Kartellrecht und Fusionskontrolle31.12.2019 Newsletter
Neuigkeiten zur anstehenden Reform des Kartellrechts
Ein erster Entwurf des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) liegt mittlerweile vor. Ein Fokus der Novelle wird auf den Digitalmärkten liegen. Darüber hinaus wird es auch eine ganze Reihe weiterer Änderungen geben, insbesondere bei der Zusammenschlusskontrolle und den Verfahrensrechten.
Der Referentenentwurf mit dem Titel „GWB-Digitalisierungsgesetz“ muss noch die Ressortabstimmung in der Bundesregierung durchlaufen, bevor er dann als Regierungsentwurf in den Bundestag eingebracht wird.
Nachfolgend finden Sie die wichtigsten Änderungen auf einen Blick:
- Die schnellen Entwicklungen in den digitalen Märkten stellen das Wettbewerbsrecht weiterhin vor Herausforderungen. Daher werden voraussichtlich ein speziell auf digitale Märkte zugeschnittener Missbrauchstatbestand, ein Anspruch auf Datenzugang sowie spezielle Regelungen zur Datenportabilität eingeführt werden.
- Kartellverfahren sollen zudem weiter beschleunigt und vereinfacht werden, auch um effektiver in die digitalen Märkte eingreifen zu können. Die Verfahrensrechte und Ermittlungsbefugnisse des BKartA werden künftig erweitert.
- Das Kronzeugenprogramm in Bußgeldverfahren wird gesetzlich geregelt; neue Kriterien für die Bemessung der Höhe des Bußgelds sollen eingeführt werden.
- Die Regelungen zur Zusammenschlusskontrolle werden dagegen gelockert, was künftig zu weniger Anmeldungen von Zusammenschlussvorhaben führen dürfte.
- Horizontale Kooperationen sollen einfacher werden, Unternehmen schneller Rechtssicherheit bezüglich geplanter Vorhaben erhalten.
- Beim Kartellschadensersatz sollen einige Klarstellungen erfolgen und eine gesetzliche Vermutung hinsichtlich der Kartellbetroffenheit eingeführt werden.
I. Die Änderungen im Detail
1. Änderungen bei der Missbrauchsaufsicht
Die Missbrauchsaufsicht soll stärker an die digitalen Märkte angepasst werden. Beabsichtigt ist ein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und Veränderungen bei der Definition der Marktbeherrschung. Diese soll um die Intermediationsmacht von digitalen Plattformen mit starker Vermittler- und Steuerungsfunktion erweitert werden.
Ziel ist es, dass künftig Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den (digitalen) Wettbewerb - Intermediationsmächte - diese Position nicht mehr ohne Weiteres in wettbewerbswidriger Weise ausnutzen können. Dies betrifft etwa Vermittler von Absatzkanälen, wie Suchmaschinen oder Marktplätzen, die über ihre Marktstellung eine hohe Nachfragemacht bündeln. Das Bundeskartellamt könnte dann z.B. eingreifen, wenn eine Suchmaschine eigene Angeboten gegenüber denjenigen anderer Anbieter in der Darstellung der Suchergebnisse bevorzugt. Gewollt ist außerdem, solche Fälle zu erfassen, in denen ein Anbieterwechsel dadurch unattraktiv wird, dass der bisherige Anbieter die Mitnahme von Daten (Datenportabilität) zu einem anderen Anbieter erschwert.
Erhebliche praktische Relevanz dürften die geplanten Änderungen bei der Missbrauchskontrolle hinsichtlich Unternehmen mit lediglich relativer Marktmacht haben. Diese Vorschriften waren bisher auf die Abhängigkeit kleiner oder mittlerer Unternehmen begrenzt. Nunmehr soll diese Einschränkung entfallen und für Unternehmen unabhängig von ihrer Größe gelten. Hintergrund dieser Änderung ist, dass das BMWi in digitalen Märkten die Unternehmensgröße für die Frage der Abhängigkeit als kein sachgerechtes Kriterium ansieht. In der Praxis wird sich allerdings zeigen müssen, ob diese Erweiterung des Anwendungsbereichs der relativen Marktmacht nicht auch Einschnitte für „nicht-digitale“ Unternehmen mit sich bringt.
Außerdem soll ein neuer Datenzugangsanspruch insbesondere die Position kleinerer Unternehmen gegenüber großen digitalen Plattformen stärken und deren Innovations- und Wettbewerbschancen vergrößern. Ihnen sollen im gemeinsamen Geschäftsverkehr, aber nicht ausschließlich, wettbewerbsrelevante Daten nicht mehr vorenthalten werden dürfen.
2. Schnellere Eingriffsmöglichkeiten und mehr Rechte des Bundeskartellamts in Kartellverfahren
Die Schwelle für den Erlass einstweiliger Maßnahmen durch Kartellbehörden soll gesenkt werden. Gerade in digitalen Märkten möchte das BMWi eine schnellere Eingriffsmöglichkeit, um zu verhindern, dass die Branchenführer neu aufkommende Geschäftsfelder mittels Ausnutzung ihrer Marktmacht unter sich aufteilen. Hält das BKartA einen kartellrechtswidrigen Verstoß für more likely than not, soll es im Wege einstweiliger Maßnahmen tätig werden dürfen. Potentiell benachteiligte Unternehmen werden nach dem Gesetzesentwurf jedoch keinen einklagbaren Anspruch auf ein Tätigwerden haben.
Künftig können außerdem Auskunfts- und Herausgabeverlangen des BKartA sowohl im Ermittlungs- als auch im Bußgeldverfahren jede natürliche Person (unternehmensunabhängig) treffen. Wer unvollständig, falsch oder verspätet kooperiert, muss mit Bußgeldern durch das BKartA rechnen. Das Aussageverweigerungsrecht wird stark eingeschränkt. Belastet sich eine natürliche Person in diesem Rahmen selbst, sollen ihr diese Informationen in möglichen Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren nicht vorgehalten werden dürfen, wohl aber den betroffenen Unternehmen. Auch bei Durchsuchungen soll eine (bereits aus dem EU-Recht bekannte) aktive bußgeldbewehrte Mitwirkungspflicht eingeführt werden.
Stellt das BKartA einen kartellrechtlichen Verstoß fest, soll das Nachtatverhalten des betroffenen Unternehmens ein Kriterium bei der Bußgeldzumessung werden. Neu ist dabei, dass künftig eine Reduzierung des Bußgelds unter Umständen auch durch effektive Compliance-Maßnahmen erreicht werden kann.
Auch der tatbezogene Umsatz soll als Kriterium in die Regelung zur Bemessung des Bußgeldes aufgenommen werden. Er umfasst jegliche Umsätze, auf die sich das vom BKartA festgestellte wettbewerbswidrige Verhalten ausgewirkt hat.
Erstmals soll nun auch das Kronzeugenprogramm im GWB kodifiziert werden, ohne an den bisherigen Grundsätzen etwas zu ändern. Demnach gilt das Programm nur für horizontalen Absprachen zwischen direkten Wettbewerbern. Kooperationen mit dem BKartA bei vertikalen Absprachen, etwa zwischen Lieferanten und deren Abnehmern, können aber im Bußgeldverfahren ggf. bußgeldmindernd berücksichtigt werden.
4. Höhere Schwellenwerte in der Fusionskontrolle
Die bestehende Inlandsumsatzschwelle soll von 5 Mio. Euro auf 10 Mio. Euro verdoppelt werden. Danach wären etwa 20 % weniger Zusammenschlüsse anmeldepflichtig. Zusätzlich sollen zukünftig Zusammenschlüsse auf sog. Bagatellmärkten mit einem jährlichen Gesamtvolumen von bis zu 20 Mio. Euro (vorher bis 15 Mio. Euro) von der Fusionskontrolle ausgenommen werden.
Zudem soll speziell die Print-Presse entlastet werden: Zusammenschlüsse werden nach dem Entwurf in Zukunft erst dann überprüft, wenn die fusionierenden Unternehmen zusammen jährlich Umsätze von über 125 Mio. Euro erzielen.
Bei angemeldeten und vom Bundeskartellamt freigegebenen Zusammenschlüssen soll es generell keiner Vollzugsmitteilung mehr bedürfen.
Das BMWi sieht Handlungsbedarf bei horizontalen Kooperationen zwischen Wettbewerbern, daher sollen diese - erneut vor dem Hintergrund der Erschließung digitaler Märkte und digitaler Handelsplattformen - erleichtert werden.
Bereits jetzt nutzen viele Unternehmen das Vorsitzendenschreiben (comfort letter) des BKartA, um eine informelle wettbewerbsrechtliche Bewertung ihres Vorhabens zu erhalten. Diese Praxis soll beibehalten und ins Gesetz aufgenommen werden.
Das BMWi möchte die Durchsetzung privater Kartellschadensersatzansprüche erleichtern. Hierzu soll eine gesetzliche (widerlegliche) Vermutung für die Kartellbetroffenheit eingeführt werden. Schließt ein Unternehmen einen Vertrag mit einem Kartellanten, soll die Ware oder Dienstleistung als kartellbetroffen gelten, wenn der Vertrag in den Zeitraum der Kartellabsprachen fällt, räumlich in einem Bereich geschlossen wurde, für den die Absprachen galten und die entsprechende Ware oder Dienstleistung generell von den Absprachen erfasst war. Auf diese Vermutung werden sich nach aktuellem Stand sowohl die unmittelbaren Lieferanten und Abnehmer, als auch deren Abnehmer berufen können. Preisschirmeffekte sollen dagegen nicht erfasst werden. Das sind Fälle, in denen Waren oder Dienstleistungen von nicht am Kartell beteiligten, aber auf dem gleichen Markt tätigen Wettbewerben bezogen wurden, die ihre Preise an die der Kartellanten angepasst haben.
7. Fazit
Der Referentenentwurf sieht weiterreichende Erweiterungen der Befugnisse des BKartA vor: Wird der Entwurf Gesetz, würden sowohl die Hürden für Eingriffe bei (potentiell) wettbewerbswidrigen Verhalten gesenkt, als auch die Rechte des BKartA im Kartellverfahren gestärkt.
Die Vorschriften zum Schutz der digitalen Märkte dürften insbesondere Start Ups und bislang kaum digital agierenden Unternehmen zu Gute kommen: Sie dürfen auf einen leichteren Markt- bzw. Datenzugang hoffen. Vieles ist hier aber noch offen. Insbesondere bleibt abzuwarten, ob sich der geplante Datenzugangsanspruch in der Praxis effektiv durchsetzen wird.
Kooperationsvorhaben im Mittelstand könnten durch die geplanten Neuerungen deutlich erleichtert werden. Besonders die geplante Anhebung der Umsatzschwellenwerte in der Fusionskontrolle und ein möglicher Anspruch auf eine Unbedenklichkeitserklärung könnten Zusammenschlüsse beschleunigen und horizontale Kooperationen vereinfachen.