Handel und Konsumgüter06.07.2021 Newsletter
Neues BGB Vertragsrecht – Waren mit digitalen Elementen und digitale Dienstleistungen im Fokus
Die fortschreitende Digitalisierung in allen Bereichen unserer Gesellschaft zwingt zunehmend auch den Gesetzgeber, Anpassungen vorzunehmen, um der Digitalisierung Rechnung zu tragen.
In diesem Kontext erfolgte am 30. Juni 2021 die Verkündung zweier Bundesgesetze, die insbesondere wesentliche Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs („BGB“) vorsehen. Die Änderungen treten am 1. Januar 2022 in Kraft. Damit setzt Deutschland die europäische Warenkaufrichtlinie (kurz: WKRL (EU) 2019/771) und die Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen (kurz: DIDRL (EU) 2019/770) um. Seit der Schuldrechtsrechtsform aus dem Jahr 2002 ist die kommende Modernisierung des (Verbraucher-)Vertragsrechts die wohl umfassendste Reform in diesem Bereich. Während auf der einen Seite der Verbraucherschutz gestärkt wird, kommen auf Unternehmensseite neue Pflichten hinzu. Daher ist es für Unternehmen – insbesondere aus dem digitalen Sektor – unerlässlich, sich auf die gesetzgeberischen Neuerungen vorzubereiten. Standardverträge sowie Allgemeine Geschäftsbedingungen sind an die neuen Vorgaben anzupassen. Im Falle eines Verstoßes drohen insbesondere Abmahnungen durch Verbraucherschutzverbände.
Umsetzung europäischer Richtlinien
Digitale Leistungen gewinnen als Wirtschaftsfaktor zunehmend an Bedeutung und eignen sich insbesondere für den globalen Handelsverkehr. Bislang existierten im deutschen Verbrauchervertragsrecht keine speziellen Vorschriften zu Verträgen über digitale Produkte. Da einige EU-Mitgliedsstaaten bereits entsprechende Vorschriften eingeführt haben, sind 2019 die WKRL sowie die DIDRL erlassen worden. Beide Richtlinien haben das Ziel, eine Vollharmonisierung des Vertragsrechts innerhalb der EU hinsichtlich digitaler Leistungen zu erreichen und einer Rechtszersplitterung innerhalb der Europäischen Union entgegenzuwirken.
Die Vorgaben der WKRL ersetzen die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ((EU) 2011/83) und sollen die Funktionsfähigkeit des digitalen Binnenmarkts bei einem gleichzeitig hohen Verbraucherschutzniveau gewährleisten, indem einheitliche Anforderungen an Verbraucherverträge über Sachen mit digitalen Elementen festgelegt werden (bspw. Cloud-Anbindung bei Spielekonsolen, Apps zur Nutzung von Smart-Watches). Die DIDRL dient der Ergänzung der WKRL und beinhaltet die konkrete Normierung von Verbraucherverträgen über digitale Inhalte (bspw. Videospiele, Audiodateien) und Dienstleistungen (bspw. Cloud- und Streamingdienste).
Überblick über die wesentlichen Änderungen
Neuer Sachmangelbegriff
Einschneidend ist zunächst die Einführung eines neuen Sachmangelbegriffs im Kaufvertragsrecht. Nach wie vor hat der Verkäufer dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Bisher statuiert das Gesetz den Vorrang des sogenannten subjektiven Mangelbegriffs. Demnach ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. Nur soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, kommt es stufenweise auf weniger subjektive Umstände an.
Für Kaufverträge, die ab dem 1. Januar 2022 geschlossen werden, wird das jedenfalls in dieser Absolutheit nicht mehr gelten. Nach dem neuen § 434 Abs. 1 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht. Was unter diesen Anforderungen zu verstehen ist, definiert die Vorschrift dezidiert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es nicht mehr genügt, dass die Sache der vereinbarten Beschaffenheit entspricht. Die vereinbarte Beschaffenheit ist lediglich eine von mehreren zu genügenden Anforderungen. Zusätzlich muss sich die Sache unter anderem für die vertraglich vorausgesetzte sowie auch für die gewöhnliche Verwendung eignen und die Beschaffenheit aufweisen, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann. Eine Sache, die der vereinbarten Beschaffenheit entspricht, kann also in Zukunft dennoch mangelhaft sein.
Anforderungen an Waren mit digitalen Elementen
Für Verbrauchsgüterkaufverträge über Waren mit digitalen Elementen, bei dem sich der Unternehmer verpflichtet, dass er oder ein Dritter die digitalen Elemente bereitstellt, gelten ergänzend die neu eingeführten §§ 475b, 475c und 475e BGB. Waren mit digitalen Elementen sind Waren, die in einer Weise digitale Produkte enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Produkte nicht erfüllen können. Diese Waren sind gemäß § 475b BGB auch dann mangelhaft, wenn für die digitalen Elemente die im Kaufvertrag vereinbarten Aktualisierungen während des nach dem Vertrag maßgeblichen Zeitraums nicht bereitgestellt werden. Darüber hinaus muss der Verkäufer auch während des Zeitraums, den der Verbraucher insbesondere aufgrund der Art und des Zwecks der Ware erwarten kann, Aktualisierungen bereitstellen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit der Ware erforderlich sind. § 475e BGB enthält Sonderbestimmungen für die Verjährung. So verjähren Ansprüche wegen einer Verletzung der Aktualisierungspflicht nicht vor dem Ablauf von zwölf Monaten nach dem Ende des Zeitraums der Aktualisierungspflicht. Abweichende Vereinbarungen sind nur nach Maßgabe des ebenfalls geänderten § 476 BGB möglich.
Beweislastumkehr
Nicht nur Kaufverträge über Waren mit digitalen Elementen, sondern alle Kaufverträge mit Verbrauchern betrifft die Änderung des § 477 BGB. Für künftige Kaufverträge wird die Frist für die Beweislastumkehr grundsätzlich von sechs Monaten auf ein Jahr erhöht. Zeigt sich innerhalb eines Jahres seit Gefahrübergang ein Mangel, so wird vermutet, dass die Ware bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war. Ist bei Waren mit digitalen Elementen die dauerhafte Bereitstellung der digitalen Elemente im Kaufvertrag vereinbart, kann die Beweislastumkehr sogar noch länger greifen.
Verbraucherverträge zu digitalen Inhalten und digitalen Dienstleistungen
Eine weitere – vom Kaufrecht unabhängige – Änderung, ist die Einführung der §§ 327 ff. BGB für Verbraucherverträge über die Bereitstellung digitaler Produkte. Unter digitalen Produkten versteht das Gesetz sowohl digitale Inhalte als auch digitale Dienstleistungen. Digitale Inhalte sind Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden. Digitale Dienstleistungen sind zum Beispiel solche, die dem Verbraucher die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten ermöglichen. Für diese Art von Verträgen sehen die neuen §§ 327e ff. BGB ein selbständiges Gewährleistungsrechtsregime mit eigenständigen Regelungen – auch zur Verjährung – vor. Auch in diesem Rahmen trifft den Unternehmer eine Aktualisierungspflicht für die digitalen Produkte. Abweichende Vereinbarungen sind nur im gesetzlich abgesteckten Rahmen zulässig.