Jörn KuhnJörn Kuhn | Trends | 02.12.2020

Crowdworker – Neue Risiken der Scheinselbständigkeit


Am 1. Dezember 2020 hat das Bundesarbeitsgericht (9 AZR 102/20) die lange erwartete Entscheidung zu den sog. Crowdworkern getroffen. Nach der bisher veröffentlichten Pressemitteilung kommt das Bundesarbeitsgericht im konkreten Sachverhalt zum Ergebnis, dass ein Crowdworker bei der Bearbeitung des Auftrags ein Arbeitsverhältnis zum Crowdsourcer begründet, also zu demjenigen, der die Arbeitsaufträge vergibt. Hieraus ergeben sich für die Unternehmen akute Handlungspflichten. Unser Experte Jörn Kuhn erklärt, worauf Unternehmen achten sollten.

Die Entscheidung

Dem vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Fall lag zu Grunde, dass der Crowdsourcer auf der Grundlage einer „Basis-Vereinbarung“ und allgemeiner Geschäftsbedingungen die „Mikrojobs“ über eine Online-Plattform angeboten hat. Über einen persönlichen Account hat der Crowdworker über die Online-Plattform Aufträge angenommen und musste diese innerhalb einer zeitlich gesetzten Vorgabe erfüllen. Im konkreten Fall gab es für die Erfüllung von Aufträgen „Erfahrungspunkte“, die es ermöglicht haben, mehrere Aufträge gleichzeitig anzunehmen.
Der Crowdworker hatte in einem Zeitraum von elf Monaten 2.978 Aufträge angenommen, bevor ihm erklärt wurde, dass die Zusammenarbeit beendet würde. Der Crowdworker hatte zunächst geltend gemacht, dass ein Arbeitsverhältnis vorlag. Die Beklagte hatte im weiteren Prozessverlauf vorsorglich das Arbeitsverhältnis gekündigt.
Während in der Vorinstanz durch das Landesarbeitsgericht München (4.12.2019 - 8 Sa 146/19) noch bestätigt wurde, dass kein Arbeitsverhältnis vorlag, hat das BAG anhand des Maßstabs des § 611a BGB festgestellt, dass vorliegend ein Arbeitsverhältnis gegeben war, welches jedoch wirksam durch die Kündigung beendet wurde. Für die weiterhin geltend gemachten Entgeltansprüche hat das BAG die Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Das BAG stützt seine Entscheidung zum Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Wesentlichen darauf, dass unter Berücksichtigung der Gesamtumstände eine typischerweise weisungsgebundene, fremdbestimmte, abhängige Beschäftigung vorliegt. Das BAG stützt sich nach der vorliegenden Pressemitteilung im Wesentlichen darauf, dass eine höchstpersönliche Leistungserbringung erfolgte, die weisungsgebunden erfolgte.
Auch wenn der Crowdworker vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten des Crowdsourcers verpflichtet war, so war aber in jedem Fall die Online-Plattform darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. In der Pressemitteilung heißt es dann weiter, dass ein faktisch höherer Stundenlohn erst erzielt werden kann, wenn durch ein erhöhtes Level im Bewertungssystem mehre Aufträge gleichzeitig angenommen werden konnten. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten im Rahmen des Crowdworks zu erledigen.

Bewertung

Das Crowdworking ist in Deutschland im IT-Bereich mittlerweile weit verbreitet. Kritik am Crowdworking ist zuletzt vor allem dadurch laut geworden, dass den Crowdworkern Arbeitsaufträge angeboten werden, die bei der Bearbeitung durch den Crowdworker faktisch zu Stundenlöhnen unterhalb des Mindestlohngesetzes führen. Nach der vorliegenden Pressemitteilung des BAG hat auch der Vergütungsaspekt der Bearbeitung der Aufträge keine unwesentliche Rolle gespielt. 
Die Entscheidung des BAG ist an einem Punkt überraschend: Bislang war auch in der Praxis der Deutschen Rentenversicherung anerkannt, dass ein Freelancer bei klar abgrenzbaren Aufträgen bspw. über die Bearbeitung in einem Ticketsystem nicht als Scheinselbständiger zu betrachten ist. Insoweit hat das BAG hier Neuland betreten, welches die Deutsche Rentenversicherung wohl auch sehr schnell betreten wird.
Des Weiteren ist aus der Entscheidung des BAG noch einmal deutlich geworden, dass die Frage des Vorliegens einer selbständigen Beschäftigung nicht daran festgemacht wird, ob ein Freelancer im Büro des Kunden sitzt oder im Home-Office. Dieses wiederum ist auch mit der bisherigen Praxis der Sozialgerichte bei der Prüfung des Beschäftigtenstatus in Linie.

Fazit

  1. Auf der Basis der aktuellen Entscheidung des BAG sollten Unternehmen Crowdwork weiterhin nur über Plattformen beauftragen, um das Risiko zu minimieren, dass ein Beschäftigungsverhältnis unmittelbar zwischen Unternehmen und Crowdworkern entsteht. 
  2. Wird Crowdwork weiter durch das Unternehmen selbst angeboten, sind die Vertragsdokumentationen wie auch die konkrete Durchführung unter Berücksichtigung der vom BAG aufgeworfenen Aspekte zu prüfen und anzupassen, um abhängige Beschäftigung auszuschließen. 
  3. Unternehmen sollten generell die internen Vorgaben zum Einsatz Externer dahingehend überprüfen und so überarbeiten, dass auch Solo-Selbständige sowie Mitarbeiter von Fremdfirmen, die nicht vor Ort, sondern im Home-Office im Einsatz sind, den standardisierten Prüfschemata unterliegen, um Schein-Dienstverträge und Schein-Werkverträge auszuschließen. Damit lässt sich in Bezug auf Solo-Selbständige das Risiko der Scheinselbständigkeit und in Bezug auf Mitarbeiter von Fremdfirmen das Risiko der illegalen Arbeitnehmerüberlassung minimieren.

Sprechen Sie uns gerne an. Wir haben eine langjährige Expertise bei der Beratung des Fremdpersonaleinsatzes, insbesondere in IT-Projekten. 

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