Arbeitsrecht08.05.2024 Newsletter

Arbeitsrecht im Abseits? – Eine Handlungsempfehlung zur Fußball-EM

1. Mediennutzung am Arbeitsplatz

Für all jene Beschäftigte, die nicht das Glück hatten, eines der begehrten Tickets für die Spiele der Nationalmannschaften zu ergattern, stellt sich zunächst die Frage, ob sie diese während der Arbeit dennoch verfolgen dürfen.

Zwar ist es Beschäftigten grundsätzlich gestattet, während der Arbeit Radio zu hören, sofern die jeweilige Arbeitsleistung ordnungsgemäß erbracht wird und andere Beschäftigte nicht beeinträchtigt werden (so bereits BAG, Beschl. v. 14.01.1986 – 1 ABR 75/83). Indes erfordert das Verfolgen eines Spiels in Bild und Ton eine erhöhte Aufmerksamkeit, sodass eine ordnungsgemäße Erbringung der Arbeitsleistung in aller Regel nicht mehr gewährleistet ist. Dennoch ist eine Kündigung in einem solchen Fall – zumindest bei einem erstmaligen Verstoß – nach Ansicht der Rechtsprechung unverhältnismäßig, weil das Verfolgen des EM-Spiels (noch) als „sozialadäquat“ eingestuft wird (in diese Richtung zumindest ArbG Frankfurt a.M., Urt. v. 09.02.2011 – 7 Ca 4868/10). Bei einem entsprechenden Verstoß wird daher zunächst lediglich eine „gelbe Karte“ in Form einer Abmahnung in Betracht kommen.

Eine weitere Möglichkeit, sich über den aktuellen Spielverlauf auf dem Laufenden zu halten, ist die Nutzung sog. Live-Ticker im Internet, wobei es für die arbeitsrechtliche Zulässigkeit eines solchen Mitfieberns zunächst darauf ankommt, ob die Internetnutzung im Betrieb lediglich zu dienstlichen oder auch zu privaten Zwecken gestattet ist. Nutzen Beschäftigte trotz fehlender Vereinbarung das Internet privat zur Verfolgung eines Spiels, kann dies eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten darstellen und damit ebenfalls eine Grundlage für eine Abmahnung oder sogar Kündigung sein. Aber auch, wenn die Privatnutzung erlaubt worden ist, darf ein Live-Ticker nicht übermäßig in Anspruch genommen werden: Wird dieser über das gesamte Spiel hinweg verfolgt, wird dies regelmäßig als exzessiver Gebrauch betrachtet, der arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer (fristlosen) Kündigung nach sich ziehen kann, da es sich um einen Fall der Vorenthaltung von Arbeitsleistung oder um Arbeitszeitbetrug handelt. Letztlich bedarf es jedoch insofern – wie auch häufig auf dem Platz – einer Einzelfallbetrachtung.

2. Urlaub und Freistellung

Beschäftigten steht es grundsätzlich frei, auch während der Fußball-EM Urlaub zu beantragen, um sich, falls der Erholungsurlaub vom Unternehmen gewährt wird, dem Fußballfieber voll und ganz hingeben zu können.

Beantragen jedoch (zu) viele Beschäftigte – möglicherweise erst kurzfristig – an einzelnen (Spiel-)Tagen Urlaub, um die Nationalmannschaft zu unterstützen, ist das Unternehmen berechtigt, den begehrten Urlaub unter bestimmten Umständen zu verweigern – namentlich, wenn dringende betriebliche Belange entgegenstehen. Diese sind etwa betroffen, wenn aufgrund der zahlreichen Urlaubsanfragen eine Unterbesetzung im Betrieb droht.

Jedoch sollten Beschäftigte in der Folge nicht auf die Idee kommen, die Gewährung des Urlaubs durch unlautere Mittel zu erzwingen. So kann etwa die Ankündigung einer „Erkrankung“ im Fall der Ablehnung des Urlaubsantrags sogar einen Kündigungsgrund darstellen (BAG, Urt. v. 12.03.2009 – 2 AZR 251/07). Zudem können arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen, wenn sich Beschäftigte mit einer vorgetäuschten Krankheit arbeitsunfähig melden (LAG Hessen, Urt. v. 01.04.2009 – 6 Sa 1593/08).

(Auch) während der Fußball-EM sollten Unternehmen und Beschäftigte daher vielmehr bestrebt sein, im gegenseitigen Einvernehmen Lösungen zu finden, um sowohl bei der EM als auch bei der Arbeit „mittendrin, statt nur dabei“ zu sein. Letztlich gilt damit im Arbeitsrecht ebenso wie auf dem Platz ein klares Fairplay-Gebot.

3. Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz

Im Vorfeld der EM hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland Ausnahmeregelungen zum Arbeitszeitgesetz (ArbZG) für die Dauer der Fußball-EM erlassen. Es ist anzunehmen, dass auch die Arbeitsschutzbehörden anderer Bundesländer kurzfristig ähnliche Regelungen erlassen werden.

Die Sonderregelung gilt für alle Personen, deren Tätigkeit die Vorbereitung, Teilnahme, Durchführung oder Nachbereitung der Fußball-EM 2024 umfasst. Erfasst sind damit insbesondere Beschäftigte der offiziellen Verbands- und Lizenzpartner, Repräsentanten von Verbänden, insbesondere der UEFA, einschließlich Schiedsrichter, Spieler und Assistenten, bezahltes Personal der teilnehmenden Mannschaften, Beschäftigte des Facility Managements, technisches Personal der Medien sowie Film- und Fernsehvertreter und ferner Beschäftigte des Wach- und Sicherheitsgewerbes.

Inhaltlich sieht die Ausnahmeregelung vor, dass die tägliche Höchstarbeitszeit auf maximal 12 Stunden (erforderlichenfalls auch an Sonn- und Feiertagen) erhöht werden kann. Dabei gilt, dass eine entsprechende Genehmigung der Aufsichtsbehörde nicht erforderlich ist.

Zu beachten ist jedoch, dass die wöchentliche Arbeitszeit, einschließlich der Arbeit an Sonntagen, innerhalb eines Zeitraums von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt nicht mehr als 48 Stunden betragen darf. Daher ist nach dem Ende der Fußball-EM im Rahmen der Personalplanung und des Personaleinsatzes sicherzustellen, dass die durchschnittliche Arbeitszeit innerhalb des genannten Zeitraums wieder auf die gesetzliche Höchstgrenze von 48 Stunden reduziert wird, was etwa durch die Gewährung entsprechender Ausgleichstage erfolgen kann.

Zu beachten sind zudem die folgenden Einschränkungen bzw. Nebenbestimmungen der landesgesetzlichen Ausnahmeregelung:

  • So darf die maximale wöchentliche Höchstarbeitszeit 60 Stunden nicht überschreiten.
  • Ferner sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) Beginn und Ende der tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten sowie Lage und Dauer der Ruhepausen für alle betroffenen Beschäftigten aufzuzeichnen.
  • Darüber hinaus muss für die geleistete Sonn- und Feiertagsarbeit ein Ersatzruhetag innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von 14 Tagen gewährt werden (§ 11 Abs. 3 ArbZG).
  • Im Übrigen müssen mindestens 15 Sonntage im Jahr beschäftigungsfrei bleiben (§ 11 Abs. 1 ArbZG).
  • Schließlich sind alle Tätigkeiten im Rahmen der Vorbereitung, Teilnahme, Durchführung und Nacharbeitung der Fußball-EM nach §§ 5 und 6 ArbSchG im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln, zu bewerten und zu dokumentieren.

​​​​​​​4. Verantwortungsvoller Umgang mit Genussmitteln am Arbeitsplatz

Unabhängig von der Frage, ob Beschäftigte während ihrer Arbeitszeit die EM-Spiele verfolgen dürfen, bedarf es auch einer klaren Vereinbarung hinsichtlich des „Begleitprogramms“. So ist es aufgrund der allgemeinen Fußball-Euphorie durchaus üblich, auf das eine oder andere Tor anzustoßen (oder sich alternativ das Spiel „schön zu trinken“). Doch was gilt, wenn Beschäftigte während der Arbeitszeit Alkohol konsumieren?

Auch wenn mögliche Erfolge der Nationalmannschaft dazu einladen: Es obliegt den Beschäftigten auch während der EM, die diesbezüglichen betrieblichen Vorgaben und – falls Alkohol erlaubt ist – die persönlichen Grenzen beim Konsum von Alkohol zu beachten. Die Beschäftigten sind mithin dazu verpflichtet, ihre Leistungsfähigkeit und die Sicherheit am Arbeitsplatz nicht durch exzessiven Alkoholkonsum zu gefährden.

Zwar können Unternehmen in Erwägung ziehen, ihr Direktionsrecht auszuüben, um ein Alkoholverbot zu erlassen. Allerdings ist zu beachten, dass eine derartige Maßnahme zum einen mit einem etwa bestehenden Betriebsrat zu koordinieren ist, der insoweit ein zwingendes Mitbestimmungsrecht hat, und zweitens können etwaige Kontrollen zur Einhaltung des Alkoholverbots mit dem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten kollidieren. Auch hier gilt also: Alkohol in Maßen, Kontrollen ebenso.

5. Im Trikot zur Arbeit?

Die Zulässigkeit des Tragens von Fanartikeln während der Arbeitszeit ist in Abhängigkeit von der spezifischen Berufstätigkeit sowie den Richtlinien des Unternehmens zu bewerten. So wird in diversen Berufsfeldern das Tragen spezieller Schutzkleidung durch Gesetze oder Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft geregelt. Zwar könnten Beschäftigte durchaus versucht sein, jene Schutzkleidung durch ein Fan-Outfit zu ersetzen. Ein solcher „Trikottausch“ ist jedoch grundsätzlich nicht gestattet. Es obliegt insoweit dem Unternehmen sicherzustellen, dass die vorgeschriebene Schutzkleidung auch tatsächlich getragen wird. Verweigern sich Beschäftigte, kann dies arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (so etwa LAG Sachsen, Urt. v. 10.01.2017 – 5 Sa 85/16). Auch wenn Beschäftigte Kontakt mit Kunden haben, kann das Tragen von Fan-Outfits gegen unternehmerseitige Vorgaben verstoßen – am besten stimmen sich Beschäftigte insoweit mit dem Unternehmen ab.

6. Tippspiele

Prinzipiell ist es Unternehmen gestattet, innerhalb des Betriebs Tippspiele zu organisieren. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass den Organisatoren keine Gewinnbeteiligung gewährt wird und das Tippspiel ausschließlich für die eigenen Beschäftigten bestimmt ist. Aus Gründen des Jugendschutzes sollte zudem sichergestellt werden, dass Minderjährige nicht zur Teilnahme berechtigt sind.

Bei der Planung und Durchführung eines Tippspiels müssen darüber hinaus etwa bestehende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats berücksichtigt werden, sofern ein solcher im Unternehmen existiert. Diese sind insbesondere im Hinblick auf datenschutzrechtliche Fragen relevant – vor allem, wenn es um die Verarbeitung personenbezogener Daten geht.

Daneben ist es auch möglich – und aufgrund der vielfältigen Angebote im Internet immer beliebter –, dass die Beschäftigten selbst ein Tippspiel organisieren, bei dem das Unternehmen gar nicht involviert ist. In diesem Fall ist sicherzustellen, dass das Tippspiel als Freizeitbeschäftigung angesehen wird und daher nicht während der Arbeitszeit stattfindet, andernfalls besteht das Risiko einer Abmahnung. Unbedenklich ist es hingegen, Tippspiele während der Pausenzeiten oder nach Arbeitsende durchzuführen.

7. Fazit

Die Fußball-EM sorgt nicht nur für sportliche Spannung, sondern wirft auch zahlreiche arbeitsrechtliche Fragen auf. Ebenso wie auf dem Feld lohnt sich daher auch hier ein regelmäßiger Blick auf die maßgeblichen „Spielregeln“, wenn zwischen Tippspielen und Live-Tickern das Büro zur Fanmeile wird. Dabei ist wie auf dem „heiligen Rasen“ auch hier ein cleverer Balanceakt gefragt, um das Turnier genießen zu können, ohne ins arbeitsrechtliche Abseits zu geraten – dann stimmt am Ende (hoffentlich) nicht nur das Ergebnis auf dem Platz, sondern ist auch für ein harmonisches Arbeitsumfeld gesorgt.

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Lisa Striegler

Lisa Striegler

AssociateRechtsanwältin

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Jörn Kuhn

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