Handel und Konsumgüter29.09.2020 Newsletter

Arbeitsschutzkontrollgesetz: neue Mindestanforderungen, die nicht nur die Fleischwirtschaft betreffen

Die Fleischwirtschaft steht seit langem wegen der prekären Arbeits- und Unterkunftsbedingungen des häufig osteuropäisch eingesetzten Fremdpersonals im Fokus. Die Bundesregierung hatte daher bereits im Mai 2020 ein Eckpunktepapier zum Arbeitsschutz in der Fleischwirtschaft beschlossen. In Folge der jüngsten Pandemieausbrüche in Fleischfabriken wie in NRW, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein gilt die Fleischbranche als neuer Corona-Hotspot. Dadurch hat die Arbeitsschutzinitiative weiter Fahrt aufgenommen. Das Bundeskabinett hat nun am 29. Juli 2020 das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz bewilligt und in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Dieses Gesetz soll bereits zum 1. Januar 2021 in Kraft treten, muss jedoch noch durch den Bundesrat.

In der Kritik stehen nicht nur der signifikante Einsatz oft ausländischer Werkvertragsunternehmer und Leiharbeitnehmer, sondern auch deren Arbeits- und Unterkunftsbedingungen. So sollen laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zukünftig „16-Stunden-Tage und beengtes Wohnen in Gemeinschaftsunterkünften nicht länger akzeptiert werden“. Dabei wird nicht nur eine Überbelegung von Wohnraum kritisiert, sondern auch Wuchermieten, Verstöße gegen Hygiene-, Abstands- und Arbeitsschutzbestimmungen wegen fehlender Schutzausrüstung, fehlender arbeitsmedizinischer Versorgung und zu geringem Sicherheitsabstand bei der Arbeit sowie Verstöße gegen das Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetz.

Der Gesetzesentwurf sieht daher zahlreiche Verschärfungen – nicht nur für Betriebe der Fleischindustrie – sondern auch anderer Branchen vor, die für viele Arbeitgeber Handlungsbedarf auslösen.

Kernelement des Arbeitsschutzkontrollgesetzes ist, dass mit Wirkung vom 1. Januar 2021 an kein Fremdpersonal im Bereich der Fleischindustrie mehr eingesetzt werden darf. Ab dem 1. April 2021 wird für diese Branche zudem die Zeitarbeit verboten. Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung dürfen in Zukunft nur noch von eigenem Stammpersonal des Unternehmers vorgenommen werden. Auch die gemeinsame Führung eines Betriebes oder einer übergreifenden Organisation durch zwei oder mehrere Unternehmer (z. B. durch überbetriebliche Produktionsverbünde) sind nach der Gesetzesvorlage künftig untersagt. Von dem Verbot ausgenommen sind Unternehmen des Fleischerhandwerks, d. h. immer dann, wenn (i) Tätigkeiten in der Fleischwirtschaft handwerksmäßig betrieben werden, (ii) das Unternehmen in die Handwerksrolle oder in das Verzeichnis des zulassungsfreien Handwerks oder handwerksähnlichen Gewerbes eingetragen ist und (iii) in der Regel nicht mehr als 49 Beschäftigte beschäftigt. Praktisch sollen damit die Metzgereien vor Ort von den strengen Neu-Vorschriften ausgenommen werden.

Darüber hinaus sollen in der Arbeitsstättenverordnung zukünftig Mindestanforderungen für Gemeinschaftsunterkünfte zur Unterbringung von Beschäftigten definiert werden, von denen nicht nur die Fleischwirtschaft, sondern alle Branchen betroffen sind. Den Arbeitgeber trifft daher in Zukunft die Pflicht, angemessene Unterkünfte sowohl innerhalb als auch außerhalb des Betriebsgeländes zur Verfügung zu stellen, soweit dies aus Gründen der Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit oder aus Gründen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit „erforderlich“ ist. Dabei richten sich die Anforderungen an die Ausstattung der Unterkünfte auch an die Dauer der Unterbringung. Unklar bleibt, wann von einer solchen Erforderlichkeit auszugehen ist und welche praktischen Auswirkungen dies auf die Arbeitgeber aller Branchen haben wird.

Entsprechend hat auch der Spitzenverband der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) aufgrund der Corona-Pandemie zur Gewährleistung des Infektionsschutzes in Sammelunterkünften – dies allerdings nur bezogen auf die Fleischindustrie – vorgegeben, dass Schlafräume grundsätzlich nur von einer Person zu belegen sind, Räumlichkeiten regelmäßig gelüftet und täglich gereinigt werden müssen und die Küchen mit Geschirrspülern mit Reinigungsprogrammen über 60 Grad auszustatten sind.

Zudem treffen Arbeitgeber, die Gemeinschaftsunterkünfte zur Verfügung stellen, zukünftig Dokumentationspflichten. Dabei müssen sie die Adressen der Unterkünfte, die Unterbringungskapazitäten, die Zuordnung der untergebrachten Arbeitnehmer zu den Gemeinschaftsunterkünften sowie den zugehörigen Zeitraum der Unterbringung dokumentieren. Diese Dokumentation muss bereits zum Zeitpunkt der Bereitstellung der Unterkunft vorhanden sein und für mindestens vier Wochen nach Beendigung der Unterbringung aufbewahrt werden.

Der Verstoß gegen die Mindestanforderungen an Unterkünfte und die damit in Zusammenhang stehenden Dokumentationspflichten kann zukünftig als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von bis zu EUR 5.000 geahndet werden. Schlimmer noch: Wer durch einen vorsätzlichen Verstoß Leben oder Gesundheit eines Arbeitnehmers gefährdet, dem droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe.

Ferner sind Konkretisierungen in den einschlägigen Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) geplant, wobei angesichts der aktuellen Pandemielage mit deutlichen Verschärfungen gerechnet werden darf. Speziell Unternehmern der Fleischindustrie werden zukünftig noch weitere Mitwirkungs- und Duldungspflichten auferlegt. Hinzuweisen ist beispielsweise auf die Pflicht des Arbeitgebers, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer elektronisch zu erfassen und elektronisch aufzubewahren. Die Geldbußen sollen bei Verstößen von derzeit EUR 15.000 auf EUR 30.000 erhöht werden.

Um die Arbeitnehmerrechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz zu sichern, sollen die Arbeitsschutzbehörden der Länder zukünftig die Betriebe häufiger kontrollieren. Jährlich sollen mindestens 5% aller Betriebe auf die Einhaltung der Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes überprüft werden. Diese Mindestbesichtigungsquote trifft nicht nur die Fleischindustrie, sondern alle Branchen, um sicherzustellen, dass einheitliche Arbeitsschutzstandards eingehalten werden.

Arbeitgeber haben sich somit auf die mit Wirkung vom 1. Januar 2021 an geplanten Maßnahmen einzustellen und ihre Arbeitsabläufe entsprechend anzupassen. Das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz steht zwar in der Kritik der Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit, da das Verbot der Leiharbeit in dem Bereich der Fleischindustrie als erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG bzw. als unvereinbar mit der europäischen Leiharbeitsrichtlinie sowie der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit bewertet wird. Dennoch sollten die betroffenen Arbeitgeber gerade mit Blick auf die drohenden Sanktionen ihre derzeitigen Arbeitsabläufe auf die Vereinbarkeit mit den geplanten Gesetzesänderungen überprüfen und rechtzeitig anpassen.

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Isabel Hexel

Isabel Hexel

PartnerinRechtsanwältinFachanwältin für Arbeitsrecht

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