Arbeitsrecht22.11.2024 Newsletter
Das arbeitnehmerüberlassungsrechtliche Konzernprivileg vor dem Aus? Warum das Wörtchen „und“ eigentlich „oder“ heißt
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 12. November 2024 entschieden, dass das Konzernprivileg gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) bereits dann nicht greift und somit die Vorschriften des AÜG zur Anwendung gelangen, wenn Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt werden. Das BAG legt damit die Vorschrift über die Grenzen des Wortlauts aus und beschränkt so auf ein Neuesden flexiblen Einsatz von Mitarbeitenden im Konzernumfeld. Welche Auswirkungen dies hat, erklären Isabel Hexel und Annabelle Marceau.
Die Parteien stritten über die Begründung eines Arbeitsverhältnisses wegen verdeckter Leiharbeit. Der Kläger war über zwölf Jahre bei dem zum Konzern gehörenden Unternehmen S beschäftigt, das seiner unternehmerischen Tätigkeit im Werk der Beklagten nachging. Der Kläger behauptete, er sei in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingegliedert und dieser gegenüber weisungsgebunden gewesen und beantragte entsprechend die Feststellung, dass ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten bestehe.
Beide Vorinstanzen wiesen die Klage aufgrund des Konzernprivilegs gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ab und erachteten das AÜG für nicht anwendbar, da der Kläger nicht zum Zwecke der Überlassung bei S eingestellt „und“ beschäftigt worden war. Insbesondere die Berufungsinstanz führte aus, dass die vorgenannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen.
Diese Auffassung teilte das BAG nicht und entschied am 12. November 2024 (9 AZR 13/24), dass die Konjunktion „und“ lediglich als Aufzählung der bezeichneten Sachverhalte zu verstehen sei und das Konzernprivileg nicht zur Anwendung gelange, wenn der Arbeitnehmer zum Zwecke der Überlassung eingestellt „oder“ beschäftigt wird. Die Beklagte könne sich nicht auf das Konzernprivileg berufen, wenn ihr als entleihendem konzernangehörigen Unternehmen über mehrere Jahre hinweg ein Arbeitnehmer überlassen wurde. Eine solche Praxis indiziere einen entsprechenden Beschäftigungszweck.
Das BAG verwies das Verfahren damit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zurück, welches nun beurteilen muss, ob der Kläger tatsächlich in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingegliedert war und den Weisungen der Beklagten unterlag.
Die Entscheidung des BAG liegt aktuell nur als Pressemitteilung vor. Allerdings ist sie für Auslandsentsendungen im Konzern sowie grenzüberschreitende Matrixorganisationen von erheblicher Praxisrelevanz. Arbeitgeber, die beabsichtigen, Mitarbeitende flexibel im Konzernumfeld einzusetzen, sollten bereits vor der Ausschreibung von Stellen überlegen, welche Konzerngesellschaft Vertragsarbeitgeber sein soll.
Sollte man das Konzernprivileg nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG für sich beanspruchen wollen, ist die klare Empfehlung, Mitarbeitende nicht mit Anstellungsbeginn in einer konzernverbundenen Gesellschaft einzusetzen oder aber den Einsatz des Mitarbeitenden im Konzernverbund sowohl zeitlich auch als inhaltlich beispielsweise durch einen Projektbezug zu begrenzen.