Arbeitsrecht13.01.2023 Newsletter
BGH zur strafbaren Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern bei VW: der Vorsatz entscheidet
Mit Urteil vom 10. Januar 2023 hat der 6. Strafsenat des BGH die Freisprüche früherer Vorstandsmitglieder und Personalleiter von VW im Prozess um die Zahlung überhöhter Betriebsratsvergütungen aufgehoben. Das Landgericht Braunschweig muss jetzt erneut über den strafrechtlichen Vorwurf der Untreue entscheiden.
Hintergrund
Das LG Braunschweig hatte in seinem Urteil vom 28.09.2021 (Az. 16 KLs 406 Js 59398/16) jeweils zwei ehemalige Vorstandsmitglieder und Personalleiter vom Vorwurf der Untreue freigesprochen (siehe hierzu unseren Beitrag „Compliance-Risiko: Überhöhte Betriebsratsvergütung erfüllt den Straftatbestand der Untreue“).
Dem Urteil lag der Sachverhalt zugrunde, dass freigestellten Betriebsratsmitgliedern über Jahre hinweg derart hohe, dem Managementkreis vorbehaltene Monatsvergütungen und Bonuszahlungen zwischen 80.000 und 560.000 Euro gewährt wurden. Diese überstiegen die Arbeitsentgelte – betriebsverfassungsrechtlich – vergleichbarer Beschäftigter um ein Vielfaches. Der Schaden, der der Volkswagen AG hierdurch entstand, liegt im Millionenbereich – abgesehen vom verheerenden Imageschaden.
Das LG Braunschweig bejahte zwar den objektiven Straftatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB). Den Angeklagten sei allerdings kein vorsätzliches Handeln vorzuwerfen, da sie einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum unterlagen (§16 Abs. 1 StGB). Sie hätten sich auf die Einschätzung interner und externer Berater verlassen und demnach irrtümlich angenommen, sich rechtskonform zu verhalten.
BGH-Entscheidung vom 10. Januar 2023
Der BGH hat das Urteil des LG Braunschweig jetzt aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an eine andere Wirtschaftskammer des LG Braunschweig zurückverwiesen.
Zwar habe das LG Braunschweig zutreffend den objektiven Tatbestand der Untreue angenommen. Allerdings könne anhand der bisher ermittelten Tatsachen nicht ohne Weiteres ein vorsätzliches Handeln der Angeklagten verneint werden. So werde in der Beweiswürdigung des nun aufgehobenen Urteils lediglich auf die Einordnung der Betriebsratsmitglieder in bestimmte Entgeltgruppen Bezug genommen. Die zum Teil im sechsstelligen Bereich erfolgten Bonuszahlungen seien hingegen nicht berücksichtigt worden.
Der Pressemitteilung des BGH ist zu entnehmen, dass das LG Braunschweig insbesondere klären muss
- nach welchem System die Vergütung von Angestellten der Volkswagen AG generell geregelt war,
- welche Kriterien für die Einordnung in „Kostenstellen“ und „Entgeltgruppen“ galten,
- nach welchen Regeln ein Aufstieg in höhere „Entgeltgruppen“ sowie in die verschiedenen „Managementkreise“ vorgesehen war und
- welche Maßstäbe den Entscheidungen über die Gewährung von Bonuszahlungen sowie über deren Höhe zugrunde lagen.
Fazit
Aus Compliance-Sicht gilt: Überhöhte Arbeitsentgelte von Betriebsratsmitgliedern verstoßen gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot. In der Folge können sich Organmitglieder wegen Untreue strafbar machen.
Unternehmen und insbesondere Leitungsfunktionen wie Vorstände, Geschäftsführer und Personalleiter sollten daher detailliert dokumentieren, wie und welche konkreten Vergleichsgruppen bei der Beurteilung der Betriebsratsvergütung gebildet wurden, um sich erst gar nicht strafrechtlichen Risiken, insbesondere einem Vorsatzvorwurf mit nachfolgendem Strafprozess auszusetzen. Maßgebend ist stets die Gesamtvergütung. Gleichzeitig gewährleistet eine belastbare Dokumentation, dem Vorwurf einer gegenläufigen Betriebsratsbenachteiligung zu begegnen.
Angesichts der vom BGH gesetzten Vorgaben bleibt nun mit Spannung abzuwarten, ob das LG Braunschweig zu einer abweichenden Bewertung des Vorsatzes gelangt.