Energie und InfrastrukturAußenhandel / Öffentliches Wirtschaftsrecht / Energiewirtschaftsrecht16.09.2022 Newsletter
Betrieb Kritischer Infrastrukturen und Gefahrenabwehr - Bundesregierung stellt Rosneft Deutschland unter Treuhandverwaltung
Die Bundesregierung hat durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ("BMWK") heute die Rosneft Deutschland GmbH ("RDG") und die RN Refining & Marketing GmbH ("RNRM") unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt. Damit nutzt das BMWK erstmalig eine neue im Energiesicherungsgesetz ("EnSiG") verankerte rechtliche Grundlage zur Abwehr von Gefahren im Zusammenhang mit dem Betrieb Kritischer Infrastrukturen aus dem Energiesektor.
Das BMWK hat auf Grundlage von § 17 EnSiG die deutschen Rosneft-Töchter RDG und RNRM durch im Bundesanzeiger am 16. September 2022 veröffentlichte Anordnung unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt. Das BMWK begründet die Anordnung der Treuhandverwaltung damit, dass die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der betroffenen Raffinerien aufgrund der Eigentümerstellung der Unternehmen in Gefahr war. Zentrale kritische Dienstleister wie Zulieferer, Versicherungen, IT-Unternehmen und Banken, aber auch Abnehmer, waren nicht mehr zu einer Zusammenarbeit mit Rosneft bereit – weder mit Raffinerien mit Rosneft Beteiligung noch mit den deutschen Rosneft-Töchtern, RDG und RNRM, selbst.
Die Maßnahme ist nach Einsetzung der Bundesnetzagentur als Treuhänderin über die Gazprom Germania GmbH ein weiteres Beispiel für Eingriffsmaßnahmen gegen Betreiber Kritischer Energieinfrastrukturen, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Während die Anordnung gegen Gazprom Germania GmbH nach § 6 Außenwirtschaftsgesetz als Teil der außenwirtschaftsrechtlichen Gefahrenabwehrbefugnisse des BMWK erging, kommt nunmehr erstmalig die neue Regelung in § 17 EnSiG zum Einsatz. Grundlage hierfür ist das am 12. Mai 2022 in Reaktion auf die russische Aggression gegen die Ukraine im Bundestag beschlossene Gesetz zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes von 1975, welches in den §§ 17 ff. nunmehr spezifische Regelungen zur Treuhandverwaltung und Enteignung von Betreibern Kritischer Infrastrukturen vorsieht.
Durch die neuen Eingriffsmaßnahmen soll auf den Abbruch von Energielieferungen aus Russland reagiert werden können, um die Energieversorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Da die im Fall Gazprom Germania GmbH herangezogene Regelung des Außenwirtschaftsgesetzes dem BMWK nur in bestimmten Konstellationen (im Zusammenhang mit einem Erwerbsvorgang) entsprechende Eingriffsbefugnisse gibt, war die Aufnahme spezifischer Regelungen im EnSiG erforderlich.
Die Maßnahmen zur Treuhandverwaltung und Enteignung richten sich gegen Betreiber Kritischer Infrastrukturen im Sinne von § 2 X des BSI-Gesetzes. Die Einstufung als Kritische Infrastruktur erfolgt hierbei nach den Vorgaben der sog. BSI-KritisV (Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen). In den Sektor Energie fallen danach die Stromversorgung, die Gasversorgung, die Kraftstoff- und Heizölversorgung und die Fernwärmeversorgung, soweit die entsprechenden Anlagen bestimmte Schwellenwerte erreichen. Neben den eigentlichen Betreibergesellschaften sind zudem auch alle Konzernobergesellschaften und deren verbundene Unternehmen unter den §§ 17 ff EnSiG erfasst. Ziel einer Enteignung können zudem gem. § 18 Abs. 2 Nr. 3 EnSiG auch Anteile an Unternehmen sein, die von Betreibern Kritischer Infrastrukturen abhängig sind.
Zentrale Voraussetzung für die Anordnung einer Treuhandverwaltung oder nachgelagert einer Enteignung ist das Bestehen einer konkreten Gefahr, dass ohne die Sicherungsmaßnahme das betroffene Unternehmen seine dem Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie dienende Aufgaben nicht erfüllen wird und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht. Weitere Kriterien zur Bestimmung des Vorliegens einer konkreten Gefahr enthält das Gesetz nicht, sodass insoweit ein erheblicher Beurteilungsspielraum des BMWK besteht. Zugleich ist das Erfordernis einer konkreten Gefahr – jedenfalls ihrem Wortlaut nach – jedoch enger, als die für Maßnahmen im Außenwirtschaftsrecht (§§ 55 ff. Außenwirtschaftsverordnung) ausreichende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen.
Durch die Anordnung der Treuhandverwaltung können insbesondere
- die Wahrnehmung der Stimmrechte der Gesellschafter des Unternehmens ausgeschlossen werden,
- die Stimmrechte aus den Anteilen an dem Unternehmen auf eine Stelle des Bundes übergehen und diese Stelle berechtigt werden, Mitglieder der Geschäftsleitung abzuberufen und neu zu bestellen sowie der Geschäftsleitung Weisungen zu erteilen, und
- die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Geschäftsleitung in Bezug auf das Vermögen des Unternehmens beschränkt und Verfügungen unter dem Vorbehalt der Zustimmung des BMWK gestellt werden.
Von der Anordnung einer Treuhandverwaltung oder Enteignung betroffene Unternehmen können sich im Wege des Eilrechtsschutzes an das Bundesverwaltungsgericht wenden. Dieses ist ausschließlich zuständig für den Rechtsschutz im ersten und zugleich letzten Rechtszug.
Da es sich bei der Anordnung der Treuhandverwaltung um eine sog. Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums handelt, ist diese von den betroffenen Unternehmen grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen. Lediglich in Sonderfällen kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein finanzieller Ausgleich erforderlich werden, wenn die Treuhandverwaltung zu einer unzumutbaren Belastung führt.
Für Betreiber Kritischer Energieinfrastrukturen und mit ihnen verbundene Unternehmen bedeuten die neuen Eingriffsmöglichkeiten und die Umsetzungspraxis des BMWK, dass rechtzeitig unternehmensinterne Maßnahmen zu treffen sind, um bereits den Anschein einer drohenden Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit abzuwenden. Im Einzelfall kann es zudem geboten sein, möglichst frühzeitig mit dem BMWK Kontakt aufzunehmen und mögliche freiwillige konkrete Sicherungsmaßnahmen im Vorfeld der Anordnung einer Treuhandverwaltung abzustimmen.