FAQs zu Gerichtsverfahren in Zeiten der Corona-Krise

(Stand: 3. April 2020)

Auch für die Justiz bedeuten die aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf die Verbreitung des neuartigen Corona-Virus (SARS-CoV-2) eine große Herausforderung. In Pressemitteilungen verschiedener Justizministerien heißt es zwar, dass der Gerichtsbetrieb aufrechterhalten wird, nichtsdestotrotz kommt es zu erheblichen Einschränkungen und Verzögerungen, weil nur noch eine Notbesetzung in den Gerichten anwesend ist, Zutrittsbeschränkungen für den Publikumsverkehr gelten und die Gerichte angehalten sind, nur solche Verhandlungen durchzuführen, die keinen Aufschub dulden.

Was es für laufende und einzuleitende Verfahren tatsächlich bedeutet, wenn bei den Gerichten nur der zwingend erforderliche Dienstbetrieb stattfindet, erläutern wir folgend anhand von häufig gestellten Fragen:
 

1. Werden laufenden Verfahren aufgrund des Corona-Virus ausgesetzt?

Eine pauschale Aussetzung von laufenden Verfahren aufgrund des Corona-Virus findet momentan nicht statt. Die Zivilprozessordnung sieht zwar vor, dass bei einem Stillstand der Rechtspflege aufgrund eines Krieges oder eines anderen Ereignisses Verfahren während der Dauer des Stillstandes automatisch unterbrochen werden. Ein solcher Stillstand ist aber bisher nicht eingetreten, da die Gerichte einen Notbetrieb, insbesondere für Haftsachen, Familiensachen und Eilverfahren, aufrechterhalten.

Den Parteien bleibt es unbenommen, sich auf ein Ruhen des Verfahrens zu einigen. Können die Parteien darüber keine Einigung erzielen, kann das Gericht zwar die Aussetzung des Verfahrens anordnen – allerdings nur, wenn die dies beantragende Partei vom Verkehr mit dem Prozessgericht abgeschnitten ist. Auch hiervon kann man momentan nicht ausgehen.

Rechtsanwälte bzw. die Parteien selbst, sofern sie nicht anwaltlich vertreten sind, müssen deshalb Termine und Fristen einhalten und dürfen nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass Verfahren aufgrund der mit der Krise einhergehenden Einschränkungen ausgesetzt sind.
 

2. Wie werden Verfahren während bestehender Kontaktverbote weitergeführt?

Anstehende Termine können aufgehoben bzw. verschoben werden. Bei unmittelbar anstehenden Terminen haben die Gerichte dies zur Umsetzung des Social Distancing und angesichts bestehender Kontaktverbote bereits selbst in die Hand genommen. Ansonsten können Rechtsanwälte bzw. Parteien einen Antrag auf Verlegung des Termins stellen. Dafür sind wichtige Gründe notwendig und bei Eilbedürfnis ist die Verlegung wegen des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nicht möglich.

Es kommt aber auch die Weiterführung des Verfahrens ohne mündliche Verhandlung in Betracht. Sofern die Parteien zustimmen, kann das Gericht die Durchführung des schriftlichen Verfahrens anordnen (§ 128 Abs. 2 ZPO). Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat und keine Beweisaufnahme erforderlich ist.

Gerichte haben außerdem die Möglichkeit, schon vor der mündlichen Verhandlung einen Beweisbeschluss zu erlassen oder auszuführen (§ 358a ZPO). Von dieser Möglichkeit wird üblicherweise eher selten Gebrauch gemacht, die Gerichte können so aber Verfahrensverzögerungen eindämmen.

Außerdem sieht die ZPO bereits seit 2013 die Durchführung mündlicher Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung vor (§ 128a ZPO). Unabdingbare Voraussetzung ist allerdings, dass die Gerichte über die dazu notwendige technische Ausrüstung verfügen. Dies ist nach wie vor nicht flächendeckend der Fall. Unabhängig davon ist die Verhandlung per Videokonferenz bislang wenig erprobt. Dies dürfte sich durch die Krise ändern. Zahlreiche Gerichte rüsten technisch auf oder haben bereits angekündigt, ihre Videokonferenzanlagen nun verstärkt zum Einsatz zu bringen. Die Parteien haben die Möglichkeit, dies durch entsprechenden Antrag aktiv anzustoßen und somit selbst Verfahrensverzögerungen durch Terminsverlegungen zu verhindern.

Soll ein Termin trotz der aktuellen Situation ganz „normal“ vor Gericht stattfinden, stellt sich die Frage, ob der in Deutschland geltende Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren trotz der Ausgangssperren gewahrt ist. Dies ist unklar. Da die Öffentlichkeit aus gesundheitlichen Gründen der Beteiligten vom Gericht ausgeschlossen werden kann, dürfte eine aus gesundheitlichen Gründen verhängte Ausgangssperre keinen Verstoß gegen die Öffentlichkeit darstellen, sofern die Verhandlung so dringend ist, dass sie nicht erst nach Aufhebung der Ausgangssperre durchgeführt werden kann.
 

3. Wie sollte man am besten mit laufenden Fristen umgehen?

Wie immer gilt: sobald absehbar ist, dass eine Frist nicht eingehalten werden kann, sollte umgehend ein Fristverlängerungsantrag gestellt werden. Dies ist aktuell besonders wichtig, da die Geschäftsstellen nicht vollständig besetzt sind und Richter nicht mehr regelmäßig vor Ort sind. Dadurch verzögern sich Bescheidungen ggfs. Verlängerungsgründe können aktuell insbesondere darin liegen, dass die Kapazitäten bei Mandanten für eine erforderliche Sachverhaltsaufklärung oder sonst notwendige Abstimmung wegen des Krisenmanagements anderweitig gebunden sind. Wir gehen davon aus, dass Gerichte Fristverlängerungsanträge derzeit wohlwollend bescheiden.

Zu beachten ist, dass sog. Notfristen, z.B. die Frist zur Verteidigungsanzeige und die Frist zur Berufungseinlegung, nicht verlängerbar sind. Diese muss der Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin wahren - komme, was wolle. Gelingt das nicht, bleibt nur ein Wiedereinsetzungsantrag. Ein solcher ist allerdings nur erfolgsversprechend, wenn den Rechtsanwalt an der Fristversäumnis kein Verschulden trifft. Da Rechtsanwälte durch den Corona-Virus nicht an ihrer Berufsausübung gehindert sind und sie berufsrechtlich verpflichtet sind, sich auch auf etwaige corona-bedingte Hindernisse rechtzeitig einzustellen – für den Fall einer eigenen Infektion mit dem Coronavirus muss z.B. die Vertretung geregelt sein – wird das nur in Ausnahmefällen der Fall sein.
 

4. Sollte ich ein Verfahren zur Hemmung der Verjährung einleiten, wenn mein Anspruch ansonsten zu verjähren droht?

Grundsätzlich gilt, dass eine Hemmung der Verjährungsfrist wegen höherer Gewalt nach § 206 BGB eintreten kann. § 206 BGB gilt dabei für verschiedene Ausschluss- und Klagefristen, wie etwa die Anfechtungsfrist nach § 142 Abs. 2 BGB, aber nicht für die Frist zur Mangelrüge nach § 377 Abs. 1 HGB oder die Frist zur Beschlussanfechtung nach § 246 Abs. 1 AktG. Eine Hemmung der Verjährungsfrist nach § 206 BGB kommt jedoch nur beim Vorliegen von Umständen in Betracht, die die Verfolgung der Ansprüche schlechthin unmöglich machen und die auch mit äußerster zu erwartender Sorgfalt nicht hätten vorhergesehen und abgewendet werden können. Das ist beispielsweise der Fall, wenn es zu einem Stillstand der Rechtspflege kommt und die jeweils zuständigen Gerichte ihre Tätigkeit gänzlich einstellen, nicht aber bei lediglich verzögerter Bearbeitung und Zustellung eingegangener Klagen, bei Einstellung des Sitzungsbetriebes oder bei Schließung der Gerichtsgebäude für den Publikumsverkehr. Eine Verjährungshemmung nach § 206 BGB liegt also jedenfalls derzeit nicht vor.

Derzeit gilt zur Vermeidung rechtlicher Nachteile daher, dass verjährungshemmende oder –verlängernde Maßnahmen ergriffen werden müssen, wenn demnächst Verjährungsfristen ablaufen sollten. Hier bietet sich sowohl die Einleitung von Mahn- oder Gerichtsverfahren als auch die Einholung einer Verjährungsverzichtserklärung des Schuldners an.

Bei der Einleitung eines Gerichtsverfahrens durch Klageerhebung ist es unschädlich, wenn die Klage dem Schuldner aufgrund etwaiger Verzögerungen in den Abläufen bei Gericht erst nach Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt wird. Nach § 167 ZPO ist insoweit der Zeitpunkt des Eingangs der Klage bei Gericht maßgeblich.
 

5. Ist trotz des eingeschränkten Gerichtsbetriebs einstweiliger Rechtsschutz gewährleistet?

Grundsätzlich gilt, dass alle eilbedürftigen Angelegenheiten weiterhin betreut und beschieden werden, so auch Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Die Gerichte verfügen stetig über eine Notbesetzung von Richtern, die sich der Entscheidung von einstweiligen Anträgen – soweit rechtlich und tatsächlich möglich, ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – annimmt. Daneben wurden Notgeschäftsstellen eingerichtet, die sicherstellen, dass die Anträge und Posteingänge die zuständigen Richter auch erreichen.

In der Krisenzeit kann der einstweilige Rechtsschutz etwa in den folgenden Fallkonstellationen, an Bedeutung gewinnen:

  • Presseberichterstattungen über Unternehmen in der Krise, z.B. zur Aufdeckung von Missständen bei der Einhaltung von Hygiene- oder Arbeitsschutzmaßnahmen oder über (drohende) Zahlungsunfähigkeit, können korrekturbedürftig sein.
     
  • Die Sorge der Bevölkerung, langfristig nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln-, Medizin- und Hygieneartikeln versorgt zu sein, könnte Plattform für unzulässige – insbesondere irreführende – Werbeaussagen und Verkaufsförderungsmaßnahmen werden. Mitbewerber oder Verbände könnten sich dadurch gezwungen sehen, eine Unterlassung möglichst zeitnah gerichtlich durchzusetzen.
     
  • Sollte es in bestimmten Wirtschaftssektoren tatsächlich zu Lieferengpässen oder gar –ausfällen kommen, könnten Leistungsverfügungen gerichtet auf Weiter- bzw. Wiederbelieferung an Relevanz gewinnen. Der Verfügungsgrund, die besondere Dringlichkeit, lässt sich in derzeit wohl vor allem dann begründen, wenn gesellschaftliches Interesse besteht, weil es um Bereiche der Versorgung geht (Nahrungsmittel, Arzneimittel, Medizin- und Hygieneartikel).

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Dr. Fee Mäder

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