Kartellrecht und Fusionskontrolle07.09.2022 Newsletter

Bundeskartellamt erlaubt Kooperation zwischen Wettbewerbern bei Gasversorgungsnotstand – unter gewissen Voraussetzungen

Das Bundeskartellamt hat laut Pressemitteilung vom 6. September 2022 keine Einwände gegen eine enge Produktionskooperation der deutschen Zuckerhersteller zur Abfederung einer eventuellen Gasmangellage. Die Entscheidung ist der aktuellen geopolitischen Lage geschuldet und hat branchenübergreifende Bedeutung.

Wir geben Ihnen einen Überblick, unter welchen Voraussetzungen Kooperationen zwischen Wettbewerbern in der Energiekrise kartellrechtlich zulässig sein können und welche Rolle Branchenverbände dabei spielen können.

Eine auf die Energiekrise zugeschnittene Entscheidung

Die Zuckerhersteller wollen sich im Falle einer Kappung der Gasversorgung und daraus resultierendem Produktionsstillstand in den betroffenen Fabriken gegenseitig Produktionskapazitäten zur Verfügung stellen. Normalerweise hätte eine solche Kooperation vor den Kartellbehörden kaum eine Chance, weil sie Kernbereiche des Geheimwettbewerbs berührt und daher das Potenzial für erhebliche wettbewerbsbeschränkende Effekte hat.

In der Gesamtschau überwogen nach Ansicht des Bundeskartellamts jedoch die Vorteile der Kooperation die Nachteile möglicher Wettbewerbsbeschränkungen. Denn ein durch Gasknappheit bedingter Produktionsstillstand hätte zahlreiche negative Folgen, die u. a. zu einer Überteuerung des Endprodukts für die Verbraucher führen würde.

Zudem hatten viele Zuckerfabriken, u. a. aufgrund staatlicher Vorgaben, auf Erdgas umgerüstet. Ein Zurückdrehen war – insbesondere innerhalb des kurzen Zeitfensters – nicht mehr möglich. Die Kartellbehörde entschied daher, von ihrem Aufgreifermessens keinen Gebrauch zu machen.  

Voraussetzungen für eine zulässige Kooperation

Die Pressemitteilung enthält hilfreiche Hinweise dafür, welche Anforderungen eine Kooperation zwischen Wettbewerbern zur Abfederung der Energiekrise erfüllen muss, damit sie den Segen der Kartellbehörde erhält:

  • Die Kooperation muss in jedem Fall zeitlich befristet sein. Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Kooperation der Zuckerhersteller zeitlich auf die bevorstehende Zuckerrübenkampagne und die darauffolgende Abrechnung bis Juni 2023.
  • Die Kooperation erfolgt auf freiwilliger Basis.
  • Produktionskapazitäten sollen nur dann gegenseitig zur Verfügung gestellt werden, wenn es durch hoheitliche Maßnahmen zu Kürzungen oder Kappungen der Gasversorgung und als Folge zu Produktionsstillstand an einem Standort kommt.
  • Die Unternehmen müssen vorher konzernintern alle ihre freien Produktionskapazitäten in Deutschland und Europa nutzen und versuchen, ihre Produkte an einem anderen nicht mit Erdgas betriebenen Fabrikstandort des Unternehmens zu verarbeiten, sofern das „wirtschaftlich“ aufgrund der Transportkosten „möglich“ ist. Es stellen sich allerdings im Detail schwierige Fragen: Wann genau ist eine Verlagerung auf einen anderen Produktionsstandort unwirtschaftlich? Wann liegen die Transportkosten in einem für das Unternehmen inakzeptablen Bereich? Hierzu hüllt sich das Bundeskartellamt in der öffentlichen Pressemitteilung in Schweigen.
  • Der Informationsfluss zwischen den Unternehmen muss auf das für die Kooperation unerlässliche Minimum reduziert sein. Wettbewerblich sensible Informationen, wie Produktionskapazitäten und Kosten, müssen von einer neutralen Stelle bei den Unternehmen abgefragt und kartellrechtskonform verwaltet werden. Im vorliegenden Fall haben sich die Zuckerhersteller darauf verständigt, dass die relevanten Daten (Produktionskosten) von einem unabhängigen ökonomischen Berater bei den Zuckerunternehmen vertraulich angefragt werden. Dieser ökonomische Berater teilt dann dem interessierten Unternehmen einen Gesamtbetrag für die Verarbeitungskosten mit. Weder der konkrete Berechnungsansatz noch die eingesetzten Daten werden an die Zuckerunternehmen weitergegeben. Es werden auch keine Informationen über Kundenbeziehungen ausgetauscht.

Verbänden kann wichtige Rolle zukommen

Der Verband der Zuckerindustrie (VdZ) fungiert im Rahmen der Zucker-Allianz als neutrale Schaltzentrale. Er wird als Vorbereitungs- und Umsetzungsmaßnahme die verfügbaren freien Verarbeitungskapazitäten bei den Zuckerunternehmen abfragen und ein fortlaufendes Monitoring einführen, welche Kapazitäten auf freiwilliger Basis bereitgestellt werden können.

Verbänden in anderen Branchen könnte bei vergleichbaren Kooperationen eine ähnliche unterstützende Funktion zukommen. Sie könnten sich als neutrale Koordinierungsstelle anbieten und auf diese Weise einen wichtigen Beitrag dazu leisten, erforderliche Kooperationen zwischen Wettbewerbern zu ermöglichen.

Signalwirkung auch für andere Branchen

Die Entscheidung des Amts dient als wichtige Orientierungshilfe. Sie zeigt, dass das Bundeskartellamt gewillt ist, angesichts der außergewöhnlichen geopolitischen Lage kartellrechtlich sensible Kooperationen unter gewissen Voraussetzungen zuzulassen.

Ähnlich hat sich das Bundeskartellamt schon während der Corona-Pandemie positioniert. So erlaubte es damals beispielsweise Maßnahmen zur Krisenbewältigung in der Automobilindustrie in Form eines beschränkten Informationsaustauschs sowie eines Best Practice-Leitfadens, der Möglichkeiten zur Vermeidung der Fehlleitung von Ressourcen bei Kapazitäts-Knappheit aufzeigte. Auch damals hatte ein Branchenverband, der Verband der Automobilindustrie, in Zusammenarbeit mit dem Bundeskartellamt maßgeblich bei Erarbeitung der kartellrechtlichen Rahmenbedingungen unterstützt.

Für Fragen oder ein unverbindliches Gespräch stehen Ihnen unsere Kartellrechtsexperten jederzeit gerne zur Verfügung.

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Dr. Daniel Dohrn

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