Arbeitsrecht30.06.2021 Newsletter

Fokus Arbeitsrecht – 2. Quartal 2021

Das Pandemiegeschehen verliert aktuell im gesellschaftlichen und betrieblichen Alltag durch ein fortschreitendes Impfprogramm und jahreszeitliche Besonderheiten etwas an Dynamik. Mit der durchaus üblichen Verzögerung sind nun allerdings verstärkt individual- und kollektivrechtliche Fragen Gegenstand arbeitsgerichtlicher Entscheidungen. Das Phänomen Pandemie hat in den vergangenen 15 Monaten nicht nur den Gesetzgeber erheblich gefordert, sondern auch die Arbeitsgerichte. In diesem „Fokus Arbeitsrecht“ informieren wir Sie über die bereits vorliegenden Urteile und wichtige Rechtsentwicklungen.

In naher Zukunft sind auch erste höchstrichterliche Entscheidungen etwa des BAG zu erwarten, denn viele Fragen sind von grundsätzlicher Bedeutung für die Entwicklung des Arbeitsrechts. Auch hierüber werden wir Sie selbstverständlich informieren.

1. Neue Rechtsprechung

1.1  Kein Entschädigungsanspruch des Arbeitgebers bei Quarantäneanordnung seines Arbeitnehmers

1.2 Kein Beschäftigungsanspruch bei ärztlich attestierter Unfähigkeit, eine Maske zu tragen

1.3 Widerrechtliche Drohung mit außerordentlicher Kündigung

1.4 Ersatz von Anwaltskosten bei Compliance-Verstößen nur bei nachgewiesener Erforderlichkeit

1.5 (Keine) Erteilung einer Datenkopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO

1.6 Der ohne ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss handelnde Betriebsratsvorsitzende – Zurechnung nach den Grundsätzen der Rechtsscheinvollmacht?

1.7 Technische Ausstattung des Betriebsrates zur Durchführung von Videokonferenzen

2. Rechtsentwicklungen

2.1 Betriebsrätemodernisierungsgesetz – Überregulierung und Kostensteigerungen inbegriffen

2.2 Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen bis Ende September verlängert

2.3 Teilhabestärkungsgesetz – Wichtige Änderung beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement

 

1. Neue Rechtsprechung

1.1 Kein Entschädigungsanspruch des Arbeitgebers bei Quarantäneanordnung seines Arbeitnehmers

Der Anspruch des Arbeitgebers auf Entschädigungszahlung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist immer dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer während einer mehrtägigen häuslichen Absonderung einen Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 616 Satz 1 BGB gegen ihn hat.

Die Klägerin betreibt eine Bäckereikette in Rheinland-Pfalz. Im März 2020 befand sich eine ansteckungsverdächtige Mitarbeiterin aufgrund einer infektionsschutzrechtlichen Anordnung in 14-tägiger häuslicher Absonderung. Während dieser Zeit erstattete die Klägerin der betroffenen Mitarbeiterin ihren vollen Verdienstausfall. Gemäß § 56 IfSG beantragte die Klägerin sodann bei dem beklagten Land Rheinland-Pfalz die vollständige Erstattung der Entschädigungszahlungen sowie der Sozialversicherungsbeiträge. Das Land wiederum gewährte lediglich für die Zeit ab dem sechsten Tag der Absonderung eine Erstattung und verwies im Übrigen auf den bestehenden Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 616 Satz 1 BGB. Nach einem erfolglosem Widerspruchsverfahren begehrte die Klägerin mit ihrer Klage die vollständige Erstattung nach dem IfSG.

Mit Urteil vom 10.05.2021 (Az. 3 K 107/21.KO) wies das VG Koblenz die Klage jedoch ab. Nach Auffassung des Gerichts scheide ein Erstattungsanspruch gemäß § 56 Abs.1 und 5, § 57 Abs.1 Satz 3 IfSG aus, da im vorliegenden Fall kein Verdienstausfall vorliege. Die Arbeitnehmerin habe trotz ihrer persönlichen Verhinderung weiterhin ein Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 616 Satz 1 BGB gegen die Klägerin. Gemäß § 616 Satz 1 BGB bestehe ein Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert werde. Bei der behördlichen Absonderungsanordnung handele es sich um ein subjektives Leistungshindernis, da der Grund für das Arbeitshindernis in der Person der abgesonderten Arbeitnehmerin liege. Auch die hier eingetretene Dauer der Arbeitsverhinderung sei in Anbetracht der langen Beschäftigungsdauer noch verhältnismäßig.Die Kammer erachtet jedenfalls bei einer Beschäftigungsdauer von mindestens einem Jahr eine höchstens 14-tägige Absonderung als eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ i.S.v. § 616 Satz 1 BGB. Im Übrigen sei das Risiko der Lohnfortzahlung für die Klägerin grundsätzlich kalkulierbar gewesen und ihr daher auch zumutbar.

Abzuwarten bleibt, ob sich auch das OVG Rheinland-Pfalz dieser Auffassung anschließen wird. Das VG Koblenz hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zumindest zugelassen. Bis dahin dürfen Arbeitgeber nur dann auf eine (vollständige) Erstattung von Entschädigungszahlungen nach dem IfSG hoffen, wenn sie § 616 Satz 1 BGB im Arbeitsvertrag abgedungen haben oder das Beschäftigungsverhältnis erst seit sehr kurzer Zeit besteht.

Anja Dombrowsky

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1.2 Kein Beschäftigungsanspruch bei ärztlich attestierter Unfähigkeit, eine Maske zu tragen

Arbeitgeber dürfen gestützt auf das arbeitgeberseitige Direktionsrecht die Beschäftigung von Arbeitnehmern im Betrieb verweigern, wenn diese sich unter Vorlage eines ärztlichen Attests weigern, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Im Rahmen einer Angemessenheitsprüfung überwiege das Arbeitgeberinteresse am Gesundheitsschutz von Beschäftigten und Besuchern gegenüber dem Beschäftigungsinteresse einzelner Arbeitnehmer.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Verwaltungsmitarbeiter im Rathaus beschäftigt. Im Zuge der Covid-19 Pandemie ordnete die Beklagte das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Rathaus an. Unter Vorlage eines ärztlichen Attests, welches vom Werksarzt der Beklagten bestätigt wurde, begehrte der Kläger die Befreiung vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung. Eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit konnte für den Kläger nicht gefunden werden, sodass er seit Oktober 2020 nahezu durchgehend arbeitsunfähig war. Im Wege der einstweiligen Verfügung begehrte der Kläger seine Beschäftigung im Rathaus ohne Maskenpflicht, alternativ verlangte der Kläger im Homeoffice beschäftigt zu werden.

Mit Urteil vom 12.04.2021 (Az. 2 SaGa 1/21) wies das LAG Köln die Anträge des Klägers zurück. Unabhängig von einer bestehenden Maskenpflicht aufgrund einschlägiger Corona-Schutzverordnungen, sei die Anordnung zur Maskenpflicht auch vom Direktionsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO gedeckt und vorliegend auch angemessen. Neben dem Infektionsschutz anderer Mitarbeiter und Besucher des Rathauses, müsse der Arbeitgeber auch den Gesundheitsschutz des Klägers selbst beachten. Sei es dem Kläger unmöglich, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, so sei er arbeitsunfähig und deshalb nicht zu beschäftigten. Das LAG verneinte zudem einen Anspruch des Klägers auf Tätigkeit im Homeoffice. Mangels vollständiger Digitalisierung müssten zumindest Teile seiner Arbeit weiterhin im Rathaus erledigt werden. Daher würde selbst bei partieller Tätigkeit im Homeoffice die Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht vollständig beseitigt. Da das Entgeltfortzahlungsgesetz keine Teilarbeitsunfähigkeit kenne, sei der Arbeitgeber nicht zur Einrichtung eines mobilen Arbeitsplatzes verpflichtet.

Die Entscheidung bestätigt zum einen, dass Beschäftigten bei Vorlage eines ausreichend begründeten ärztlichen Masken-Befreiungsattests Entgeltfortzahlungsansprüche wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zustehen können. Zugleich liefert das LAG interessante Anhaltspunkte, wann zwingende betriebliche Gründe im Sinne des § 28 b Abs. 7 S. 1 IfSG der Bereitstellung einer Homeoffice-Tätigkeit entgegenstehen können.

Jennifer Bold

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1.3 Widerrechtliche Drohung mit außerordentlicher Kündigung

Droht der Arbeitgeber mit einer außerordentlichen Kündigung für den Fall, dass ein Aufhebungsvertrag nicht zustande kommt, handelt es sich um eine widerrechtliche Drohung, wenn der Arbeitgeber wegen Fristablaufs nach § 626 Abs. 2 BGB gar keine Kündigung mehr wirksam hätte erklären können.

In dem vom LAG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall bestand der auf konkrete Tatsachen gestützte Verdacht, der (tariflich ordentlich unkündbare) Kläger habe in mindestens zwei Fällen in den Betriebsräumen der Beklagten Ecstasy-Tabletten verkauft. Die Beklagte stützte ihren Verdacht insbesondere auf die Auswertung der betrieblich vereinbarten Videoüberwachung und eine Anhörung am 06.03.2020, in der zumindest ein Arbeitskollege bestätigte, von dem Kläger Ecstasy gekauft zu haben. In einem Personalgespräch am 23.03.2020 wurde dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt, entweder den vorgelegten Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen oder anderenfalls eine außerordentliche Kündigung zu erhalten. Letztendlich entschied er sich für die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags, focht diesen jedoch kurze Zeit später wegen widerrechtlicher Drohung an.

Mit Urteil vom 31.03.2021 (23 Sa 1381/20) bestätigte das LAG Berlin-Brandenburg die Entscheidung der Vorinstanz. Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung sei widerrechtlich erfolgt. Zwar könne das Verhalten des Klägers durchaus einen außerordentlichen Kündigungsgrund i. S. v. § 626 Abs.1 BGB darstellen. Allerdings sei die Androhung mit einer außerordentlichen Kündigung widerrechtlich, da die Beklagte am 23.3.2020 aufgrund des Ablaufs der 2-Wochen-Frist gem. § 623 Abs. 2 BGB nicht mehr damit rechnen konnte, dass eine erst zu diesem Zeitpunkt ausgesprochene außerordentliche Kündigung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung standhalten werde. Die Kammer wies auch den Einwand der Beklagten zurück, die Kündigungsfrist sei aufgrund der pandemiebedingten Umstände gehemmt gewesen. Hierin liege weder höhere Gewalt, noch seien diese Erschwernisse dem Kläger zuzurechnen. Daher hätten weder der Aufhebungsvertrag noch die spätere außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst.

Das Urteil liegt auf Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG und ist damit keine große Überraschung. Nur wenn tatsächlich die Grundvoraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung vorliegen, darf der Arbeitgeber auch damit drohen. Selbst während der Corona-bedingten Einschränkungen muss der Arbeitgeber Ausschlussfristen sorgfältig prüfen und einhalten. Anderenfalls droht die Unwirksamkeit entsprechend „erzwungener“ Verträge.

Dr. Alexander Willemsen

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1.4 Ersatz von Anwaltskosten bei Compliance-Verstößen nur bei nachgewiesener Erforderlichkeit

Hat der Arbeitgeber einen konkreten Verdacht einer erheblichen Pflichtverletzung des Arbeitnehmers und beauftragt er daraufhin einen externen Dritten mit Compliance-Ermittlungen, die den Arbeitnehmer der Tat überführen, so kann er die Ermittlungskosten vom Arbeitnehmer ersetzt verlangen. Die Ersatzpflicht ist jedoch auf die „erforderlichen“ Kosten begrenzt, für die der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast trägt (BAG 29.04.2021, Az. 8 AZR 276/20).

Die Arbeitsvertragsparteien stritten um einen Schadensersatzanspruch wegen des Ersatzes von Ermittlungskosten im Zusammenhang mit Vorwürfen des Spesen- und Abrechnungsbetrugs. Nachdem der Arbeitgeber mehrere anonyme Verdachtsmeldungen wegen angeblicher Compliance-Verstöße erhalten hatte, beauftragte er eine spezialisierte Anwaltskanzlei mit einer Untersuchung. Die Kanzlei legte einen Untersuchungsbericht vor, laut dem der Kläger u. a. auf Kosten der Beklagten Personen ohne dienstliche Veranlassung zum Essen eingeladen sowie rechtswidrig Reisekosten abgerechnet hatte. Die darauf gestützte fristlose Kündigung war erfolgreich. Die auf den Ersatz von Ermittlungskosten gerichtete Widerklage der Arbeitgeberin wurde dagegen zurückgewiesen.

Die Grenze der Ersatzpflicht richtet sich laut BAG nach dem, was ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach den Umständen des Falles zur Beseitigung der Störung oder zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern als erforderlich getan haben würde. Dem steht § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG nicht entgegen, solange sich die anwaltliche Tätigkeit ausschließlich auf eine ergebnisoffene unternehmensinterne Ermittlung bezieht. Die Beklagte konnte jedoch nicht substantiiert darlegen, welche konkreten Ermittlungen wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen den Kläger ausgeführt wurden.

Auch wenn bei Compliance-Ermittlungen in der Praxis die vollumfängliche Aufklärung des Sachverhalts im Fokus steht, sollte darauf geachtet werden, dass eine hinreichende Dokumentation der erbrachten Ermittlungstätigkeit aufgrund der hohen Anforderungen des Gerichts angefertigt wird. Ferner muss der Ermittlungsauftrag ergebnisoffen gestellt werden und darf sich nicht auf das Erbringen belastender Beweise zur Begründung einer Kündigung begrenzen.

Isabel Hexel 

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1.5 (Keine) Erteilung einer Datenkopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO

Ein Antrag auf Überlassung einer Datenkopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO muss hinreichend bestimmt sein. Das ist nicht der Fall, wenn E-Mails, von denen eine Kopie gefordert wird, nicht genau genug bezeichnet sind, dass Zweifel im Vollstreckungsverfahren ausbleiben (BAG 27.04.2021, Az. 2 AZR 342/20). 

Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger gekündigt hatte, verlangte dieser Auskunft über seine von der Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten. Ferner begehrte der Kläger nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO klageweise die zusätzliche Erteilung von Kopien seines gesamten, während des Beschäftigungsverhältnisses geführten E-Mail-Verkehrs mit der Beklagten sowie aller weiteren E-Mails, in denen er in diesem Zeitraum persönlich erwähnt werde.

Im Unterschied zum Arbeitsgericht erachtete das LAG den Antrag des Klägers als hinreichend bestimmt, da durch Auslegung zu ermitteln sei, worauf sich das Klagebegehren beziehe. Nach Ansicht des LAG beziehe sich allerdings der Schutzzweck eines Antrags nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO nicht auf die Korrespondenzen, die dem Kläger bereits bekannt seien, weil er sie selbst geführt oder erhalten hätte.

Das BAG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Dabei ließen die Erfurter Richter offen, ob das Recht auf Überlassung einer Datenkopie gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO auch die Erteilung einer Kopie von E-Mails umfassen kann. Jedenfalls müsse ein – unterstellter – Anspruch mit einem nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmten Klageantrag oder, sofern dies nicht möglich ist, im Rahmen der (hier nicht erfolgten) Stufenklage nach § 254 ZPO geltend gemacht werden. 

Auch wenn das BAG den Fall – nur – verfahrensrechtlich gelöst hat, können Arbeitgeber zumindest aufatmen. Denn nicht selten verwenden Arbeitnehmer den Anspruch auf Erteilung einer Datenkopie im Rahmen von Abfindungsverhandlungen und im Wissen um den hohen organisatorischen Aufwand des Arbeitgebers, um zusätzlichen (Verhandlungs-) Druck auf diesen auszuüben. Der ohnehin enorme Aufwand wäre nochmals um ein Vielfaches gestiegen, hätte das BAG der Arbeitgeberseite die Erfüllung eines unbestimmten Erteilungsverlangen auferlegt. Im Ergebnis hat das BAG mit seinem Urteil datenschutzrechtliche Prinzipien gestärkt und einem etwaigen Missbrauch des Betroffenenrechts vorgebeugt.     

Johannes Kaesbach

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1.6 Der ohne ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss handelnde Betriebsratsvorsitzende – Zurechnung nach den Grundsätzen der Rechtsscheinvollmacht?

Das LAG Düsseldorf hat mit Urteil vom 15.04.2021, Az. 11 Sa 490/20 die Ansicht vertreten, dass eine Betriebsvereinbarung mit normativer Wirkung auch ohne ordnungsgemäße Beschlussfassung seitens des Betriebsrats mittels Rechtsscheinvollmacht rechtswirksam entstehen kann.

Die Parteien stritten darüber, ob der bei der Beklagten als Industriemechaniker tätige Kläger zukünftig nach dem neu eingeführten Lohngruppensystem zu vergüten sei. Die Umstellung des Entlohnungssystems hätte eine monatlich niedrigere Vergütung in Höhe von EUR 200 für den Kläger zur Folge. Die Beklagte nahm die Entgelteinstufung ihrer Arbeitnehmer ursprünglich auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung anhand einer analytischen Arbeitsbewertung vor. Im Zuge einer Restrukturierungsmaßnahme entschloss die Beklagte sich im Jahre 2017, ein neues Entlohnungssystem einzuführen. Dazu führte die Beklagte mit dem Betriebsratsvorsitzenden und einem weiteren Betriebsratsmitglied Besprechungen und E-Mail Korrespondenz. Der Betriebsratsvorsitzende unterzeichnete die diesbezügliche Betriebsvereinbarung. Der Betriebsrat fasste allerdings keinen Betriebsratsbeschluss dazu, was die Beklagte nicht wusste.

Nach Ansicht des LAG Düsseldorf sei dem Betriebsrat ein Handeln seines Vorsitzenden jedenfalls dann zuzurechnen, wenn  – wie hier – das Auftreten des Vorsitzenden nach außen der Mehrheit der Betriebsratsmitglieder bekannt war oder hätte bekannt sein müssen und der Arbeitgeber auf den gesetzten Rechtsschein vertrauen durfte. Die Anwendbarkeit der Rechtsscheinhaftung folge aus der rechtsgeschäftlichen Natur von Betriebsvereinbarungen. Die normative Wirkung nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG stehe einer solchen Zurechnung nicht entgegen, sondern erfordere sie gerade, um den Regelungsgegenstand der normativen Wirkung rechtssicher zu bestimmen.

Die Entscheidung ist für Arbeitgeber insoweit beachtenswert, als dass sie das Risiko eines ohne Beschluss handelnden Betriebsratsvorsitzenden in der Sphäre des Betriebsrats verortet. Gleichwohl sollten Arbeitgeber sich nicht vorschnell auf die normative Wirkung solcher Betriebsvereinbarungen verlassen. So vertritt die 10. Kammer des LAG Düsseldorf (Az. 10 TaBV 64/17) die Ansicht, ein fehlender Beschluss führe zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung. Infolge der eingelegten Revision dürfte die Thematik durch das BAG in Kürze höchstrichterlich geklärt werden.

Moritz Coché

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1.7 Technische Ausstattung des Betriebsrates zur Durchführung von Videokonferenzen

Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat die erforderliche Informations- und Kommunikationstechnik gem. §§ 129 Abs. 1, 40 Abs. 2 BetrVG zur Verfügung zu stellen, um dem Betriebsrat die Durchführung von Videokonferenzen zu ermöglichen.

Mit Beschluss vom 14.04.2021, Az. 15 TaBVGa 401/21 hat das LAG Berlin-Brandenburg dem im einstweiligen Rechtsschutz geltend gemachten Begehren eines Betriebsrates stattgegeben. Der Betriebsrat forderte, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat zur Durchführung von virtuellen Betriebsratssitzungen und für die laufende Geschäftsführung im Rahmen der Pandemiesituation gem. §§ 129 Abs. 1, 40 Abs. 2 BetrVG die erforderliche Informations- und Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen habe. Konkret bedeutete dies bei dem elfköpfigen Gremium, dass der Betriebsrat einen Anspruch auf zwei Lizenzen zur Durchführung von Videokonferenzen, zwei Headsets, zwei Webcams und elf Smartphones habe. Da es in diesem konkreten Fall häufiger zu Verhinderungssituation bei den regulären Betriebsratsmitgliedern kam, seien auch den Ersatzmitgliedern entsprechende Kommunikationseinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Einen Anspruch auf einen Kostenvorschuss, durch den sich der Betriebsrat die notwendige Soft- und Hardware selber beschaffen könne, habe der Betriebsrat gem. § 40 Abs. 2 BetrVG jedoch nicht.

Im Gegensatz zur Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts sah das LAG Berlin-Brandenburg auch eine Eilbedürftigkeit für die Zurverfügungstellung der begehrten Technik gegeben. Andernfalls müsse der Betriebsrat auf die Durchführung von Videokonferenzen verzichten. Zudem würde damit Tag für Tag das ihm zustehende Recht aus § 129 Abs. 1 BetrVG nicht realisiert.

Durch das kürzlich beschlossene Betriebsrätemodernisierungsgesetz, wonach Betriebsräte unter Wahrung des Vorrangs von Präsenzsitzungen, auch künftig virtuelle Betriebsratssitzungen durchführen können, werden diese auch nach der Pandemie zum Alltag gehören. Damit wird sich erwartungsgemäß künftig vermehrt die Frage stellen, in welchem Umfang der Betriebsrat die technische Ausstattung hierfür vom Arbeitgeber verlangen kann. Zentrale Frage wird dabei stets die Erforderlichkeit der begehrten Mittel sein, wobei eine „Normalausstattung“ des Betriebsrates nicht besteht.

Alexandra Groth

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2. Rechtsentwicklungen

2.1 Betriebsrätemodernisierungsgesetz – Überregulierung und Kostensteigerungen inbegriffen

Am 18.06.2021 ist das Betriebsrätemodernisierungsgesetz (Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit) in Kraft getreten. Damit wird das Betriebsverfassungsgesetz an einigen entscheidenden Stellen maßgeblich geändert.

Ein wesentliches Ziel des Gesetzes ist es, die Gründung von Betriebsräten zu fördern. Dabei hat der Gesetzgeber neben umfänglichen Änderungen im Kündigungsschutz auch weitgehende Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes vorgenommen, die u. a. die Anwendbarkeit des vereinfachten Wahlverfahrens auf Betriebe von bis zu 100 Beschäftigen erweitert und die Anfechtbarkeit von Betriebsratswahlen einschränkt.

Zudem wird die digitale Betriebsratsarbeit ausgeweitet. Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz bleiben umsetzbar und Betriebsvereinbarungen können digital signiert werden. Daneben werden erstmals Mitbestimmungsrechte beim Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und der Ausgestaltung mobiler Arbeit festgeschrieben. Der Gesetzgeber stellt darüber hinaus klar, dass der Betriebsrat im Sinne des Datenschutzes nicht als verantwortliche Stelle zu sehen ist.

Der Gesetzgeber hat zugleich den Unfallversicherungsschutz im Homeoffice gesetzlich verankert. Das Homeoffice unterliegt nun zweifelsfrei dem Unfallversicherungsschutz. Dieser wird dabei auch auf Wege ausgedehnt, die die Beschäftigten zur Betreuung ihrer Kinder außer Haus zurücklegen.

Eine detaillierte Zusammenfassung der Änderung finden Sie hier. 

Mit Blick auf die bevorstehenden Betriebsratswahlen im Frühjahr 2022 sollten sich Unternehmen in jedem Fall mit den maßgeblichen Neuregelungen befassen. Des Weiteren ist zu erwarten, dass die Erweiterung von Beteiligungsrechten bei der Nutzung künstlicher Intelligenz sowie die Mitbestimmung bei mobiler Arbeit zu Mehrkosten führen werden.

Die von der Praxis erhofften Regelungen, wie zum Beispiel die Fortschreibung des § 129 Abs. 2 BetrVG (Möglichkeit von Einigungsstellensitzungen via Video- und Telefonkonferenz) oder Klarstellungen zur technischen Verhaltens- und Leistungskontrolle fehlen gänzlich.

Jörn Kuhn

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2.2 Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen bis Ende September verlängert

Trotz fallender Inzidenzzahlen und fortschreitender Impfungen sind zahlreiche Unternehmen weiterhin durch pandemiebedingte Einschränkungsmaßnahmen finanziell stark belastet. Das Bundeskabinett hat daher am 09.06.2021 u. a. die Verlängerung des erleichterten Zugangs zum Kurzarbeitergeld und die volle Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge bis zum 30.09.2021 beschlossen.

Durch die Änderungsverordnung wird der Zugang zu den befristet bis zum 31.12.2021 geltenden Zugangserleichterungen zum Kurzarbeitergeld auch für diejenigen Betriebe ermöglicht, die bis zum 30.09.2021 Kurzarbeit einführen (Absenkung der Mindesterfordernisse, Verzicht auf den Aufbau negativer Arbeitssalden, Kurzarbeitergeld auch für Leiharbeitnehmer).

Darüber hinaus werden bis zum 30.09.2021 weiterhin 100% der auf das Kurzarbeitergeld entfallenden Sozialversicherungsbeiträge erstattet. Danach werden befristet bis zum 31.12.2021 50 % der Sozialversicherungsbeiträge für Betriebe erstattet, die bis zum 30.09.2021 Kurzarbeit eingeführt haben. Wird die Kurzarbeit mit oder nach dem 01.10.2021 eingeführt, werden keine Sozialversicherungsbeiträge mehr erstattet.

Ferner wird in Insolvenzfällen die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen nach Stellung eines Insolvenzeröffnungsantrags bis zur Rücknahme des Antrags oder Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag grundsätzlich ausgeschlossen. Dies gilt nicht, wenn eine insolvenzrechtliche Anfechtung der gezahlten Beiträge rechtlich ausgeschlossen ist. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass die Bundesagentur für Arbeit im Einzelfall mit einer zweifachen Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen belastet wird (Erstattung im 

Rahmen des § 2 Kurzarbeitergeldverordnung und Zahlung im Rahmen der Insolvenzgeldregelungen nach § 175 SGB III).

Darüber hinaus hat das Kabinett die sogenannte Überbrückungshilfe III als zentrales Hilfsinstrument als „Überbrückungshilfe III Plus“ bis Ende September 2021 verlängert. Neu im Programm der „Überbrückungshilfe III Plus“ ist eine sogenannte „Restart-Prämie“. Unternehmen, die Mitarbeiter früher aus der Kurzarbeit holen oder Beschäftigte neu einstellen, erhalten zukünftig wahlweise zur bestehenden Personalkostenpauschale eine Personalkostenhilfe als Zuschuss zu den dadurch steigenden Personalkosten. Der Zuschuss ist gestaffelt und wird nur bis September 2021 gewährt.

Jennifer Bold

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2.3 Teilhabestärkungsgesetz – Wichtige Änderung beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement 

Mit dem sogenannten Teilhabestärkungsgesetz vom 02.06.2021 hat der Gesetzgeber eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um Teilhabechancen für Menschen mit Behinderungen in deren Alltag und Arbeitsleben zu verbessern. Auch wenn es der Titel des Gesetzes zunächst nicht vermuten lässt, führt es doch zu einem kurzfristigen Handlungsbedarf auf Arbeitgeberseite. 

Im Zuge des Teilhabestärkungsgesetzes wurde nämlich bereits mit Wirkung zum 10.06.2021 auch § 167 Abs. 2 SGB IX in ganz entscheidender Weise geändert.  § 167 Abs. 2 SGB IX regelt bekanntlich das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM), zu dessen Durchführung der Arbeitgeber stets verpflichtet ist, wenn Arbeitnehmer – gleich ob schwerbehindert oder nicht - innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig sind.

Seit dem 10.06.2021 beinhaltet § 167 Abs. 2 SGB IX als neuen Satz 2: „Beschäftigte können zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen“.

Von einzelnen Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur wird dazu bereits vertreten, dass damit auch ein Rechtsbeistand gemeint ist, mithin der Arbeitnehmer nunmehr auf die Anwesenheit eines Rechtsanwalts etwa beim BEM-Gespräch bestehen kann. Ein solches Recht war in der bisherigen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und der überwiegenden Meinung im Schrifttum stets abgelehnt worden – zuletzt etwa durch das LAG Köln (Urteil vom 23.01.2020, Az. 7 Sa 471/19) mit dem Hinweis, dass die Teilnahme eines Rechtsvertreters an den Gesprächen über ein BEM nach deren Sinn und Zweck „wenig hilfreich und eher kontraproduktiv“ erscheint.

Dementsprechend schließen viele betriebliche Regelungen zum BEM ein entsprechendes Recht des Arbeitnehmers explizit aus oder beschränken die Teilnahme externer Vertrauenspersonen auf solche aus dem familiären Umfeld. Dies wird sich nach der Gesetzesänderung nicht mehr aufrechthalten lassen. Die einschlägigen Betriebsvereinbarungen, BEM-Leitfäden oder sonstigen betrieblichen Regelungswerke zum BEM, müssen daher kurzfristig ebenso an die neue Gesetzeslage angepasst werden wie die verwendeten Muster eines BEM-Einladungsschreibens. Die durchaus misslichen Konsequenzen für Arbeitgeber, die aus einem nicht ordnungsgemäß versuchten oder durchgeführten BEM folgen können, dürften bekannt sein. Der Gesetzgeber hat den zahlreichen Anforderungen an ein ordnungsgemäßes BEM mit der Ergänzung des § 167 Abs. 2 SGB IX jedenfalls eine weitere hinzugefügt.

Kathrin Vossen

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