Digitaler Nachlass: BGH bejaht die Vererblichkeit von Benutzerkonten in sozialen Netzwerken
Digitaler Nachlass: BGH bejaht die Vererblichkeit von Benutzerkonten in sozialen Netzwerken
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 (Az. III 183/17) entschieden, dass die Erben des Inhabers eines Benutzerkontos bei einem sozialen Netzwerk (hier: Facebook) nach dem Tod des Nutzers grundsätzlich im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in dessen Rechtsposition als Partei des Nutzungsvertrags einrücken. Daraus folge ein Anspruch der Hinterbliebenen, Zugang zu dem Konto einschließlich der darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalte zu erlangen. Das vorinstanzliche Urteil des KG Berlin wurde aufgehoben.
In dem entschiedenen Fall war das Benutzerkonto der im Alter von 15 Jahren aus bislang ungeklärten Umständen in Folge eines U-Bahn-Unglücks verstorbenen Tochter der Klägerin von Facebook in den sogenannten „Gedenkzustand“ versetzt worden, in dem der Zugang auch mit den Benutzerdaten nicht mehr möglich ist. Die Klägerin begehrte von der Beklagten Zugang, um sich Gewissheit über ein mögliches Suizidmotiv ihrer Tochter zu verschaffen und Schadensersatzansprüche eines U-Bahn-Fahrers im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Tochter abzuwehren.
Die Vererblichkeit des Nutzungsvertrages sowie des hieraus folgenden Zugangsanspruches war nach Auffassung des BGH nicht vertraglich ausgeschlossen, da die Klauseln zum Gedenkzustand vorliegend nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden seien und darüber hinaus ohnehin einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nicht standhielten. Auch aus der Natur des Vertrages ergebe sich nicht dessen Unvererblichkeit. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner der Verstorbenen gebiete dies gerade nicht. Vielmehr sei die vertragliche Verpflichtung der Beklagten zur vertraulichen Übermittlung von Inhalten nur kontobezogen und gebiete daher nicht die vertrauliche Übermittlung an eine bestimmte Person, sondern nur an deren Benutzerkonto. Entsprechend könne kein schutzwürdiges Vertrauen darauf bestehen, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von Kontoinhalten Kenntnis erlangen. Dieses Ergebnis entspreche zudem der Rechtslage bei anderen Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten wie Tagebücher oder persönliche Briefe, die anerkanntermaßen ebenfalls vererblich sind.
Die Äußerungen des BGH sind auch datenschutzrechtlich bedeutsam. Der BGH erklärte zum einen, dass der Datenschutz der Kommunikationspartner der Herausgabe nicht entgegenstehe. Zum anderen hat er aber entsprechend der Regelungen der neuen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen postmortalen (und vererblichen) Datenschutz abgelehnt. Damit können die Erben z. B. nicht mehr den Auskunftsanspruch des Verstorbenen nach Art. 15 DSGVO geltend machen und haben keinen eigenen Anspruch nach dieser Norm (weil es nicht um ihre Daten geht). Umso bedeutender werden also zukünftig vertragliche Regelungen und Vorkehrungen des Erblassers sein.
Die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs finden Sie hier.
Das Urteil des BGH ist auf alle Anbieter von Internet-Kommunikationsdiensten übertragbar (soziale Netzwerke, E-Mail-Konten) und stärkt die Position der Erben gegenüber diesen. Ist nicht ausnahmsweise vertraglich oder durch letztwillige Verfügung des Erblassers etwas anderes vorgesehen, gilt: Die Erben treten vollumfänglich in die Position des Erblassers und dürfen über dessen digitalen Nachlass frei verfügen. Unterhält der Erblasser ein Facebook Benutzerkonto, hat er zu Lebzeiten bereits jetzt verschiedene Möglichkeiten, gegenüber Facebook bindende Entscheidungen hinsichtlich dessen zu treffen, was nach seinem Tod mit seinem Benutzerkonto geschehen soll.
Dem künftigen Erblasser ist zu raten, sich früh mit der Frage auseinanderzusetzen, was im Falle seines Todes mit seinen Benutzerkonten, dem sog. „digitalen Nachlass“ geschehen soll und gegenüber dem Vertragspartner und ggf. in seiner letztwilligen Verfügung entsprechende Regelungen zu treffen.