Compliance & Internal Investigations / Kartellrecht und Fusionskontrolle09.12.2024 Newsletter
Bundeskartellamt: Übernahme von Mitarbeitenden kann Fusionskontrolle unterliegen
Das Bundeskartellamt hat jüngst einen bedeutsamen Fall im Bereich sogenannter „Acqui-Hires“ geprüft. Im Fokus stand die Übernahme nahezu aller Mitarbeitenden von Inflection AI, Inc. durch die Microsoft Corporation. Auch wenn die konkrete Transaktion letztlich nicht in Deutschland angemeldet werden musste, macht der Fall deutlich, dass bereits der Wechsel von hochqualifizierten Mitarbeitenden unter bestimmten Bedingungen der Fusionskontrolle unterliegen kann.
Was sind „Acqui-Hires“?
„Acqui-Hires“ bezeichnen Übernahmen, bei denen nicht klassische Vermögenswerte, wie Produktionsmittel oder Grundstücke, übernommen werden, sondern vor allem Mitarbeitende mit speziellem Know-how. Solche Übernahmen treten häufig in der Digitalwirtschaft und in der Pharmabranche auf, insbesondere bei Start-ups und Unternehmen, die an innovativen Technologien wie künstlicher Intelligenz arbeiten.
Dabei wird das wettbewerbliche Potenzial eines Zielunternehmens durch die Übernahme seiner Talente auf den Erwerber übertragen.
Der Fall Microsoft/Inflection
Im März 2024 übernahm Microsoft nahezu alle Mitarbeitenden von Inflection, einem 2022 gegründeten Unternehmen, das den Chatbot „Pi“ entwickelt hat. Es handelte sich nicht um eine echte Übernahme von Mitarbeitenden, sondern um Kündigungen der alten Beschäftigungsverhältnisse und Abschluss neuer Verträge mit Microsoft. Darüber hinaus wurden auch Vereinbarungen zur Finanzierung und Nutzung wesentlicher Schutzrechte getroffen.
Das Bundeskartellamt bewertete diese Konstellation als einen Zusammenschluss, der grundsätzlich der deutschen Fusionskontrolle unterliegen kann. Durch den Wechsel der hochqualifizierten Mitarbeitenden mit speziellem Know-how seien die relevanten Assets und damit das wettbewerbliche Potenzial auf Microsoft übergegangen. Allerdings bestand in Deutschland trotz dieses Übergangs letztlich keine Anmeldepflicht, weil die Voraussetzungen für eine Zuständigkeit des Bundeskartellamts nach dem sog. Transaktionsschwellenwert i. S. d. § 35 Abs. 1a GWB nicht erfüllt waren. Zwar lag der Transaktionswert über 400 Millionen Euro, doch fehlte es an der erforderlichen erheblichen Inlandstätigkeit von Inflection.
Auch die EU-Kommission und die britische Kartellbehörde hatten den Übergang der Mitarbeiter auf Microsoft als anmeldepflichtigen Tatbestand eingestuft. Die britische Kartellbehörde gab die Transaktion jedoch frei. Die EU-Kommission konnte nicht durchentscheiden, weil die Umsatzschwellenwerte der europäischen Fusionskontrolle nicht erreicht wurden, sodass die EU-Kommission keine Zuständigkeit hatte.
Bedeutung für die Praxis
Der Fall zeigt, dass das deutsche und europäische Kartellrecht auch neue und innovative Übernahmestrukturen wie „Acqui-Hires“ erfassen kann. Dies ist von besonderer Bedeutung für die Digitalwirtschaft und die Pharmabrache, da dort das wettbewerbliche Potenzial der Unternehmen oft im Know-how ihrer hochqualifizierten Mitarbeitenden gebündelt ist. Wechselt dieses Potenzial auf Betreiben eines Erwerbers die Seiten, liegt eine anmeldepflichtige „Übernahme“ nicht fern. Ein echter Betriebsübergang ist dafür nicht zwingend erforderlich.
Unternehmen sollten bei innovativen Übernahmestrukturen wie „Acqui-Hires“ die Fusionskontrollvorschriften immer im Blick haben. Weltweit werden die Kartellbehörden solche Fälle weiterhin aufmerksam beobachten.