungen offen sein könnten, bleibt abzuwarten, wie die Netzbetreiber mit dem Instrument umgehen. Die Umsetzung der Vorgaben könnte nämlich zunächst zu einem Mehraufwand bei der Netzverträglichkeitsprüfung der teils ohnehin überlasteten Netzbetreiber führen. Da die vorgesehenen Normen den Beteiligten bei der Umsetzung vieles Freistellen, könnte bspw. der Netzbetreiber dauerhafte flexible Netzanschlussvereinbarungen favorisieren, während der Netzanschlussbegehrende das Instrument möglicherweise lediglich als Zwischenschritt zum uneingeschränkten Netzanschluss betrachtet.
Unabhängig davon steht die Verabschiedung der EnWG-Novelle, die neben dem EnWG noch eine Vielzahl weiterer Energiegesetze ändern soll, insgesamt in den Sternen. Da die Ampel-Koalition beendet ist und Neuwahlen anstehen, kann die mit über 450 Seiten sehr umfangreiche EnWG-Novelle insgesamt noch eine gänzlich andere Gestalt annehmen oder ggf. vollständig scheitern. Andererseits erscheint es nicht ausgeschlossen, dass einzelne Regelungsteile herausgelöst werden und im Parlament eine Mehrheit finden. Wie und wann über das weitere Schicksal der EnWG-Novelle entschieden wird, ist jedoch nicht absehbar.