Arbeitsrecht05.10.2021 Newsletter
Arbeitnehmerentsendung innerhalb der EU: Das gilt für französische Arbeitnehmer in Deutschland
Werden französische Arbeitnehmer durch ihren Arbeitgeber nach Deutschland entsendet, sind die europarechtlichen Vorschriften zur Arbeitnehmerentsendung zu beachten. Die überarbeitete europäische Arbeitnehmerentsenderichtlinie wurde in Deutschland am 30. Juli 2020 mit dem reformierten Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) umgesetzt. Die Arbeitnehmerentsendung ist seither noch stärker reglementiert. Bei Verletzung der maßgeblichen Vorgaben drohen Bußgelder. Es lohnt sich daher, nochmals einen Blick auf die wesentlichen Regelungen zu werfen.
Das deutsche Arbeitnehmerentsendegesetz ist in seiner Struktur recht komplex. Durch die vielfältigen Einbindungen tariflicher Vorgaben wird die Komplexität deutlich erhöht. Man kann drei große Bereiche unterscheiden: (1) Die Anwendung von bestimmten Arbeitsbedingungen, (2) die zivilrechtliche Haftung und (3) Kontrolle und Durchsetzung der Anwendung des Arbeitnehmerentsendegesetzes.
Recht auf wesentliche Arbeitsbedingungen bei Entsendung
Arbeitnehmerentsendung bedeutet die vorübergehende Tätigkeit des Arbeitnehmers in einem fremden Staat (innerhalb der EU) auf Weisung des Arbeitgebers, also in einem anderen Staat als demjenigen, in welchem er normalerweise seine Arbeitsleistung erbringt. Der Einsatz des Arbeitnehmers erfolgt dabei
- zur Erfüllung eines Dienst- oder Werkvertrages seines Arbeitgebers,
- im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung, wenn er als Leiharbeitnehmer in Deutschland eingesetzt wird,
- oder bei einer Freistellung zur Tätigkeit in einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE = Kooperation bzw. Unternehmenszusammenschluss im Baugewerbe).
Keine Arbeitnehmerentsendungen stellen somit die Auslandsdienstreise oder die vertragsmäßige Beschäftigung bei einer Vor-Ort-Anstellung in Deutschland dar. Die Regelung des § 24 AEntG stellt insoweit die Fälle klar, in denen das Arbeitnehmerentsendegesetz keine Anwendung findet. Hier ist für den Bereich der Erfüllung von Dienst- und Werkverträgen klar definiert, dass ausschließlich bei einem Einsatz von weniger als acht Arbeitstagen innerhalb eines Arbeitsjahres das Arbeitnehmerentsendegesetz keine Anwendung findet; dieses ist vermutlich eine der größten Einschränkungen.
Soweit es sich beim Einsatz eines französischen Arbeitnehmers in Deutschland um eine Entsendung nach der EU-Entsenderichtlinie und dem AEntG handelt, gelten für die Dauer der Entsendung im Grundsatz die französischen Rechtsvorschriften. Denn der gewöhnliche Arbeitsort ist bei einem nur temporären Einsatz in Deutschland immer noch in Frankreich. Französische Arbeitgeber müssen gleichwohl gewisse Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Deutschland zum Schutz der Arbeitnehmer einhalten. Dies betrifft Bestimmungen zu Entgelt, Urlaub, Arbeitszeiten, Sicherheitsbedingungen am Arbeitsplatz oder Diskriminierungsschutz (gem. § 2 AentG). Der französische Arbeitgeber muss deshalb Regelungen wie die des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG), des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) sowie des Antidiskriminierungsgesetzes (AGG) beachten. In der Regel ist das unkritisch, da die französischen Arbeitsbedingungen nahezu identisch mit den deutschen sind. Bei einer länger als 12 Monate andauernden Tätigkeit in Deutschland findet deutsches Arbeitsrecht im weiteren Umfang Anwendung (§ 13b AEntG). In diesen Fällen kommen auch Tarifverträge zur Anwendung. Hier ist strittig, ob dies ausschließlich regional anwendbare Tarifverträge betrifft.
Von weitreichender Bedeutung ist die Anwendung tariflicher Arbeitsbedingungen dann, wenn eine Entsendung in einer bestimmten Branche nach Maßgabe von § 4 Abs. 1 AEntG erfolgt (z. B. Baugewerbe, Abfallwirtschaft). Bei diesen Entscheidungen müssen die tariflichen Regelungen der jeweiligen Branche angewendet werden.
Gemeinsame Haftung bei nicht erfüllten Ansprüchen auf Arbeitslohn
Das Arbeitnehmerentsendegesetz enthält ein klares zivilrechtliches Haftungsregime. Grundlage dieses Haftungsregimes ist § 14 AentG: Danach haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtung dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts wie ein selbstschuldnerischer Bürge. D. h. die vom Auftragnehmer eingesetzten Arbeitnehmer haben faktisch die Wahl, ob sie für nicht erfüllte Ansprüche auf Mindestlohn ihren Arbeitgeber, also den Auftragnehmer bzw. Nachunternehmer oder Verleiher, oder dessen Auftraggeber in Anspruch nehmen wollen. Im Ergebnis haften Auftraggeber und Auftragnehmer daher wie Gesamtschuldner.
Die Haftung ist auf sog. Generalunternehmer beschränkt. Es haftet daher nur derjenige Unternehmer, der sich zu einer Dienst- oder Werkleistung verpflichtet und den fraglichen Auftrag nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigt, sondern sich zur Erfüllung seiner Verpflichtungen eines oder mehrerer Subunternehmer bedient. Die Haftung des Generalunternehmers ist verschuldensunabhängig. Der Haftungsumfang ist dabei beschränkt auf das Nettoentgelt, d. h. der Generalunternehmer haftet nur für den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an Arbeitnehmer auszuzahlen ist. Vom Nettoentgelt nicht erfasst werden über das Mindestentgelt hinausgehende Entlohnungsbestandteile nach § 5 Satz 1 Nr. 1a AEntG.
Die Regelung wird durch den Bußgeldtatbestand des § 23 Abs. 2 AEntG flankiert. Danach wird sanktioniert, wer Werk- oder Dienstleistungen in erheblichem Umfang ausführen lässt, indem er als Unternehmer einen anderen Unternehmer beauftragt, von dem er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass dieser bei Erfüllung des Auftrags den Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig zahlt. Der Verstoß stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro geahndet werden kann.
Nach § 15 AEntG können nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer die Gewährung der vorstehend genannten Arbeitsbedingungen wie auch die Durchsetzung des Anspruchs auf Mindestentgelt vor den deutschen Arbeitsgerichten einklagen.
Für den Fall einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung bestimmt § 15a AEntG, dass der Entleiher den Verleiher in Textform darüber unterrichten muss, bevor er einen Leiharbeitnehmer im Inland beschäftigt. In diesem Fall hat er den Verleiher auch über die wesentlichen Arbeitsbedingungen, die im Betrieb des Entleihers für vergleichbare Beschäftigte gelten, zu unterrichten. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Verleiher seine Pflichten im Hinblick auf die Einhaltung der in Deutschland geltenden Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend eingesetzte Leiharbeitnehmer kennt.
Hohe Anforderungen an Meldepflichten
Die Meldepflichten und Kontrollen stellen für die Praxis eine hohe Anforderung dar. Im Wesentlichen gilt: In Deutschland ist in Branchen mit erfahrungsgemäß hohen Schwarzarbeitsquoten eine Meldepflicht für ausländische Arbeitnehmer vorgesehen. Bei einer Entsendung in Branchen nach § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) hat der Arbeitgeber mit Sitz in Frankreich seinen zu Werk- oder Dienstleistungen entsandten Arbeitnehmer online beim Zoll über das „Meldeportal-Mindestlohn“ anzumelden. Die Anmeldung muss schriftlich und in deutscher Sprache erfolgen. Ihr ist eine Versicherung über die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 20 MiLoG beizufügen. Gemäß § 20 MiLoG ist der ausländische Arbeitgeber zur Zahlung des Mindestlohns verpflichtet, der in Deutschland seit dem 1. Juli 2021 9,60 Euro beträgt. In Frankreich ist der Mindestlohn mit 10,25 Euro allerdings höher.
Sofern eine Entsendung in Branchen mit tariflichen Mindestarbeitsbedingungen nach § 4 AEntG erfolgt, ist der Arbeitgeber zur Abgabe der Anmeldung und Versicherung auf Grundlage des § 18 Abs. 1 und 2 AEntG verpflichtet. Dabei ist er nach § 8 AEntG stets zur Gewährung von tariflichen Arbeitsbedingungen, insbesondere der Zahlung eines festgelegten Branchenmindestlohns, verpflichtet. Über die ursprüngliche Baubranche hinaus wurden zahlreiche weitere Wirtschaftszweige wie Pflegebranche, Gebäudereinigung und Sicherheitsdienstleistungen aufgenommen.
Ausnahmen von der Meldepflicht bestehen im Falle eines verstetigten Monatsentgelts von mehr als 2.958 Euro brutto oder eines verstetigten regelmäßigen Monatsentgelts von mehr als 2.000 Euro brutto, sofern der französische Arbeitgeber dieses für die letzten vollen zwölf Monate nachweislich gezahlt hat (§ 1 Abs. 1 MiLoDokV). Nahe Familienangehörige, die im Rahmen eines Arbeitsvertrages im Betrieb des Arbeitgebers tätig werden, sind ebenfalls nicht meldepflichtig.
Sofern eine Beschäftigung zumindest teilweise vor 6 oder nach 22 Uhr, in Schichtarbeit, an mehreren Beschäftigungsorten am selben Tag oder in ausschließlich mobiler Tätigkeit erfolgt, muss der französische Arbeitgeber anstelle der Anmeldung eine Einsatzplanung beim Zoll vorlegen. Bei ausschließlich mobiler Tätigkeit kann die Einsatzplanung einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten umfassen, ansonsten bis zu drei Monate.
Bei Verstößen gegen die Meldepflicht drohen dem ausländischen Arbeitgeber Bußgelder i. H. v. bis zu 30.000 Euro, bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen sogar bis zu 500.000 Euro. Des Weiteren droht ihm ein Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Leistungen.
Um eine effektive Kontrolle der Einhaltung der Bedingungen durch den Zoll zu ermöglichen, hat der Arbeitgeber in allen Fällen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer zeitnah aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufzubewahren.
Französischen Unternehmen sollten entsprechende Datenschutzerklärungen seiner Arbeitnehmer vor der Entsendung einholen. Bei der Weitergabe von personenbezogenen Daten und bspw. Lohnabrechnungen an den Zoll zur Überprüfung der Verpflichtungen stellen sie auf diese Weise sicher, dazu befugt zu sein.
Doppelte Sozialversicherungspflicht vermeiden
Sozialversicherungsrechtlich stellt die Arbeitnehmerentsendung für das anzuwendende Recht eine Ausnahme vom Arbeitsortprinzip dar. Sofern der Einsatz des französischen Arbeitnehmers in Deutschland 24 Monate nicht übersteigt und mit der Entsendung keine andere Person abgelöst wird, gilt weiterhin französisches Sozialversicherungsrecht (Art. 12 Abs. 1 EG-VO 883/2004). Um eine doppelte Sozialversicherungslast zu vermeiden, muss der französische Arbeitgeber vorher als Nachweis der Sozialversicherung im Heimatland eine A1-Entsendebescheinigung in Frankreich beantragen. Anders als in Deutschland entscheidet in Frankreich die örtlich zuständige Krankenkasse (CPAM) auf Antrag selbst über das anzuwendende Recht und stellt die A1-Bescheinigung anschließend aus. Sollte die Entsendung den o. g. Zeitraum überschreiten, kann nach Art. 16 EG-VO 883/2004 eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden.
Kein Aufenthaltstitel notwendig
Aufenthaltsrechtlich ist der aus Frankreich mit französischer Staatsbürgerschaft entsandte Beschäftigte zwar grundsätzlich ein Ausländer i. S. d. AufenthG, braucht aber als Unionsbürger aufgrund der allgemeinen Freizügigkeit innerhalb der EU keine Aufenthaltserlaubnis (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG). Der Beschäftigte braucht also weder Visum noch Aufenthaltstitel oder Arbeitserlaubnis, sondern hat lediglich nach europäischen Vorgaben eine Ausweis- und Meldepflicht.
Ausblick
Es gibt bei einzelnen Vorschriften des AEntG Zweifel an der Vereinbarkeit mit Europarecht, so dass davon auszugehen ist, dass der EuGH hier alsbald für Klarstellung sorgen wird.
Zudem hat jüngst die Europäische Kommission 24 Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, zur Einhaltung der EU-Gesetze über die Entsendung von Arbeitnehmern aufgefordert. Sie will weiterhin die Entsendung von Arbeitnehmern im Binnenmarkt ohne unnötige Hindernisse für die Arbeitgeber ermöglichen und gleichzeitig die Rechte entsandter Arbeitnehmer gewährleisten.