Private Equity01.12.2021 Newsletter
Koalitionsvertrag: Wie sollen Start-ups und Venture Capital-Finanzierungen gefördert werden?
Fast zwei Monate wurde sondiert und verhandelt. Am 24. November 2021 haben die Parteispitzen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ vorgestellt. Ein „Innovationsjahrzehnt“ soll eingeläutet werden. Eine moderne Förderpolitik soll Deutschland zu Europas Gründungsnation Nr. 1 machen. Was können wir von der „umfassenden Start-up-Strategie“ der neuen Bundesregierung erwarten?
Gründungsförderung
“One-Stop Shop”: Start-up-Gründung in 24h und Digitalisierung des Gesellschaftsrechts
Wichtige Neuerungen sind zunächst für den Gründungsprozess geplant. So hat es zum einen die Idee eines “One-Stop Shops” in den Koalitionsvertrag geschafft. Geplant sind „flächendeckende Anlaufstellen“ für die Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung. Das Ziel: Unternehmensgründungen sollen innerhalb von 24 Stunden möglich sein. Bislang betrug die Gründungsdauer durchschnittlich mehrere Wochen. Details zur Umsetzung enthält der Koalitionsvertrag nicht. Hinter dem Schlagwort steckt aber offenbar die von der FDP propagierte Idee, ein Online-Portal zu schaffen, in dem Notar- und Behördengänge gebündelt und digitalisiert werden. Damit sollen die zeit- und ressourcenaufwendigen bürokratischen Hürden gerade in der Startphase einer Unternehmung verringert werden.
Unternehmensgründungen sollen zusätzlich durch ein „digitalisiertes“ Gesellschaftsrecht erleichtert werden. Künftig sollen notarielle Beurkundungen per Videokommunikation auch bei Gründungen mit Sacheinlagen möglich sein. Die Möglichkeit der „Online-Gründung“ einer GmbH oder UG (haftungsbeschränkt) hat der Gesetzgeber zwar schon per Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) mit Wirkung zum 01.08.2022 eingeführt, allerdings ausschließlich für Bargründungen. Darüber hinaus soll die „Online-Beurkundung“ auch für weitere Gesellschafterbeschlüsse geöffnet werden. Nach derzeitiger Rechtslage ist diese nur für Beschlüsse zugelassen, die im Rahmen der Gründung gefasst werden, wie etwa die Bestellung der ersten Geschäftsführer. Des Weiteren soll die Möglichkeit, virtuelle Hauptversammlungen durchzuführen, dauerhaft auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage eröffnet werden. Ob davon alle gegenwärtig noch von der COVID-Gesetzgebung (§ 1 COVMG) erfassten Gesellschaftsformen erfasst sein sollen, lässt der Koalitionsvertrag indes offen.
Wissenschaftliche Forschung wirtschaftlich nutzbar machen
Der häufigen Kritik, das wirtschaftliche Potential der deutschen Hochschulforschung werde nicht konsequent gehoben, will die neue Bundesregierung auf zwei Wegen begegnen. Zum einen sollen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen Ausgründungen gefördert werden. Zum anderen ist geplant, die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft durch regionale und überregionale „Innovationsökosysteme“ zu stärken. Dazu soll eigens eine neue Bundesagentur – die „Deutsche Agentur für Transfer und Innovation“ (DATI) – gegründet werden. Sie soll den Wissenstransfer zwischen Hochschulen, öffentlichen Organisationen, Start-ups und KMU vorantreiben.
Besonders im Fokus: „Zukunftstechnologien“, soziale Innovationen und Frauen
Die staatliche Förderung neuer Geschäftsmodelle soll insbesondere auf Zukunftstechnologien ausgerichtet werden. Dies gibt der Koalitionsvertrag an verschiedenen Stellen zu erkennen. So sollen Künstliche Intelligenz (KI) und Quantentechnologien nicht nur im Fokus der Wissenschafts- und Forschungspolitik, sondern auch der Gründungsförderung stehen. Digitale Start-ups will die Ampel-Koalition allgemein auch in der Spätphasenfinanzierung fördern und insoweit den Venture Capital Standort Deutschland stärken. Darüber hinaus streben die Parteien einen besseren Zugang zu Daten an, insbesondere um Start-ups und KMU, neue innovative Geschäftsmodelle und soziale Innovationen in der Digitalisierung zu ermöglichen. Als weitere Zukunftstechnologiebranchen, in denen Gründungen finanziell besonders gefördert werden sollen, nennt der Koalitionsvertrag Wasserstoff, Medizin, nachhaltige Mobilität, Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft.
Seit geraumer Zeit wird über die Notwendigkeit und Nutzen neuer Gesellschaftsformen für Sozialunternehmen debattiert. Die Koalitionspartner haben sich dies ausdrücklich zum Ziel gemacht. Die zunehmende Zahl gemeinwohlorientierter Unternehmen („Social Start-ups“) und soziale Innovationen sollen stärker unterstützt werden – nicht nur finanziell, sondern auch durch Schaffung neuer Rechtsformen (Stichwort: GmbH mit gebundenem Vermögen bzw. Verantwortungseigentum).
Die Parteien wollen Gründerinnen beim Zugang zu Wagniskapital und die Beteiligung von Frauen in Investment-Komitees staatlicher Fonds und Beteiligungsgesellschaften besonders fördern. Für die Digitalwirtschaft soll ein Gründerinnen-Stipendium geschaffen werden, das aus dem Zehn-Milliarden-Euro-„Zukunftsfonds“ des Bundes finanziert wird. Mit diesen Maßnahmen will die Ampel-Koalition der Tatsache entgegenwirken, dass Frauen statistisch nicht nur deutlich seltener Start-ups gründen als Männer, sondern auch weniger Wagniskapital bekommen. So erhielten laut einer Studie des „Female Founders Monitor“ aus dem Jahr 2020 nur gut fünf Prozent der Gründerinnen mehr als eine Million Euro an Wagniskapital. Unter den männlichen Gründern waren es dagegen mehr als ein Viertel.
Förderung der Wagniskapitalfinanzierung
Fortsetzung des „Zukunftsfonds“ und Ausbau der KfW zur Innovations- und Investitionsagentur
Der erst Anfang des Jahres ins Leben gerufene und von der staatlichen Förderbank KfW verwaltete Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien hat sich aus Sicht der Ampel-Koalition bewährt. Der „Zukunftsfonds“ öffnet den Wagniskapitalmarkt auch für institutionelle Investoren. Mit diesem staatlichen Förderinstrument soll das von Versicherern und Pensionskassen gehaltene private Kapital für die Start-up-Finanzierung mobilisiert werden. In Zukunft könnten sich diese institutionellen Anleger in Deutschland daher wie in anderen Ländern zu wichtigen Start-up Investoren entwickeln. Zugleich soll die KfW stärker als Innovations- und Investitionsagentur sowie als Co-Wagniskapitalgeber wirken.
Erleichterter Börsengang (Exit) und Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien
Für Investoren von zentraler Bedeutung sind die Möglichkeiten eines Exits, d. h. eines Ausstiegs (i. d. R. durch Veräußerung der Beteiligung), um eine gute Rendite zu realisieren. Zunehmende Bedeutung kommt dabei Börsengängen zu („Going Public/IPO“). Gerade für junge Unternehmen gibt es aber neben dem hohen Rendite-Erwartungsdruck der Anleger am regulierten Kapitalmarkt noch weitere Nachteile dieses Exitkanals: die hohen Kosten eines Going Public/IPO und die laufenden Publikationspflichten. Die Ampel-Koalition hat sich vorgenommen, „Börsengänge und Kapitalerhöhungen sowie Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten (Dual Class Shares) in Deutschland gerade auch für Wachstumsunternehmen und KMUs [zu] erleichtern [sic]“. Wie genau, lässt der Koalitionsvertrag offen.
Aufhorchen lässt die Ankündigung, die Ausgabe von Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten zu erleichtern. Stimmrechtslose Vorzugsaktien werden üblicherweise wegen der fehlenden Mitwirkungsrechte von Investoren nicht akzeptiert. Diese dürften die Koalitionäre aber ohnehin nicht gemeint haben, da an der zitierten Stelle des Koalitionsvertrags gerade von Aktien mit (unterschiedlichen) Stimmrechten die Rede ist. Stattdessen legt die Textpassage die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien nahe (vgl. § 12 II AktG). Mit einer derartigen, in Ländern wie den USA weit verbreiteten Dual-Class-Share-Struktur können Gründer ihr Unternehmen an die Börse bringen, um Kapital zu erhalten, ohne die Kontrolle über ihr Unternehmen zu verlieren.
Steuererleichterungen für Mitarbeiterbeteiligungen
Die Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmen ist ein wichtiges Element der Fachkräftesicherung und Incentivierung, aber auch der Finanzierung von Start-ups. Mitarbeiterbeteiligungen sind unter Start-ups weit verbreitet, insbesondere in Form von sog. virtuellen Beteiligungen (VSOPs). Um die Finanzierung über „echte“ Mitarbeiterbeteiligungen zu fördern, hatte sich Olaf Scholz (SPD), damals noch Bundesfinanzminister, erst Anfang des Jahres zu Steuererleichterungen durchgerungen, insbesondere durch eine vorläufige Nichtbesteuerung und die Anhebung des jährlichen Steuerfreibetrags von EUR 360 auf EUR 1.440. Diese Reform ging vielen nicht weit genug und stieß daher auf erhebliche Kritik. Gleichwohl lässt der Koalitionsvertrag in diesem Punkt keine große Reform erwarten. Die Ampel-Parteien verharren vielmehr auf dem bereits im Sondierungspapier formulierten Ziel, die Mitarbeiterkapitalbeteiligung „attraktiver [zu] machen, u. a. durch eine weitere Anhebung des Steuerfreibetrags“. Wie hoch dieser ausfallen wird, bleibt offen.
Zusätzlich: Vereinfachter Zugang zu öffentlichen Aufträgen
Die neue Bundesregierung will nicht nur die Wagniskapitalfinanzierung ausbauen, sondern Start-ups und junge Unternehmen auch auf anderem Wege wirtschaftlich unterstützen – über die Funktion des Staates als Auftraggeber. Dazu sieht der Koalitionsvertrag einen vereinfachten und rechtssicheren Zugang zu öffentlichen Aufträgen vor. Öffentliche Ausschreibungen und Beschaffungsprozesse etwa für Gov- und EduTech-Start-ups sollen einfacher gestaltet werden. Einen öffentlichen Träger als Kunden zu gewinnen, ist nicht zuletzt wegen der damit einhergehenden Reputation für Start-ups äußerst attraktiv.
Ausblick
Der Ampel-Koalitionsvertrag verspricht u. a. eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Gründungen, eine stärkere Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft, besondere Unterstützung technologischer und sozialer Innovationen sowie einen leichteren Zugang zu Wagniskapital. Die Vorhaben bergen insgesamt das Potential, den Gründungs-, Investitions- und Innovationsstandort Deutschland nachhaltig zu stärken. Ob damit die hochgesteckten Ziele der Ampel-Koalition, ein „Innovationsjahrzehnt“ anzustoßen und die Bundesrepublik zu Europas Gründernation Nr. 1 zu machen, erreicht werden können, bleibt abzuwarten. Vieles wird davon abhängen, wie die Koalitionäre, allen voran der künftige Wirtschafs- und Klimaminister und Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und der künftige Finanzminister Christian Lindner (FDP), die noch recht vage formulierten Pläne konkret umsetzen werden.
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