BGH: Porsche darf Vertragshändlern nicht den Verkauf an Tuning-Unternehmen untersagen

Automobilhersteller dürfen laut einem jüngst veröffentlichten Urteil des BGH  ihren Vertragshändlern nicht untersagen, Neufahrzeuge, Ersatzteile und Zubehör an unabhängige Tuning-Unternehmen zu verkaufen (Urt. v. 06.07.2021, Az. KZR 35/20 – Porsche-Tuning II). Der BGH stuft eine solche Beschränkung von Kundengruppen als unzulässige Wettbewerbsbeschränkung ein.

Zum Nachteil von Tuning-Unternehmen: Porsche untersagte Weiterverkauf von Fahrzeugen, Ersatzteilen und Zubehör

Der Automobilhersteller Porsche sowie dessen deutsche Vertriebsgesellschaft vertreiben ihre Fahrzeuge in einem selektiven Vertriebssystem. Der Händlervertrag untersagte zugelassenen Vertragshändlern den Verkauf von Porsche-Neufahrzeugen, Porsche-Ersatzteilen und Porsche-Zubehör an sog. „Wiederverkäufer“. Auch der Verkauf von Neufahrzeugen zu Präsentationszwecken war verboten. Nach der Definition im Händlervertrag galten als „Wiederverkäufer“ ausdrücklich auch Tuning-Unternehmen – also Unternehmen, die Kfz zum Zwecke der gewerblichen Umrüstung oder Veredelung erwerben, um die dann getunten Fahrzeuge weiterzuverkaufen.

Ein Verband, der 129 Tuning-Unternehmen umfasst, sah darin eine Wettbewerbsbeschränkung und klagte vor dem Landgericht Stuttgart zunächst erfolglos auf Unterlassung. Das OLG Stuttgart und schließlich der BGH gaben der Klägerin jedoch Recht. Der Verband war nach Ansicht des BGH nach § 33 Abs. 4 Nr. 1 GWB klagebefugt, da er eine erhebliche Anzahl von durch das Belieferungsverbot betroffenen Unternehmen repräsentiert. Zudem verstieß das den Vertragshändlern auferlegte Verkaufsverbot an unabhängige Tuning-Unternehmen gegen das deutsche und europäische Kartellrecht und zwar sowohl im Hinblick auf das Verkaufsverbot von Neufahrzeugen als auch in Bezug auf das Verkaufsverbot von Porsche-Ersatzteilen und Porsche-Zubehör.

Zweifach bezweckte Wettbewerbsbeschränkung

Der Gerichtshof sah in der Vereinbarung zwischen Porsche und seinen Vertragshändlern gleich zwei bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen. Zum einen werde der Wettbewerb zwischen den Porsche-Vertragshändlern untereinander ausgeschaltet, indem ihnen der Neuwagenabsatz an Tuning-Unternehmen untersagt werde. Dabei handele es sich um die Beschränkung einer Kundengruppe. Irrelevant sei, dass die Verbotsklausel nach ihrem Wortlaut nicht unmittelbar an eine bestimmte Kundengruppe (Tuning-Unternehmen), sondern an den Verwendungszweck des Erwerbs anknüpfe (Erwerb von Neuwagen zwecks Präsentation von Tuning-Produkten). Die Vereinbarung sei dennoch als Kundengruppenbeschränkung zu werten, weil die Klausel letztlich nur solche Tuning-Unternehmen betreffe.

Des Weiteren bezwecke die Verbotsklausel nach Ansicht des BGH, dass der Wettbewerb für das Tuning von Porsche-Fahrzeugen zwischen den Tuning-Unternehmen und Porsche eingeschränkt werde. Denn Porsche bietet auch eigene Tuning-Programme für seine Serienfahrzeuge an und steht damit im Wettbewerb mit den selbständigen Tuning-Unternehmen.

Um Kunden das Angebot an getunten Fahrzeugen präsentieren zu können, müssten nach Ansicht des BGH Tuning-Unternehmen Zugang zu Neuwagen haben. Alternativ auf Gebrauchtwagen zurückzugreifen, sei keine Option. Bei der Einführung von neuen Modellen wären unabhängige Tuning-Unternehmen sonst erst deutlich später in der Lage, getunte Fahrzeuge der neuen Modellreihe zu präsentieren.

Verkaufsverbot nicht für selektiven Vertrieb erforderlich

Der BGH urteilte weiter, dass die Verkaufsverbotsklausel nicht nach den für den qualitativ selektiven Vertrieb geltenden Grundsätzen vom Kartellverbot ausgenommen werden könne. Zwar könne der Verkauf an nicht autorisierte Händler (der BGH verwendet den Begriff „Wiederverkäufer“) im Rahmen eines zulässigen selektiven Vertriebssystems grundsätzlich untersagt werden. Allerdings sei der Begriff des „Wiederverkäufers“ (bzw. Händlers) objektiv im Kontext des jeweiligen Vertriebsvertrages zu bestimmen. Ein Hersteller könne nicht selbst vertraglich festlegen, wer „Wiederverkäufer“ ist.

Da sich der selektive Vertrieb bei Porsche auf den Weiterverkauf von neuen Serienfahrzeugen der Marke Porsche bezieht, sei nach objektiven Maßstäben im Porsche-Vertriebssystem Wiederverkäufer nur derjenige, der Porsche-Neuwagen erwerbe und ohne wesentliche Veränderung weiterverkaufe. Tuning-Unternehmen hingegen nehmen Änderungen an den Neufahrzeugen vor und behalten diese für eine gewisse Zeit zu Präsentationszwecken. Erfolge später ein Weiterverkauf des getunten Porsche, entspräche das nicht mehr einem Weiterverkauf des Neufahrzeuges. Unabhängige Tuning-Unternehmen seien daher keine „Wiederverkäufer“ bzw. Händler. Porsche könne daher den Weiterverkauf von Neufahrzeugen an Tuning-Unternehmen innerhalb seines selektiven Vertriebssystems nicht untersagen.

Darüber hinaus urteilte der BGH klar, dass das Verkaufsverbot für die von Porsche verfolgten Vertriebsziele auch nicht erforderlich gewesen sei. Nach Ansicht des BGH wäre es zum Schutz des Selektivvertriebs ausreichend gewesen, wenn Porsche die zu Präsentationszwecken anfragenden Tuning-Unternehmen zu einer angemessenen Haltedauer für die Neufahrzeuge verpflichtet hätte.

Keine Freistellung nach Gruppenfreistellungsverordnungen

Der BGH verneinte auch eine Freistellung der bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen vom Kartellverbot.

Er stellte noch einmal klar, dass die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der Voraussetzungen einer kartellrechtlichen Freistellung nach der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Beschränkungen (VO Nr. 330/2010) und der Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung (VO Nr. 461/2010) bei derjenigen Partei liegt, die sich darauf beruft (hier Porsche). Bei der Darlegung der für eine Freistellung relevanten Marktanteile müsse konkret zur Höhe der Marktanteile vorgetragen werden. Ein Verweis auf Ausführungen zu Marktabgrenzungen in fusionskontrollrechtlichen Entscheidungen sei nicht ausreichend. Auch könne sich Porsche nicht auf besondere Ausnahmeregelungen in den Gruppenfreistellungsverordnungen zum selektiven Vertriebe berufen, da die unabhängigen Tuning-Unternehmen gerade keine „Händler“ bzw. „Wiederverkäufer“ i. S. d. Gruppenfreistellungsverordnung seien (siehe oben).

Verkaufsverbot von Porsche-Ersatzteilen und Porsche-Zubehör

Auch das im Händlervertrag enthaltene Verkaufsverbot von Porsche-Ersatzteilen und Porsche-Zubehör stufte der BGH als kartellrechtswidrig ein. Zwar könne der Weiterverkauf von Original-Ersatzteilen und Zubehör beschränkt werden, wenn diese anschließend vom Käufer wertschöpfend weiterverwendet würden (also insbesondere zum Tuning von Porsche-Neufahrzeugen). Dagegen könne der klassische Ersatzteilhandel, also der unveränderte Weiterverkauf von Teilen und Zubehör, nicht beschränkt werden. Porsche hatte es versäumt, diese kleine, aber feine Differenzierung in seinem Vertrag abzubilden und pauschal den Verkauf sämtlicher Porsche-Teile verboten.

Händlerverträge beinhalten in der Regel keine schutzfähigen Geschäftsgeheimnisse

Eher nebenbei wies der BGH noch auf einen anderen wichtigen Umstand hin: Porsche hatte geltend gemacht, dass der Inhalt seiner Vertragshändlerverträge schutzbedürftige Geschäftsgeheimnisse beinhalte. Der klägerische Anwalt habe daher unter Verletzung von straf- und berufsrechtlichen Vorschriften Kenntnis vom Inhalt des Vertrages erlangt.

Dieses Argument ließ der BGH nicht gelten. Er stellte klar, dass einer Überprüfung potenziell wettbewerbsbeschränkender Vertragsklauseln grundsätzlich kein Geheimhaltungsinteresse entgegengehalten werden könne. Das folge bereits aus dem Gebot der effektiven Durchsetzung des Kartellrechts.

Ausgestaltung von Vertriebsverträgen genau prüfen

Die Entscheidung verdeutlicht, dass es für die kartellrechtskonforme Ausgestaltung von Vertriebsverträgen auf jedes Detail ankommt. Insbesondere Verkaufsverbote sollten stets einer kritischen kartellrechtlichen Würdigung unterzogen werden.

„Winkelzüge“ in Form von (vermeintlich) feinsinnig formulierten Klauseln sind dabei mit Vorsicht zu genießen, denn im Kartellrecht ist der Wortlaut stets zweitrangig. Entscheidend ist, welche Intention mit einer Regelung verfolgt wird und welche (wirtschaftlichen) Anreize sie bietet. Können Anreize die Vertragspartner zu einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise bewegen, ist die Klausel kartellrechtlich zu überprüfen. Kartellrechtswidrige Regelungen sind zivilrechtlich unwirksam und können – sofern es sich um eine essenzielle Klausel handelt – auch den gesamten Vertrag „infizieren“. Bei schwerwiegenden Wettbewerbsbeschränkungen, wie z. B. der Preisbindungen der zweiten Hand oder territorialen Verkaufsbeschränkungen, drohen im schlimmsten Fall sogar Bußgelder.

Das Urteil des BGH unterstreicht außerdem die Bedeutung der Gruppenfreistellungsverordnungen für Vertriebsverträge und den Kfz-Sektor. Beide Verordnungen unterliegen derzeit einem umfassenden Reformprozess.

Die Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Sektor gilt bis zum 31. Mai 2023. Der Überarbeitungsprozess hat aber bereits begonnen. Die Kommission wird dabei ihren Fokus insbesondere auf drei Themenfelder konzentrieren: (1) die technologischen Entwicklungen insbesondere im Bereich der Kommunikationstechnologien und die wachsende Bedeutung fahrzeuginterner Daten; (2) die Entwicklung neuer Emissionstechnologien; (3) die COVID-19-Pandemie, aufgrund derer sich die Mobilitätsmuster zu einem gewissen Grad dauerhaft geändert haben könnten. Die Kommission wird sich außerdem weiterhin dafür stark machen, dass Ersatzteilhersteller einen ausreichenden Zugang zu den Kfz-Anschlussmärkten erhalten.

Die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Beschränkungen gilt noch bis zum 31. Mai 2022. Die EU Kommission hat den Entwurf einer neuen Verordnung bereits vorgelegt.

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Dr. Daniel Dohrn

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PartnerRechtsanwalt

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